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„Drohungen gegen meine Kinder“Kerpens Bürgermeister über Gründe für seinen Rückzug

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Bürgermeister Dieter Spürck berichtet über die Gründe seines Rückzuges aus der Politik.

  • Kerpens Bürgermeister Dieter Spürck (CDU) tritt bei der diesjährigen Kommunalwahl nicht mehr an.
  • Er gab „familiäre Gründe” als Begründung an. Im Gespräch mit unserer Zeitung wird er nun etwas konkreter.
  • Dabei geht es um Sachbeschädigung und um Bedrohungen gegen die Familie.

Kerpen – Der Kerpener Bürgermeister Dieter Spürck (CDU) tritt bei der Kommunalwahl im September dieses Jahres nicht mehr zur Wahl an. Im Interview mit dieser Zeitung spricht er über seine Beweggründe.

Herr Spürck, Ihre Ankündigung, nicht mehr für das Bürgermeisteramt kandidieren zu wollen, hat alle überrascht. Sie führen familiäre Gründe an. Doch es bleiben Fragen. Sie nennen „verschiedene Bedrohungslagen“ und „teilweise massive Eingriffe in die Privatsphäre meiner Familie“ als Rückzugsgründe. Was meinen Sie konkret damit?

Spürck: Ich hätte große Lust gehabt, noch einmal zu kandidieren, denn ich fühle mich körperlich und mental topfit, aber ich habe mich zunehmend gefragt »Was mute ich eigentlich meiner Familie zu?«.

Das sagt aber noch nichts über Eingriffe und Bedrohungen ...

Die Familie kriegt vieles ab, was gravierende Spuren hinterlässt, zum Beispiel wenn die Kriminalpolizei kommt und in Anwesenheit des eigenen Kindes das ganze Haus durchsucht und dabei höchstpersönliche Sachen mitnimmt. Oder auch, wenn persönliche Telefongespräche abgehört werden.

Zur Person

Am 28. September 1966 wurde Dieter Spürck (CDU) in Brühl geboren, machte dort Abitur, arbeitete beim Rhein-Erft-Kreis und dem Kölner Universitätsklinikum. Nach dem Jurastudium war er als Rechtsanwalt tätig, bis 2012 als Beigeordneter in Weilerswist, dann als 1. Beigeordneter in Kerpen. 2015 wurde er Bürgermeister. (rj)

Aber Sie sagen doch, an den Vorwürfen im Zusammenhang mit dem Verkauf der Villa Trips in Horrem sei nicht das Geringste dran? *

Ja, das ist ja auch so. Und das sieht auch meine Familie so, aber Politik ist teilweise ein sehr »dreckiges« Geschäft geworden, das teilweise auch über die Staatsanwaltschaft ausgefochten wird. Es gibt darüber hinaus eine zunehmende Verrohung in der ganzen Gesellschaft. Soweit mich das selbst betrifft, halte ich das für ein tragbares Berufsrisiko, aber nicht für meine Frau und meine Kinder. Ich will das im Detail nicht ausführen.

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Aber vielleicht wäre es einmal sinnvoll, wenigstens ein Beispiel zu nennen, damit die Kerpener mehr Verständnis entwickeln können ...

Wenn ich nach einer Diskussion über Flüchtlingsfragen gesagt bekomme, das wären doch alles »Kinderschänder« und »Mörder«. Und wenn irgendeinem Kind in Kerpen etwas geschehe, dann werde es meinen Kindern ebenfalls so gehen, dann hört man das nicht gerne. Auch im Briefkasten fand ich eine Nachricht mit der sinngemäßen Botschaft, dass meine Kinder es zu spüren bekämen, wenn ich mich nicht intensiver für den Hambacher Wald einsetzen würde. Das kann Fake sein, aber es ist nicht schön.

Das ist wahr. Haben Sie sich auch persönlich angegriffen gefühlt?

Es gab Ankündigungen, mir die Mafia auf den Hals zu hetzen oder sich bei mir zu Hause einzuquartieren. Einmal ist mir ein Auto langsam gefolgt, als ich zu Fuß von einem Termin wegging.

Es gab auch Sachbeschädigungen: Stimmt das?

