HistorieMutter im Bunker wiedererkannt

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Dampfend fährt der feurige Elias Anfang des 20. Jahrhunderts durch die Brühler Innenstadt.

Dampfend fährt der feurige Elias Anfang des 20. Jahrhunderts durch die Brühler Innenstadt.

Brühl – „Gestern hat sich bei mir wieder eine Dame gemeldet, die ihrer 83-jährigen Mutter auf ihre alten Tage einen Laptop kaufen musste“, erzählt Heinz-Peter Kelter. Denn die Seniorin wollte unbedingt Mitglied bei Facebook werden. Genauso wie mittlerweile 3900 andere Brühler und Brühl-Fans. Sie alle sind Mitglieder der Facebook-Gruppe „Brühl gestern und heute“ und stöbern mit Begeisterung in den Tausenden historischer Bilder aus der Schlossstadt, die die Mitglieder der Gruppe dort zusammengetragen haben.

Die Initiatoren der Gruppe sind der Briefträger Kelter, den in Brühl alle nur Peter Post nennen, und Mario Außem. Die Idee: Aus alten historischen Bildern, die in Alben in Kellern oder in alten Dia-Kisten vor sich hin stauben, ein riesiges virtuelles Brühler Erinnerungsalbum zu machen. Dass diese Idee so einschlug, hätten die Macher nicht für möglich gehalten. Viele Brühler vertrauen dem Brühler Postboten, der bekannt ist wie ein bunter Hund, ihre Aufnahmen an. „Das ist wie eine Sucht. Wenn ich einen Tag keinen Foto-Nachschub irgendwo abhole, werde ich nervös“, bekennt Kelter. Viele Mitglieder der Gruppe pflegen ihre alten Bilder aber auch selber ein. „Selbst weit über 70-Jährige lernen jetzt, wie sie Fotos einstellen.“

Die Bilder, die in der Facebook-Gruppe zusammengetragen wurden, sind so ganz anders als die schon weithin bekannten Motive von Schloss Augustusburg und der Fußgängerzone. Da ist auf einem Foto der Moment zu sehen, in dem der Heider Bergsee geflutet wird. Die Fotografin Inge Breuer hat die Sprengung des Gruhlwerks in einer Bildserie festgehalten. Wie in Zeitlupe sieht man den Schornstein fallen.

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Schützenumzüge aus dem Jahr 1914, ein Kinderkarnevalszug 1970, Mitarbeiter der Firma Thönissen im Jahr 1930, wie sie die Schlossstraße pflastern, oder kleine Steppkes, die sich im legendären Kiosk von Cilly Zeyen Süßigkeiten kaufen: ein Potpourri bunt wie das Leben. Immer wieder gibt es Aha-Erlebnisse von Brühlern, die sich oder ihre Lieben beim Stöbern im virtuellen Archiv zufällig wiederfinden. „Das ist großer Sport geworden“, sagt Kelter lachend.

Es sei aber oft auch eine Konfrontation mit Erinnerungen, die Emotionen freisetze, ergänzt Außem. Da ist der Brühler, der im Bild aus dem Luftschutzbunker seine Mutter erkennt. Bilder von Menschen, die bei der Brotausgabe anstehen. Oder der Brühler Marktplatz, beflaggt mit Hakenkreuzfahnen. „Wir haben uns nach intensiver Debatte bewusst entschlossen, nicht zu zensieren“, erläutert Kelter. Auch diese Kapitel gehörten einfach zur authentischen Geschichte Brühls dazu.

Auch der Brühler Heimatforscher Dr. h.c. Hans Rothkamp öffnete für die Gruppe seine Archive. Alle Bilder aus seinen Büchern und seine Bilder aus dem Neff-Archiv dürfen genutzt werden. „Ein echter Schatz“, findet Kelter.

Aber irgendwie war den Machern der Facebook-Gruppe nicht recht, ihre Aktivitäten auf das soziale Netzwerk zu beschränken. Viele Ältere hätten doch Vorbehalte dagegen und würden so womöglich vom kollektiven Brühler Gedächtnis ausgeschlossen. Daher hat der Webdesigner Michael Zemath, der auch zum Team gehört, jetzt auch eine professionelle Homepage gebastelt. Dort ist die Auswahl allerdings derzeit noch deutlich kleiner, da es für die Ehrenamtler sehr viel Arbeit ist, alle Bilder dort einzupflegen.

Besonderer Höhepunkt sind die historischen Videofilme, die dort zu sehen sind: „Otto Flimms Film vom Motocrossrennen 1956 auf dem Gabjei-Ring treibt so manchen Jungs Tränen in den Augen“, versichert Kelter. Der Film aus Brühler Klassenzimmern weckt da wahrscheinlich bei so manchem Schüler von damals weniger positive Erinnerungen.

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