Radfahrer Michael Pfeil erzähltWenn der Weg zur Arbeit lebensgefährlich wird

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Der Radsportler zwischen vielen Autos auf dem Nachhauseweg auf der Allner Brücke über die Sieg

Der Radsportler zwischen vielen Autos auf dem Nachhauseweg auf der Allner Brücke über die Sieg

Much – Michael Pfeil aus Much fährt im Jahr circa 17.000 Kilometer mit dem Fahrrad, auf dem Weg zur Arbeit nach Hennef und als erfolgreicher Sportler beim RV Blitz Spich (fünffacher Weltmeister, Europameister, Deutscher Bergmeister). Olaf Pohl sprach mit dem 58-Jährigen, der immer mit Kamera fährt, um gefährliche Situationen dokumentieren zu können.

Wie nehmen Sie das Zusammenspiel von Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern wahr? Der Verkehrsraum ist ja für alle da.

Eine heikle Frage. Mein Eindruck ist, dass jeder nur an sich denkt. Autofahrer fühlen sich oft durch Radfahrer gestört, Fußgänger durch Radfahrer und Radfahrer durch Fußgänger, die oft mitten auf Radwegen gehen und natürlich auch durch Kraftfahrer, die viel zu dicht und viel zu schnell überholen. Auch als sportlicher Radfahrer bin ich meist defensiv und zurückhaltend unterwegs.

Radfahrer werden aber nicht selten kritisiert, dass sie sich nicht an Verkehrsregeln halten und dadurch gefährliche Situationen provozieren.

Das habe ich hier eher selten gesehen. Auf dem Land besteht das Vergehen meistens darin, dass nicht auf einem benutzungspflichtigen Radweg gefahren wird. In Städten allerdings sieht man ab und zu Radfahrer, die bei Rot über eine Ampel fahren. Mit der Radwegebenutzungspflicht ist aber das so eine Sache. Viele Radwege sind in einem katastrophalen Zustand. Insbesondere die vielen Wurzelaufbrüche sind für Radfahrer sehr gefährlich. Mit den hart aufgepumpten schmalen Rennradreifen sind solche Radwege quasi nicht befahrbar.

Ich habe vor ein paar Jahren alle Kommunen im Rhein-Sieg-Kreis, durch die ich fast täglich mit dem Rad fahre, angeschrieben und darum gebeten, die Radwege auf eine Benutzungspflicht hin zu untersuchen und die blauen Schilder gegebenenfalls zu beseitigen. An manchen Stellen, innerorts oder bei Radwegen, deren Mindestbreite nicht erreicht wird, wurde inzwischen tatsächlich die Radwegebenutzungspflicht aufgehoben.

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Haben Sie schon lebensgefährliche Situationen erlebt?

Ja. Ich werde täglich von einigen Kraftfahrern zu dicht und zu schnell überholt. Oft wird mir die Vorfahrt genommen, insbesondere wenn ich schnell fahre, bergab oder auch beim Zeitfahrtraining. Immer mehr Kraftfahrer blinken beim Überholvorgang nicht. Ich kann mich an zwei besonders heikle Situationen erinnern. Da wurde ich von größeren Fahrzeugen sehr eng und ohne zu blinken überholt. Die dicht dahinter fahrenden Fahrzeuge konnten mich nicht sehen und fuhren noch etwas weiter rechts. Die rasten dann im Abstand von wenigen Zentimetern an mir vorbei. Im September 2017 bin ich von einer Autofahrerin, die aus einer Seitenstraße kam, über den Haufen gefahren worden. Helm kaputt, Fahrrad viermal gebrochen, aber ich hatte Glück. Ich war auf dem Weg zum Büro und trug einen Rucksack, auf dem ich mehr oder weniger sanft nach einem mehrere Meter langen Flug gelandet bin. So blieb es bei Verstauchungen, Prellungen und Hautabschürfungen.

Was ist mit Radschutzstreifen?

Diese haben ihren Namen nicht verdient. Meiner Erfahrung nach wird man an solchen Schutzstreifen fast immer so überholt, dass die rechten Reifen des Fahrzeugs die Trennlinie zum Schutzstreifen so gerade nicht berühren. Die Kraftfahrer sind offenbar der Meinung, dass damit sämtliche andere Regeln, zum Beispiel den Radfahrer mit angemessener Geschwindigkeit und angemessenem Abstand zu überholen, außer Kraft gesetzt werden.

