Projekt „edu-sense“Wie eine junge Lehrerin aus Hürth ihre Schule digitalisiert

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Anika Buche als Lehrerin vor der Klasse

  • Anika Buche, 31 Jahre alt und Lehrerin am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Hürth, hat mit dem Projekt „edu-sense“ ein Konzept entwickelt, mit dem sie den Unterricht digitalisiert.
  • Nur mit staatlichen Mitteln konnte sie ihre Vorstellungen nur sehr langsam umsetzen. So kam Buche auf die Idee, Frank Thelen, Investor unter anderem bei der Vox-Sendung „Die Höhle der Löwen“, zu kontaktieren.
  • Die Lehrerin erklärt, wie ihr Projekt zur Erfolgsgeschichte wurde.
  • Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Text aus unserem Archiv, der unsere Leser besonders interessiert hat. Er wurde zum ersten Mal am 23.05.2020 veröffentlicht

Köln – Eine Umfrage unter Lehrerinnen und Lehrern zeigt: Digitaler Unterricht muss professioneller werden. Denn er bleibt wichtig, auch wenn die Schulen wie jetzt schrittweise wieder öffnen.

Während  Schüler in anderen Ländern ihre schriftlichen Arbeiten in ihrem digitalen Klassenzimmer, einer Lernplattform, wo sie Dateien, Fotos, Videos hochladen und miteinander kommunizieren können, diskutieren, ist Deutschland beim digitalen Unterricht immer noch ambitionslos.  Und dabei könnte es doch so einfach gehen. Man muss nur jung genug sein, über ein Konzept verfügen und einfach machen.

Genauso wie Anika Buche. Die 31 Jahre alte Lehrerin am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Hürth hat es vorgemacht, wie man eine Schule digitalisiert. Ihr Projekt „edu-sense“, eine Wort-Verbindung aus Bildung und Sinn, könnte Pionierfunktion auch bei anderen Schulen haben. Denn eines sei ganz wichtig, sagt Anika Buche dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Man braucht ein Konzept und eine Vision.“

„Digitale Kompetenzen werden immer stärker nachgefragt“

Anika Buche wurde in Rheine geboren, der Vater war bei der Luftwaffe, ihr Abitur hat sie in Mönchengladbach gemacht, studiert hat sie dann in Köln. Studienfächer: Mathe, Sport und Biologie auf Lehramt. Dann ging sie ans Albert-Schweitzer-Gymnasium in  Hürth, erst Referendariat, dann Vertretungsstelle, schon nach ein paar Monaten hatte sie eine feste Stelle. „Es wurde beruflich mein Zuhause“, sagt sie.

Warum hat sich aber überhaupt so in die Digitalisierung hineingehängt? „Ich dachte, Mensch, wir müssen doch in unserer Schule die digitale Welt integrieren! Das ist doch total wichtig für das, was wir den Kindern vermitteln müssen, nämlich digitale Kompetenzen“, erzählt sie. „Diese Befähigungen werden immer stärker nachgefragt, sie sind berufliche Voraussetzungen genauso wie für das Studium.“

Viele Prozesse und Stolpersteine

Sie war überzeugt: Es muss eine höhere Integration der digitalen Kompetenzen in der Schule stattfinden. „Ich habe das zuerst für mich ausprobiert und gesehen, welche großartigen Möglichkeiten sich hier bieten, welche Lernfreude damit verbunden ist. Die Kinder sind super gut darauf angesprungen. Aus einem Bauchgefühl heraus sagte ich mir daher: Da muss man mehr machen.“

Wie wäre es  also, fragte sie sich, wenn man eine ganze Schule hinter sich hätte mit dem ganzen Kollegium, den Eltern, den Schülern, so dass man die Schule ganz neu ausrichten könnte? Also legte sie los. Aber dann war es doch schwer und ging recht langsam, erzählt sie. Es gab viele Prozesse und auch Stolpersteine auf dem Weg. Wenn man nur auf staatliche Mittel warten würde, dann, so ihre Befürchtung, würde es unheimlich lange dauern – und das ist nicht ihre Sache. Also suchte sie sich andere Wege.

Frank Thelen als Unterstützer

Auch andere Kollegen und Kolleginnen hatten schon etwas ausprobiert. „Unsere Idee war, dass wir uns einen Partner suchen, mit dem wir das aufziehen. Zufälligerweise hatte ein Vater einer Schülerin, die in meiner Klasse ist, beim TV-Sender Vox gearbeitet, dort wird ja   die Sendung «Die Höhle der Löwen» ausgestrahlt. Frank Thelen hatte beim Dreh erzählt, dass er sich bildungspolitisch engagieren wolle. Der Vater bekam das mit, er gab mir den Tipp, mich mal an Frank Thelen zu wenden. Das habe ich  dann getan.“ 

Mit ihrem Konzept   nahm sie Kontakt zu Frank Thelen auf.  Er war begeistert. „Anika gehört nicht zu den Leuten, die sagen: »Man müsste mal.» Sie hat es einfach gemacht“, sagte er.  Deshalb habe er sein „Netzwerk aktiviert, um ihr Starthilfe zu geben“. Als Pilotklasse wurde die 6c, deren Klassenlehrerin Anika Buche ist, im September mit Testgeräten ausgestattet.  Welche Rolle er spielt?

