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TiertafelWenn Herrchen und Frauchen kein Geld mehr für Futter haben

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Tobi darf naschen. Hunde, die mit ihren Besitzern bei der Tiertafel vorstellig werden, dürfen auf Futter an der Ausgabe hoffen.

Tobi darf naschen. Hunde, die mit ihren Besitzern bei der Tiertafel vorstellig werden, dürfen auf Futter an der Ausgabe hoffen.

  • Die Tiertafel in Bergheim springt ein, wenn das Geld für Tierfutter nicht reicht.
  • Oft sind Herrchen und Frauchen zu stolz, um sich an anderer Stelle Unterstützung zu holen – sie wollen selbst Verantwortung übernehmen.
  • Aber wie profitieren auch die Menschen von dem Angebot für die Vierbeiner? Ein Besuch.

Bergheim – Der Mann, der sich Karl nennt, spricht zum ersten Mal vor. Seine Kleidung ist gepflegt, aber Ärmel und Hosenbeine sind zu lang, und im Gebiss fehlen ein paar Zähne. „Die muss operiert werden“, sagt Karl den beiden Frauen hinter dem Schreibtisch und deutet auf den Schäferhund-Mischling. Die Hündin hat sich schwerfällig hingelegt. „Ich würde es ja selbst bezahlen, aber es geht nicht.“

Karl ist zum ersten Mal in der Tiertafel, die alle zwei Wochen freitags in Bergheim öffnet. Die Besitzer von rund 80 Hunden und 120 Katzen erhalten in dem Ladenlokal in der Heinrich-Hertz-Straße regelmäßig kostenlos Futter.

Karl hat das, obwohl er Hartz IV bezieht, noch nicht in Anspruch genommen. „Zu stolz“, sagt er. Er wolle selbst Verantwortung für seinen Hund übernehmen, wo immer das möglich sei. Aber die Operation, „die ist zu teuer“. Seine Hündin habe einen Tumor an der Gesäugeleiste.

„Das ist mir echt peinlich hier“

Annette Quadt und Birgit Korfmann vom Vorstand der Tiertafel nehmen Karl in die Kundenkartei auf und hören dabei zu. Selten unterbrechen sie ihn. Sie fragen nach einem Nachweis über Hartz IV. Nach einem Impfausweis, um festzustellen, ob die Hündin Karl überhaupt gehört. Ansonsten lassen sie ihn sich seine Aufregung von der Seele reden. „Das ist mir echt peinlich hier“, sagt Karl.

„Braucht es nicht, dafür sind wir da“, sagt Annette Quadt. Karl bekommt das Geld. Etwas mehr als 200 Euro. Selbstverständlich ist das nicht. Die Tiertafel hilft zwar dann aus, wenn Tierbesitzer in Not geraten, wenn die Rente oder die Grundsicherung nicht mehr reichen, wenn der Job weg ist, schlicht wenn am Ende des Monats kein Geld mehr übrig ist.

Allerdings mit einer Ausnahme: „Wer sich ein Haustier anschafft, obwohl er weiß, dass er es sich gar nicht leisten kann, bekommt von uns nichts“, sagt Dagmar Oetken (59) vom Vorstand der Tiertafel. „Auch wenn das manchmal hart ist.“ Wer hierherkomme, weil er eine schöne Erstausstattung fürs Katzenzimmer haben wolle, gehe mit leeren Händen nach Hause.

Futterlieferung auch nach Hause

Damit sich die Tierbesitzer in der Schlange vor der Tiertafel nicht wie Bittsteller fühlen, werden sie durchweg als „Kunden“ bezeichnet. Und manchen, denen der Gang zu schwer fällt, vielleicht auch, weil die Beine den Weg nicht mehr leisten können, liefert das Team Futter nach Hause. „Man muss Tiere und Menschen gleichermaßen mögen“, sagt Dagmar Oetken.

Das Team habe nicht nur mit Hunden, Katzen, Meerschweinchen oder Kaninchen zu tun, sondern auch mit Menschen, die einiges hinter sich hätten. „Das ist ein Stück weit Sozialarbeit. Die Leute erzählen ihre Geschichte.“

Die Regale in den Räumen der Tiertafel sind meist voll. Spender gibt es viele. Außer Hunde- und Katzenfutter stapeln sich hier Körbchen, Leinen, Halsbänder oder Transportboxen, alles in etlichen Größen. Aus dem gesamten Rhein-Erft-Kreis kommen die Kunden, aber auch aus Köln, Mönchengladbach oder Düren, nicht nur des Futters wegen, auch weil es hier Zuschüsse zu Tierarztbesuchen, günstige Flohmittel oder auch Hilfe von einer Tierheilpraktikerin oder einer Tierphysiotherapeutin gibt.

