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Kampf um Hambacher ForstImmer neue Aktivisten – Große Nervosität im Wald

Lesezeit 4 Minuten
Tagebau Hambach Polizei dpa

Polizisten unterwegs im Hambacher Forst. Die Situation spitzt sich zu.

Kerpen – So viele Baumhäuser thronten im Hambacher Wald noch nie. Etwa 40 Stück sollen es sein – und täglich werden ein oder zwei neue fertig. Auf ihnen wollen Waldbesetzer sich so lange es geht in den Kronen der Bäume verschanzen, damit RWE nicht wie geplant ab Oktober mit den Rodungen beginnen kann.

Musiker wollen helfen, den Hambacher Wald zu retten, indem sie ihn musizierend umrunden. Ein Wuppertaler Malerpaar schafft unter jahrhundertealten Baumriesen mannshohe „Baumporträts“ und beklagt, dass Menschen sich nicht mehr als Teil der Natur verstünden.

Manchmal wird der Protest aggressiv

Aber der Protest ist nicht nur bunt, sondern manchmal auch aggressiv. Aktivisten haben den Zugang zum Wald mit Schrottautos versperrt. RWE bat die Polizei um Hilfe. Während Mitarbeiter des Bergbaubetriebes ein Auto heraushoben und das Loch, in dem es eingegraben war, mit Beton ausgossen, sicherten mehrere Hundertschaften den Wald.

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Die Stimmung ist angespannt. Bei allen Beteiligten: RWE-Mitarbeitern, Polizisten, Waldbesetzern. Ständig treffen neue Aktivisten aus ganz Europa ein. Im Wald ist die Nervosität groß.

Manche Besetzer wollen nicht mehr von den Bäumen runterklettern, weil sie befürchten, auf dem Boden festgenommen zu werden. Es hat Gewalt gegeben. Schon zwei Mal flogen Molotowcocktails und Steine auf die Polizisten.

Die Polizei ordnet die Täter der gewaltbereiten linksautonomen Szene zu. Ein Beamter wurde von einem Zwillenschuss getroffen. Am Montag schauten sich Vertreter der Landesregierung, der Kreise und Städte mit Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach um. Polizeikräfte schützten die Delegation. Der Rundgang verlief ohne Zwischenfälle.

Wie sieht es um den Wald herum aus?

RWE hat am Rande des Tagebaus Container als Barrieren übereinandergestapelt. Dahinter arbeiten sich die Schaufelradbagger an den Hambacher Forst heran. Rund um das Waldgebiet sind Polizisten im Einsatz. So viele Mannschaftswagen und Spezialfahrzeuge hat man lange nicht mehr dort gesehen.

Gleichzeitig treffen immer mehr Demonstranten am Bahnhof Buir ein und wandern hinüber in den nahen Forst. Manche übernachten auf einer mit Bretterbuden bebauten Wiese eines Buirer Bürgers, auf der zahlreiche Waldbesetzer seit Jahren leben. Es wird immer voller. Die Situation spitzt sich zu.

Kann es zu noch mehr Gewalt kommen?

Davor warnten Mitglieder der Kohlekommission aus dem Bereich des Naturschutzes, die aus Berlin nach Kerpen-Manheim gekommen waren. Gemeinsam fordern diese Mitglieder der Kohlekommission vom Konzern RWE, auf die geplante Rodung im Hambacher Wald zu verzichten und den Ergebnissen der Kommission im Sinne des Klimaschutzes nicht vorzugreifen. Ziel sei, den Wald dauerhaft zu erhalten.

Was sagen RWE-Mitarbeiter dazu?

Matthias Dürbaum, Betriebsratsvorsitzender des Tagebaus Hambach, berichtete von Anrufen besorgter RWE-Leute, die im Vorfeld des Tagebaus arbeiten und sich vor gewalttätigen Auseinandersetzungen im Oktober fürchteten. Er und IGBCE-Bezirksleiter Manfred Maresch hätten es besser gefunden, wenn der Hambacher Forst schon früher geräumt worden wäre.

„Nun warten alle auf den großen Showdown, wenn die Rodungen beginnen“, befürchtet Maresch. Für ihn stehen Rodungen und die Arbeit der Kohlekommission in keinerlei Zusammenhang. „Wir haben eine Genehmigung für unsere Arbeiten. 2016 hat das Land unter Beteiligung der Grünen eine Leitentscheidung getroffen. Seitdem hat sich nicht soviel verändert, aber jetzt wird so getan, als sei das unrechtmäßig.“

Wie reagieren die Umweltverbände?

Mit Protest und Ablehnung: BUND-Vorsitzender Hubert Weiger, Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser, Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzringes, und Reiner Priggen vom Landesverband Erneuerbare Energien verstehen den Brief der RWE AG an die Vorsitzenden der Kohlekommission als „Riesenprovokation“ für die Klimabewegung.

In dem Schreiben besteht der RWE-Chef Rolf Martin Schmitz klar darauf, den Hambacher Wald weiter roden zu dürfen. Antje Grothus aus Kerpen-Buir, die für die Bürgerinitiative Buirer für Buir in der Kohlekommission sitzt, warnt eindringlich: „Es sind massive Bürgerproteste zu erwarten. Gleichzeitig ist der größte Polizeieinsatz in der Geschichte von NRW geplant. RWE eskaliert den Konflikt.“

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Reiner Priggen erinnert an die Praxis, mit der Tarifauseinandersetzungen geführt werden: „Solange verhandelt wird, gibt es eine Friedenspflicht.“ Der Konzern RWE solle sich ein Beispiel an dem Lausitzer Braunkohleunternehmen LEAG nehmen, fordert Priggen: „Denn dort ruhen die Rodungen, bis die Kommission ihre Arbeit gemacht hat.“

Gibt es denn eine Chance, den Restwald zu erhalten?

Darüber gehen die Meinungen auseinander. Für Bergbauexperten ist der Wald selbst bei einem sofortigem Braunkohleausstieg verloren. Der Tagebau müsste auch stillgelegt vergrößert werden, um die Böschungen stabil abzuflachen.

Umweltschutzverbände sehen im Hambacher Wald ein Symbol. Wenn man es schaffe, ihn zu erhalten, so BUND-Vorsitzender Weiger, dann schaffe man auch einen gesellschaftlichen Konsens, die Klimakrise zu stoppen.

Warum ist der Wald so wertvoll?

Der Hambacher Wald mit jahrhundertealten Buchen und Eichen war vor Beginn der Kohleförderung 4100 Hektar groß. Nach Angaben von RWE werden 3900 Hektar gerodet. Der Wald hat laut BUND eine 12.000 Jahre lange Geschichte. Hier leben streng geschützter Arten wie Bechsteinfledermaus, Springfrosch und Haselmaus.

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