Ja, ich hatte wiederholt Schrammen an meinem Auto. Vor meiner Haustüre hat man mir die Luft aus den Reifen gelassen. An der Rathaustüre hingen Beschimpfungen. Das mag alles Kleinkram und auch nicht einfach zuzuordnen sein, ich melde auch nicht jede Sache der Polizei, aber man wird dadurch doch vorsichtiger.

War Ihnen das vorher in irgendeiner Weise klar, dass der Job auch solche Seiten hat?

Das habe ich anfangs so nicht einschätzen können, besonders nicht die Beeinträchtigungen des Privatlebens.

Ist die Entscheidung denn langsam gereift oder haben Sie sie spontan getroffen, als das Maß voll war?

Nein, das ist langsam gereift. Ich habe diese Entscheidung lange vor mir hergeschoben. Deshalb musste ich sie jetzt auch zu einem schwierigen Zeitpunkt für meine Partei bekanntgeben. Das tut mir leid, denn es gibt noch so viel zu tun, das wir richtig erfolgreich angepackt haben: Haushaltskonsolidierung, Kindergärten, Schulen, den Aus- und Neubau von Grundschulen und natürlich dem Europagymnasium. Das hätte ich gerne weiter vorangetrieben. Nicht zu vergessen Kerpens Beitrag zum Strukturwandel.

Worin sehen Sie die tieferen Gründe für eine solche Verrohung?

Der Respekt gegenüber Amtsträgern nimmt generell rapide ab. Die Sprache verroht, ich will ja gar nicht von den Angriffen in den sozialen Medien reden. Da habe ich mich auch zunehmend zurückgehalten.

Kampagne der Landesregierung

Als Antwort auf Übergriffe und Anfeindungen gegen Politiker in den Gemeinden wird die Landesregierung noch vor der Kommunalwahl im Herbst eine „Respekt-Kampagne“ starten. Das kündigte Landeskommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) gestern im Landtag an. Die Kampagne solle bis zum Mai starten.

Der Bürgermeister von Kamp-Lintfort, Christoph Landscheidt (SPD), hatte eine bundesweite Debatte über die Sicherheit von Kommunalpolitikern ausgelöst, nachdem er von Bedrohungen aus der rechten Szene berichtet und einen Waffenschein beantragt hatte. Er erhält inzwischen Personenschutz. Insgesamt ist die Zahl politisch motivierter Straftaten gegen kommunale Amts- und Mandatsträger jedoch rückläufig. (rj/dpa)

In Ihrer Sitzungsleitung waren Sie aber oft sehr forsch und haben selbst Parteifreunde gemaßregelt. Provoziert das nicht auch den Widerspruch?

Vielleicht treffe ich nicht immer den richtigen Ton und bin vielleicht auch auf die ein oder andere Provokation hereingefallen, aber ich suche immer nach Kompromissen und habe sie immer wieder auch über Parteigrenzen hinweg gefunden. Übrigens mag gerade Ihr Beispiel der Parteifreunde aufzeigen, dass ich hier keinen Unterschied nach Parteibuch mache. Das gehört nach meinem Verständnis zu einer »straffen« Sitzungsleitung, die naturgemäß nicht jedem gefällt. Man lebt in solch einer Sitzung ja auch. Vielleicht können andere solche Sitzungen noch souveräner leiten.

Wie fühlt sich der Abschied für Sie an?

Es fühlt sich jetzt an wie eine massive Amputation, denn ich übe mein Amt mit viel Herzblut aus. Und das werde ich auch bis zum letzten Tag meiner Amtszeit so halten.

Und was werden Sie nach Ihrer Amtszeit beruflich machen?

Wahrscheinlich wechsele ich als Volljurist ins juristische Fach, zum Beispiel als Rechtsanwalt, aber es gibt noch nichts Konkretes.

* Im Zusammenhang mit einem umstrittenen Immobiliengeschäft eines Horremer Geschäftsmannes ermittelte die Kölner Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit gegen einen Mitarbeiter der Stadtverwaltung, einen Bauunternehmer und gegen Dieter Spürck selbst. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem auch das Haus des Bürgermeisters durchsucht. Der hatte den Fall selbst angezeigt und stets jede Schuld von sich gewiesen (lesen Sie hier die Einzelheiten nach). Ein Ergebnis der Untersuchung liegt bislang nicht vor.

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