Nabelschnurblut verschwundenKrebsvorsorge wird für Kerpener Familie zum Albtraum

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Hans-Jürgen und Andrea Quadt und ihre Tochter Victoria aus Kerpen befürchten, dass sie auf eine dubiose Firma reingefallen sind.

Hans-Jürgen und Andrea Quadt und ihre Tochter Victoria aus Kerpen befürchten, dass sie auf eine dubiose Firma reingefallen sind.

  • Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Text aus unserem Archiv, der unsere Leser besonders interessiert hat. Er wurde zum ersten Mal am 23.01.2020 veröffentlicht

Kerpen-Horrem – „Meine Familie ist mit Krebs belastet“, sagt Hans-Jürgen Quadt. Der heute 52-jährige Angestellte erkrankte schließlich 2001 selbst an Krebs, konnte aber erfolgreich behandelt werden. Als er mit seiner Frau Andrea Nachwuchs erwartete und 2003 die Tochter Victoria geboren wurde, war für das Ehepaar klar, dass Victoria vor möglichen erblichen Belastungen geschützt werden musste. „Damals gab es so einen Hype um die Einlagerung von Nabelschnurblut, das haben wir dann auch gemacht. Es kann ja nicht schaden, dachten wir uns.“

Aus Nabelschnurblut können Mediziner körpereigene Stammzellen züchten, die bei der Behandlung vieler Krankheiten – etwa bei Krebs oder Diabetes – nützlich sein sollen. Für die Einlagerung der Proben schloss die Familie einen Vertrag mit der Firma Cryo-Care GmbH ab, die einen Standort in Köln hatte. Ein Zertifikat vom 31. Juli 2003 bestätigt, dass Stammzellen von Victoria Quadt in zwei getrennten Röhrchen unter bestimmten Referenznummern in den Laboratorien von Cryo-Care eingelagert seien.

Nabelschnurblut von Kerpener Familie ist mittlerweile in Polen

Die Familie wähnte das wichtige biologische Material in Sicherheit. Doch mittlerweile befürchtet sie, von dubiosen Geschäftemachern hereingelegt worden zu sein. Denn die Nabelschnurblutproben der Tochter sollen mittlerweile in Polen gelandet sein. Dies teilte die dortige Firma PBKM FamiCord der Familie im Herbst 2020 mit.

Nach der Einlagerung bei Cryo-Care, die rund 1300 Euro für 20 Jahre kostete, hörten die Quadts erst einmal lange Zeit nichts mehr davon. 2008 bekamen sie dann ein Schreiben von Cryo-Care, wonach das Unternehmen seine Geschäftsfelder mit der Cryo-Save GmbH aus Aachen zusammengelegt habe. Die Cryo-Save Gruppe sei der „europäische Marktführer mit zurzeit über 70.000 eingelagerten Proben“, heißt es in dem Schreiben. „Sie profitieren automatisch vom Know-how und der Sicherheit des führenden Anbieters.“ Auch wurde versichert, dass die eingelagerten Stammzellen an „unverändert gleicher Stelle“ verbleiben würden.

Geschäftsführer von Cryo-Save wird in der Schweiz verhaftet

Danach hörten die Quadts wieder jahrelang nichts mehr von den eingelagerten Proben ihrer Tochter. Da langsam auch die schon bezahlte Einlagerungszeit von 20 Jahren ablief, versuchte Hans-Jürgen Quadt, mit dem Unternehmen Kontakt aufzunehmen. „Da ging aber keiner mehr ans Telefon.“ Auch beim Handelsregister in Aachen habe er angerufen. Dort habe es geheißen, die Firma gebe es noch. Quadt recherchierte weiter und stieß dann in Internetforen auf andere Betroffene.

Besonders in der Schweiz, wo die Proben anscheinend gelagert wurden, sei das Thema richtig „hochgekocht“. Dort sei sogar der Geschäftsführer von Cryo-Save verhaftet worden, nachdem die Firma Konkurs angemeldet habe. Wie das schweizerische Bundesamt für Gesundheit im Oktober 2019 mitteilte, habe man bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Genf eine Strafanzeige gegen das Unternehmen Cryo-Save AG Plan-les-Ouates (Genf) beziehungsweise die verantwortlichen Personen eingereicht. Es bestünden Hinweise, dass die Firma gegen das Transplantationsgesetz (Verletzung von Melde- und Mitwirkungspflichten) verstoßen und sich strafbar gemacht habe.

