Leiche im Liblarer See entdecktAutorin verarbeitet Horror-Erlebnis mit Worten

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Silke Wiegand hat den Schock überwunden. Im vergangenen Sommer entdeckte sie die Leiche eines jungen Mannes im Liblarer See.

Silke Wiegand hat den Schock überwunden. Im vergangenen Sommer entdeckte sie die Leiche eines jungen Mannes im Liblarer See.

Erftstadt – Die Erste Hilfe passte auf zwei DIN-A-4-Seiten. Doch sie wirkte nachhaltig.

Beim Schwimmen im Liblarer See hatte Silke Wiegand gemeinsam mit einer Bekannten die Leiche eines jungen Mannes gefunden. Entstellt von den Stunden im Wasser des Badesees. „Der Anblick war gruselig“, sagt sie. Heute, ein Jahr nach dem Erlebnis, braucht es das Gespräch, um sich die Bilder wieder vor Augen zu führen. Im August des vergangenen Jahres ließen die schaurigen Bilder von der Leiche die Erftstädterin nicht mehr los.

Nichts vergessen

Das änderte sich erst, als Silke Wiegand am nächsten Tag ihren Computer einschaltete und sich das Erlebte von der Seele schrieb. Auf den besagten zwei Seiten fasste sie zusammen, was sie gesehen, gesagt und gefühlt hatte. In diesen Minuten am See, jenem Ort, den sie so sehr liebte und immer noch liebt. „Ich hatte natürlich meinem Mann und einigen anderen von dem Fund, dem letztlich sinnlosen Einsatz der herbeigerufenen Sanitäter und den Taten der Polizei erzählt. Doch erst nachdem ich die Geschichte aufgeschrieben hatte, ging es mir besser“, sagt Silke Wiegand.

Silke Wiegand hat nichts vergessen, aber sich in ihrer Seele neu sortiert. Sie hat sich selbst geholfen. Mit ihren eigenen Worten. Und darum ist ihre Geschichte eine von insgesamt 20 unseres Sommerwettbewerbs „Worte, die mich bewegen“.

„Durch das Aufschreiben habe ich meine Emotionen und Erinnerungen wohl einfach an einem anderen Ort in mir abgelegt“, sagt sie. Und die 48-Jährige ist froh, dass das so gekommen ist. Denn sonst hätte sie ein Hobby einstellen müssen, das sie seit Jahren betreibt und das ihr längst lieb und teuer ist: schwimmen. Im Winter im Hallenbad, einmal im Jahr bei einem Wettkampf auf irgendeinem Gewässer und von Mai bis Oktober mindestens wöchentlich im Liblarer See.

Etwas trieb im Wasser

Silke Wiegand ist nie alleine, wenn sie die knapp zwei Kilometer lange Strecke auf dem Wasser des rekultivierten Braunkohle-Tagebaus in Angriff nimmt. Und sie war es glücklicherweise auch nicht an jenem Tag im August des vergangenen Jahres. Eine Freundin begleitete sie. Beide wollten die übliche Runde absolvieren. Weg vom Ufer vor dem Heim der Wassersportfreunde, raus zu den Bojen und wieder zurück. Doch dazu kam es nicht. Noch an Land, beim obligatorischen Aufwärmen, fiel den beiden Bojenschwimmerinnen, wie sich die Gruppe begeisterter Freiwasser-Schwimmer aus Erftstadt nennt, etwas auf, das im Wasser trieb. Moos? Eine tote Ente? Silke Wiegands Bekannte wollte der Sache noch vor dem Start auf den Grund gehen und schwamm ein Stück raus. „Plötzlich hat sie gerufen: »Das ist ein Mensch, ein Mann, er ist tot«“, erinnert sich Silke Wiegand.

Ihre Gefährtin zog die Leiche ans Ufer. „Ich war wie erstarrt, meine Gedanken, Gefühle und mein Magen spielten verrückt. Ich wusste nicht, ob ich weinen, schreien oder weglaufen sollte“, sagt sie.

Ertrunkener stammte aus Marokko

Irgendwann waren Notarzt, Polizei und schließlich der Bestatter vor Ort. Silke Wiegand musste nicht mehr handeln. Sie war nur noch Zuschauerin. Die folgenden Stunden waren eigentlich Alltag. Doch einkaufen, essen und arbeiten fühlten sich nicht danach an.

Am nächsten Morgen folgte die Rückkehr an den See. „Ein Bekannter hat mich gefragt, ob ich wieder schwimmen will, und ich habe mir einen Ruck gegeben. Denn ich habe befürchtet, dass ich es sonst gar nicht mehr tue“, sagt sie. Nichts erinnerte mehr an den jungen Mann, der, wie sich später herausstellte, aus Marokko stammte und beim Baden ertrank. Dennoch fiel der Gang ins Wasser schwer. „Obwohl es nicht kalt war, habe ich schließlich einen Neopren-Anzug übergestreift“, sagt die 48-Jährige. Sie wollte irgendetwas zwischen sich und dem Wasser haben. Oder besser gesagt: zwischen sich und dem, was im Wasser treiben kann.

Doch das ist inzwischen vorbei. Silke Wiegands Unbeschwertheit ist zurück. Dank zweier DIN-A-4-Seiten voller Worte, die sie selbst geschrieben und oft gelesen hat. Worte, die sie immer wieder bewegen und ihr vom ersten Moment an geholfen haben.

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