Ein Lastwagen überholt Michael Pfeil. Die Kamera des Radlers zeigt, wie dicht ihm das tonnenschwere Fahrzeug auf die Pelle rückt.

Ein Lastwagen überholt Michael Pfeil. Die Kamera des Radlers zeigt, wie dicht ihm das tonnenschwere Fahrzeug auf die Pelle rückt.

Sie haben Kameras an Ihrem Fahrrad angebracht.

Da ich immer wieder vorsätzlich durch sehr dichtes Überholen, Abdrängen oder Ausbremsen gefährdet worden bin, habe ich mir Front- und Heckkamera angeschafft, die jeweils in den Lampen integriert sind. Sie zeichnen jede Fahrt endlos in mehreren jeweils ein paar Minuten langen Videos auf. Ist die Speicherkarte voll, wird das älteste Video automatisch wieder überschrieben. Ich habe einige Vorfälle zur Anzeige gebracht. In einem Fall wurde der Fahrer verpflichtet, ein Anti-Aggressionsseminar zu besuchen. Bei zwei anderen Fällen kam es nach drei Monaten zu einer Gegenüberstellung. Andere Anzeigen wurden nicht weiter verfolgt. Mehr Erfolg hatte ich in den Fällen, wo ich durch Fahrzeuge mit Firmenaufschriften gefährdet wurde. Ich habe dann jeweils den Chef der Firma angeschrieben, den Sachverhalt geschildert und die Gefahren für den Radfahrer erläutert.

In Bonn wirbt die Polizei mit der Aktion „Seitenabstand 1,5 Meter“ für mehr Sensibilität gegenüber Radfahrern, mit Aufklebern auf den Streifenwagen. Was halten Sie von dieser Aktion?

Das finde ich sehr gut. In der Tat wissen viele Kraftfahrer nicht, dass Radfahrer mit mindestens eineinhalb Meter Abstand überholt werden müssen oder aber wie viel eineinhalb Meter sind. Auf den schmaleren Landes- und Kreisstraßen muss der Überholende eigentlich komplett auf der Gegenfahrbahn fahren, um den Mindestabstand einhalten zu können. Daran hält sich kaum jemand.

An mehreren Stellen gebrochen war das Fahrrad nach dem Unfall, bei dem Pfeil jedoch glimpflich davonkam.

An mehreren Stellen gebrochen war das Fahrrad nach dem Unfall, bei dem Pfeil jedoch glimpflich davonkam.

Was könnte man aus Ihrer Sicht sonst noch tun, um einen Bewusstseinswandel herbeizuführen?

Früher gab es im Fernsehen die Sendung „Der 7. Sinn“. Da wurde man über Gefahren im Straßenverkehr informiert. Es wäre schön, wenn diese Sendung wieder ausgestrahlt würde und die Bevölkerung über die Regeln im Zusammenhang mit dem Radfahren aufklären würde.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Situation in absehbarer Zeit bessert?

Kaum, eher im Gegenteil. Die Anzahl der Fahrzeuge nimmt zu, sie werden immer breiter, für Radfahrer bleibt immer weniger Platz.

In Sankt Augustin verunglücken besonders viele Radfahrer

Ein gefährliches Pflaster für Fahrradfahrer scheint Sankt Augustin zu sein. Im vergangenen Jahr verunglückten dort 69 Menschen mit dem Rad, so viel wie in keiner anderen Kommune des Kreises. Für Troisdorf, die größte Stadt, listet die Statistik der Kreispolizeibehörde 57 Unfälle mit verletzten Radlern auf; in Siegburg waren es 47, in Hennef 26, in Lohmar und Niederkassel je 22, in Eitorf 10.

Im gesamten rechtsrheinischen Kreisgebiet (ohne Königswinter und Bad Honnef) ist die Zahl der verunglückten Radfahrer seit Jahren konstant. 2017 lag sie bei 272 Menschen, die zumeist leichte Verletzungen (228) erlitten. Ein Mensch starb, 43 wurden schwer verletzt (2016: vier Tote, 32 schwer Verletzte). Gestiegen ist der Anteil der verunglückten Kinder von 38 im Jahr 2016 auf 45; und der Senioren (Alter ab 65) von 48 in 2016 auf 56 in 2017. (coh)

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