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QuirinusVirtuelles Kraftwerk koordiniert Angebot und Nachfrage in der Stromversorgung

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Elsdorf-Heppendorf – Produzieren und vergessen – nach diesem Prinzip arbeiten bislang viele Einzelerzeuger erneuerbarer Energien. Eine dauerhaft sichere Stromversorgung ist auf diese Weise nicht zu gewährleisten.

Das virtuelle Kraftwerk im Heppendorfer Technologieforum führt alle Erzeuger, auch die großen Kohlekraftwerke, zusammen und hat am Leitstand auch die Abnehmer stets im Blick. Das soll teuere Stromausfälle und Überproduktionen verhindern. Das Land Nordrhein-Westfalen und die Europäische Union fördern das Sechs-Millionen-Pilotprojekt Quirinus mit 2,8 Millionen Euro.

Acht Akteure aus der Energiebranche haben sich auf Initiative des Kölner Unternehmens SME-Management zusammengetan, um netzübergreifend in Heppendorf die Strombalance für die Region zu halten. Beteiligt sind RWE Power, Stadtwerke aus dem Revier zwischen Düsseldorf, Köln und Aachen sowie Abteilungen der Universitäten Köln und Aachen.

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„Zurzeit machen Wasser, Wind und Solarstrom 30 Prozent der Energieerzeugung aus. Bis 2050 sollen es 80 Prozent werden“, skizzierte SME-Geschäftsführer Kurt Vetten das Energiewende-Ziel. Dazu werde eine optimale Koordination vor allem für die stromintensive Industrie wichtig. Denn diese Betriebe sind extrem abhängig davon, was die Großkraftwerke, rund 28.000 Solaranlagen, 400 Windräder, 200 Biogasanlagen, 30 kleinere Wasserkraftwerke und mehrere hundert Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen liefern.

In Heppendorf sollen sie alle auf den Schirm kommen. „Wir können, wenn alles steht, von jeder Photovoltaikanlage auf dem Reihenhaus sehen, was sie gerade produziert“, sagte Vetten. Das gehe nur regional. Neben den vier großen Verteilzentralen – eine davon steht in Pulheim-Brauweiler – stellt er sich nach dem Heppendorfer Vorbild demnächst bundesweit 30 regionale, dezentrale Verteilzentren vor. Die Industrie könne dann möglicherweise sogar motiviert werden, Produktionszeiten zu verlagern.

„Das geht natürlich nur mit politischem Einfluss“, sagte Landtagsabgeordneter Guido van den Berg (SPD), der sich für die Fördervergabe eingesetzt hat. Die Rahmenbedingungen können demnach finanzielle Anreize sein.

Kontakt hält Quirinus auch zur Speicherindustrie, deren Produkte Flauten und Dunkelheit überbrücken müssen, vor allem wenn die Kohlekraftwerke eines Tages abgeschaltet werden. Technisch sei das machbar, sagt Vetten dazu, aber noch zu teuer. Auch die Rückgewinnung von Energie aus E-Mobilität durch vorgeplante Lade- und Entladezyklen hat das virtuelle Kraftwerk auf dem Rechner.

Die dichte Besiedelung in den Städten, wo weniger Sonnenenergie anfalle, sei eine Herausforderung. „Wenn uns das hier gelingt, gelingt es überall“, sagte er über den Projektstandort im Zentrum des Reviers. Auch auf der Abnehmerseite sei die Region bundesweit an der Spitze. „Im Einsatzgebiet von Quirinus leben 1,4 Millionen Menschen, das sind acht Prozent der Landesbevölkerung. Es gibt hier den vierfachen Energiebedarf wie im Bundesdurchschnitt“, benannte Vetten die Herausforderung.

„Das Heppendorf Forum ist ein Technologie-Standort. Das Gebäude verfügt über beste Datenanbindung zur Kontrolle des intelligenten Stromnetzes. Das Kraftwerk der Zukunft entsteht in Heppendorf“, sagte Vetten. Er versicherte, dass die Anwohner davon nichts mitbekämen, weil alles nur per Datentransport gesteuert werde. Je fünf Mitarbeiter werden künftig im Drei-Schicht-Betrieb am Leitstand arbeiten.

Rarität am Arbeitsmarkt

SME wird 50 bis 80 Mitarbeiter im Forum beschäftigen. Energie-Informationsmanager, bislang eine Rarität am Arbeitsmarkt, sollen künftig die hochsichere Verfügbarkeit des Stroms gewährleisten, nicht nur für die 6000 regionalen Industriestandorte mit hohem Energieverbrauch, sondern auch für den privaten Stromkunden.

Eine Stunde Stromausfall richte einen volkswirtschaftlichen Schaden in Höhe von einer Milliarde Euro an, rechnete Vetten vor. Die Erzeuger erneuerbarer Energien müssten künftig mehr Verantwortung übernehmen, sagte er. Sie bekämen bundesweit rund sieben Millionen Euro pro Jahr an Entschädigung für nicht abgenommenen Strom, die bisher auf die Endverbraucher umgelegt würden.

Im Herbst folgen erste Simulationen und die Einrichtung des Leitstandes, bevor ab 2018 der reale Pilotbetrieb anläuft. Von Johannes Remmel, Landesminister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz, erhielt Quirinus vorgestern den Förderbescheid, zunächst auf drei Jahre. Auch die Innovationsregion Rheinisches Revier unterstützt das Pilotprojekt.

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