„Es findet sich in Deutschland keiner, der dafür zuständig ist“

Für ratlose Schweizer Kunden stellte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf seiner Homepage Informationen zum Thema zusammen. Auch gab es einen Link zur polnischen Stammzellenbank PBKM FamiCord, wo die Proben nun gelagert sein sollen. Diese seien dort sicher. Während sich die Schweiz also um die ehemaligen Kunden von Cryo-Save kümmert, fühlen sich Hans-Jürgen und Andrea Quadt von den deutschen Behörden alleingelassen. Wurde geprüft, ob wirklich alle Cryo-Save Proben nun in Polen sicher sind? Wer kann bestätigen, dass die Proben der Tochter noch vorhanden und nicht womöglich vertauscht wurden? Kann man der polnischen Firma vertrauen, um einen neuen Vertrag für eine weiter Lagerung abzuschließen?

Das sind Fragen, auf die Hans-Jürgen Quadt gern Antworten hätte. „Es findet sich in Deutschland aber keiner, der dafür zuständig ist“, meint er. So habe er etwa bei der Polizei Anzeige gegen Cryo-Save stellen wollen. „Doch der Polizist in Kerpen konnte mein Anliegen nicht einordnen.“

Kerpener Familie ist nach Schreiben verunsichert

Immerhin: Die Firma FamiCord bestätigte ihm im Oktober 2020, dass die Proben der Tochter „in unserem hochmodernen Labor in Warschau“ sicher eingelagert seien. Zudem verfüge man über Akkreditierungen von nationalen und internationalen Behörden und Institutionen, etwa auch des TÜVs. Anderseits berichtet die Firma auch, dass lediglich schätzungsweise 98 Prozent des biologischen Materials von Cryo-Save „sicher“ nach Polen transportiert worden seien. Zudem, so heißt es in einem anderen Schreiben, könne man für den Zeitraum, als noch Cryo-Save dafür zuständig gewesen sei, nicht für die „Qualität der Proben, ihre Vorbereitung und Lagerung haftbar gemacht werden“.

Hans-Jürgen Quadt ist verunsichert und will auch andere in der Region auf die Probleme mit Cryo-Save aufmerksam machen. Schließlich habe es sich ursprünglich um eine Firma mit Standort in Köln, gehandelt. „Hoffen wir, dass das in Polen wirklich die Stammzellen unserer Tochter sind.“

Familie Quadt müsste 700 Euro für neuen Lagervertrag zahlen

Ob er einen neuen Lagervertrag mit FamiCord abschließen wird, weiß er noch nicht. Rund 700 Euro würde dies für zehn Jahre kosten. „Am liebsten wäre mir, die Proben würden nach Deutschland zurückgeholt.“

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In einer Stellungnahme zu dem Fall aus Horrem wies das Bundesgesundheitsministerium darauf hin, dass dem Ministerium die Vorgänge um die Nabelschnurblutbank Cryo-Save/Care nicht bekannt sind. Aber auch für eine Einlagerung von Nabelschnurblut in Polen bedürfe es eine behördliche Erlaubnis und diese unterliege der Überwachung. Die EU habe dafür Richtlinien für Qualitäts- und Sicherheitsstandards erlassen. „Durch die erforderlichen personen- und sachbezogenen Anforderungen soll die notwendige Sicherheit gewährleistet werden.“

Weitere Informationen: Nutzen von Nabelschnurblut bleibt umstritten

Stammzellen aus Nabelschnurblut können Menschen helfen, die an Krankheiten leiden, bei denen die eigenen Stammzellen nicht richtig funktionieren oder von Krebszellen verdrängt werden, zum Beispiel bei Blutkrebs. Die Einlagerung von Nabelschnur-Restblut Neugeborener zur späteren Eigennutzung wird so von vielen verschiedenen kommerziellen Unternehmen gegen Bezahlung angeboten.

Ob sie medizinisch sinnvoll ist, bleibt umstritten. So schreibt die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation etwa 2017 in einer Stellungnahme, dass die Nutzung solcher eingelagerten Blutproben für ein Kind in Deutschland derzeit äußerst unwahrscheinlich sei. Bei Erwachsenen sei es „rein spekulativ“, ob eine Behandlungsform mit Stammzellen aus eigenem Nabelschnurblut anderen Behandlungsformen überlegen ist.

Bei Familien mit besonderer Krankheitsbelastung könne eine Nabelschnurbluteinlagerung aber möglicherweise sinnvoll sein. Hier solle man sich von Ärzten beraten lassen. „Mütter von gesunden Neugeborenen und ihre Familien sollten wissen, dass es nach dem heutigen Stand des Fachwissens kein Versäumnis darstellt, Nabelschnurblut des Kindes nicht einzufrieren“, heißt es in der Stellungnahme weiter.

Die gemeinnützige DKMS – die deutsche Knochenmarkspenderdatei – bietet über eine Tochtergesellschaft eine Nabelschnurblutspende an. Hierfür arbeitet sie mit bestimmten Kliniken zusammen – allerdings mit keiner in der Region Köln. Dabei wird das eingelagerte Blut jedoch nicht für den Spender reserviert, sondern es kann für andere Personen verwendet werden, wenn diese krank sind und es eine ausreichende Übereinstimmung der Gewebemerkmale gibt.

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