Tafel-Team sucht dringend nach Hilfe

Das Team selbst arbeitet am Limit. „Wir schaffen es körperlich kaum noch“, sagt Birgit Korfmann (70) vom Vorstand. Im Team fehlten Männer, die das Futter säckeweise ins Lager schleppen könnten. Zwar gebe es mit Werner Linke (66), ein „Schlepptier“, doch Hilfe sei dringend vonnöten.

Knapp 30 Aktive gebe es bei der Tiertafel, und doch so viel mehr Arbeit. Samstags sei Spendenannahme, das Tiertafeltelefon müsse erreichbar sein, Regale müssten aufgefüllt und Futterboxen in Supermärkten geleert werden. Hinzu komme die Pflege von Internet- und Facebookseite oder die Veranstaltung des Dogwalks, eines Sponsorenlaufs zugunsten der Tiertafel. „Es ist eigentlich ein Vollzeitjob“, sagt Dagmar Oetken, die als Pfarramtssekretärin in Köln arbeitet.

Es sind vor allem ältere Menschen, die bei der Tiertafel vorstellig werden, Menschen wie Ilona Geritan, die seit 15 Jahren alleinstehend ist und nach einer Schulter-Operation nicht mehr wie früher an der Kasse arbeiten kann. Sie hat einen Hund und zwei Katzen, das Geld für das Futter kann sie nicht mehr selbst aufbringen. „Ich lebe vom Amt“, sagt die 55-Jährige, die nach eigenen Angaben ein Jahr lang versucht hat, alle Kosten für die Tiere selbst zu tragen.

OP-Rechnung beglichen – ohne Antrag

Als Anfang des Jahres eine unerwartete Stromnachzahlung fällig wurde und eines ihrer Tiere wegen eines Tumors operiert werden musste, geriet sie vollends ins Schwimmen. Und trotzdem wurde sie mit der Rechnung über 317 Euro für die OP nicht bei der Tiertafel vorstellig, sondern lieh sich das Geld bei ihrer Tochter, um es abzustottern.

„Das war mir unangenehm, obwohl die Leute von der Tiertafel immer darauf achten, dass man sich hier aufgehoben fühlt.“ Das Team der Tiertafel erfuhr über Umwege von der OP – und beglich die Rechnung nachträglich, ohne Antrag.

An der Futterausgabe wird es unruhig. Obwohl die Besitzer nur einzeln vorgelassen werden, geraten trotzdem zwei Hunde kurz aneinander. Es bleibt bei einem kurzen Bellen. Monika Plück von der Ausgabe gestikuliert dabei mit einer Kundin, ohne ein Wort zu verlieren. Sie spricht in Gebärdensprache, weil ihr Gegenüber taubstumm ist. Ein Kurs an der Volkshochschule macht die Kommunikation möglich.

Auch der frühere Gastronom (63), der hier Jürgen heißen soll, ist auf die Tiertafel angewiesen, um seine beiden Katzen zu halten. „Ich musste vor drei Jahren dichtmachen“, sagt Jürgen. „Es lief nicht mehr so gut.“ Auch hier war es eine Operation, die den finanziellen Rahmen sprengte. „400 Euro“, sagt Jürgen, „damit hab ich mich übernommen.“

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Für die 47 Jahre alte Silke ist der Kontakt zu ihren Tieren besonders wichtig. Sie ist alleinstehend, geistig und körperlich behindert und arbeitet auch nicht mehr wie früher in einer Behindertenwerkstatt. „Manchmal wird mir alles zu viel, und dann liege ich nur im Bett“, sagt Silke. Ihre beiden Katzen, Dicke und Süße, seien da, wenn es ihr nicht gut ginge. „Morgens sind sie mein Antrieb, aus dem Bett aufzustehen. Sie müssen versorgt werden.“ Bleibt Silke liegen, wissen Dicke und Süße auf katzentypische Weise Druck auszuüben.

„Die Tiere sind oftmals die einzigen Sozialpartner“, sagt Annette Quadt (61) von der Tiertafel. „Da ist es wichtig, dass Hund oder Katze als Haustier erhalten bleiben.“ Geldmangel dürfe niemals der Grund sein, warum Menschen ein Tier abgeben müssten.

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