„Frank hat uns unheimlich beim Start geholfen“

„Frank hat uns unheimlich beim Start geholfen, er hat uns vor allem viel Netzwerk zur Verfügung gestellt. Netzwerk ist ganz wichtig, es fängt mit kleinen Mittelchen an: Meine Idee war, dass jeder Schüler und Schülerin ein Endgerät bekommt. Ich konnte jetzt natürlich nicht den Eltern sagen, jetzt kauft euren Kindern mal einen Laptop. Die hätten mir den Vogel gezeigt. Auch der Schule fehlte vom Schulträger her die Mittel. Frank sagte: Wir schauen mal, ich versuche dir das zu ermöglichen. Er stellte den Kontakt zu Conrad-Elektronik und HP her. Die beiden haben uns dann mit Geräten unterstützt. So bekamen wir die Mittel, um unserer Neugier freien Lauf zu lassen.“

Dass sie ein ungeheures innovatives Potenzial hat, davon ist auch Burkhard Wagner, Geschäftsführer  des Unternehmensberaters Advyce, überzeugt. „Sie brennt, hat gute Ideen, ist 24 Stunden am Tag mit dem Projekt verbunden.“ Aber sie habe auch die üblichen Hürden zu überwinden, sagt Wagner. Da Advyce auch gesellschaftlich engagiert ist, hat man die Kooperation mit Anika Buche und „edu-sense“ gesucht.

„Wir sind dabei, eine gemeinsame Vision zu entwickeln“

Wie hat sich das nun konkret am Albert-Schweizer-Gymnasium verändert? Die Pilotklasse hat leihweise   Endgeräte für die Fächer Sport, Bio, Mathe, Deutsch und mittlerweile auch Englisch, erzählt Anika Buche. „Wir haben digital-analogen Unterricht gemacht,  also  immer an sinnvollen Stellen die digitalen Mittel eingesetzt. Wir haben gesagt, wir schöpfen aus der vollen Werkzeugkiste, um aus jedem Kind das Beste rauszuholen.“

Es gibt zudem zwei weitere Oberstufenkurse, die ebenfalls in Pilotprojekten die neuen Möglichkeiten einsetzen.   „Wir sind jetzt dabei, eine gemeinsame Vision zu entwickeln“, sagt Anika Buche. „Das ist ganz wichtig. Eine didaktische Veränderung, eine Transformation für die ganze Schule umsetzen zu wollen, setzt voraus, dass alle dahinter stehen, zumindest jedoch ein Großteil der Lehrer, Eltern und Schüler. Sie alle muss man dafür mit einbeziehen. In Abhängigkeit von dieser Vision wollen wir dann mit einer Strategie eine entsprechende Struktur finden. Darunter gibt es dann ein Gerätemanagement.“

„Gemeinschaftliche Ausrichtung entscheidend“

Die Schule hat 1600 Schüler, dass nun jeder ein Endgerät haben könnte, ist illusorisch. Die Kosten für den Schulträger würden im Millionenbereich liegen, wenn man etwa Laptops anschaffen würde. Meine Vision wäre: dass man in allen Fächern digitale und analoge Werkzeuge bestmöglich kombinieren will. Hierbei gehe es nicht nur um die Finanzmittel, sondern auch Lernmanagement oder Weiterbildung. Eine Schule sei nun einmal etwas anderes als ein Unternehmen, wo die Führungsebene das entscheide. „Bei einer Schule ist eine gemeinschaftliche Ausrichtung entscheidend“, sagt Anika Buche.

In der Pilotklasse haben die Kinder ein vollwertiges Laptop. Sie lernen analog und digital. „Wir unterscheiden das nicht. Für Kinder ist das selbstverständlich, sie unterscheiden das nicht. Das machen nur Erwachsene, die in der analogen Welt aufgewachsen sind. Die sechste Klasse, in der ich jetzt unterrichte, die zoomen sogar an der Tapete, für die ist das total normal.“ Es gebe viele Projekte im Unterricht, etwa in Mathematik. Die Kinder haben sich mit einem 3-D-Programm ein Traumzimmer gebaut. Sie haben sich dabei mit Dezimalzahlenrechnung, Winkel, Flächenberechnung, Brüchen auseinandergesetzt. Das Zimmer wurde komplett eingerichtet, in Excel konnten sie errechnen, was sie ausgeben wollten. Wände streichen, Fußboden legen, alles gehörte dazu. Zum Schluss haben sie mittels Powerpoint ein Video gedreht und einen virtuellen Rundgang durch ihr Zimmer gemacht und es ihren Klassenkameraden vorgestellt.

Unterricht nach Plan

Das sei auch eine Hilfe in der Corona-Krise gewesen, es habe sich „total ausgewirkt, das war  großartig“. In der Pilotklasse war es großartig, weil sie von der digitalen Arbeit profitierten. „Wir konnten ganz normal Unterricht nach Plan gemacht. In One-Note haben sie ihre Aufgaben erhalten. Durch von mir hineingestellte Erklärfilme haben sich die Kinder den Umgang mit bestimmten Tools selbst beigebracht. Das alles war sehr hilfreich, das war auch die Rückmeldung der Eltern.“

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Anika Buche bietet auch Online-Fortbildungen für ihre Kollegen und Kolleginnen an. „Die Lehrkörper waren sehr fit“, sagt sie. Davon hätten die Kinder äußerst profitiert in dieser Ausnahmesituation. Das Neue würde die Lehrer nicht abschrecken. „Es gibt ganz viele an unserer Schule, die helfen“, sagt sie. Die meisten seien sehr motiviert, aufgeschlossen und neugierig. „Das Kollegium ist sehr aufgeschlossen“, berichtet Schulleiter Thorsten Jürgensen-Engl. Aktuell würden alle sehr von dem Projekt profitieren. Ihr Projekt „edu-sense“ soll aber auch anderswo Schule machen.

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