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„Darf die das?“Bonnerin will als erste deutsche Frau ins All – und wird kritisiert

Lesezeit 5 Minuten
Unter Wasser simuliert Insa Thiele-Eich, wie sie Mondsandproben entnimmt.

Unter Wasser simuliert Insa Thiele-Eich, wie sie Mondsandproben entnimmt.

  • Insa Thiele-Eich könnte die erste deutsche Frau sein, die im kommenden Jahr ins All fliegt.
  • Dafür erhält sie auch viel Kritik. Eine Frau im All? Auch noch Mutter? Kann und darf die das überhaupt?
  • Vorbild für Mädchen und Frauen zu sein, ist für sie deshalb zu einer Herzensangelegenheit geworden.

Köln – Wenn man mit Insa Thiele-Eich spricht, rückt Unerreichbares in nächste Nähe: Astronautin werden, warum denn nicht? Ein Flug ins All? Letztlich eine Art Dienstreise. Geht das auch als dreifache Mutter? Es geht. Vielleicht kann die 36-Jährige diese Fragen mit überzeugender Leichtigkeit bejahen, weil ihr Vater schon oben war. 2000 flog Gerhard Thiele an Bord der Endeavour in den Weltraum. Und er hatte vier Kinder.

Während seines Trainings lebte er mit seiner Familie in Houston. Die Kinder gingen dort zur Highschool. „Ich wollte mir als Teenie beim Start nicht die Blöße geben und totale Aufregung zeigen.“ Sie entschied sich für eine „gewisse Coolness“, sei aber schließlich doch beeindruckt gewesen. „Die Energie, mit der die Rakete in den Himmel getrieben wurde, habe ich am ganzen Körper gespürt.“

Zwölf Jahre lang musste ihr Vater auf diesen Einsatz warten. Sie selbst könnte etwas mehr Glück haben – und nach drei Jahren hoch zur internationalen Raumstation ISS. 2017 wurde Insa Thiele-Eich zusammen mit einer weiteren Frau von einer privaten Initiative, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Airbus als Astronautin ausgewählt. Seither läuft die Ausbildung. 2020 soll es losgehen.

Vater hielt Insa Thiele-Eich bei Bewerbung zur Astronautin zurück

Die Wissenschaftlerin lacht viel im Gespräch, beinahe lakonisch erzählt sie, wie sich gerade ihr Kindheitstraum erfüllt. Dabei hat sie den Wunsch anfangs gar nicht konsequent verfolgt. Die gebürtige Heidelbergerin studierte Meteorologie, promovierte über Auswirkungen des Klimawandels und forschte an der Universität in Bonn.

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Als die Europäische Weltraumorganisation (ESA) das letzte Mal Astronauten suchte, dachte sie kurz über eine Bewerbung nach, wurde aber von ihrem Vater zurückgehalten: Zu jung, zu unerfahren. Sie wollte die nächste Mission abwarten. Die aber kam nicht. 2016 wurde indes die Stiftung „Die Astronautin“ gegründet, die sich ganz dem Ziel verschrieb, die erste deutsche Frau ins All zu bringen. Insa Thiele-Eich meldete sich auf die Ausschreibung und bekam die Stelle.

Insa Thiele-Eich geht es um den Dienst an der Menschheit

Ihre Entscheidung sei eine Folge „nüchterner Betrachtung“ gewesen. Der Anreiz, Astronautin zu werden, war nicht der Flug ins All allein. Denn der Start ist längst nicht gewiss. Was viele aber vergessen würden: „Astronauten haben einen Alltag und der ist vielseitig, spannend und macht Spaß – das habe ich ja schon bei meinem Vater gesehen.“ Russisch lernen, Parabelflüge absolvieren, Flugschein machen, forschen. Und: zu erfahren, wie man in extremen Situationen funktioniert.

„Ich liebe es, an meine psychischen und physischen Grenzen zu gehen.“ Eine der wichtigsten Eigenschaften, die sie für den Job mitbringt, sei die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Astronauten sind über lange Zeit isoliert von allem, was sie kennen und gerne haben. „Das sollte man seine Gefühle gut kennen und wissen, wie man wann reagiert.“

Grundsätzlich geht es ihr um den Dienst an der Menschheit: Die Erforschung des Weltraums sei schlicht notwendig, sagt sie: „Es wird einen Zeitpunkt geben, an dem wir alle die Erde verlassen müssen. Wenn es uns dann noch gibt.“ Durch Experimente auf der ISS erhoffen sie und ihr Team sich Erkenntnisse über die weibliche Physiologie.

Frauen reagieren anders auf Schwerelosigkeit als Männer. Letztere verlören zum Beispiel mit der Zeit die Sehfähigkeit. Dazu gebe es in Deutschland aber nur wenige Forschungsergebnisse. Daten etwa aus den USA würden nicht geteilt und jene der bislang drei europäischen Astronautinnen genügten nicht, um zuverlässige Aussagen zu treffen. „Ich habe deshalb das Gefühl, auch als Frau einen wichtigen Beitrag zu leisten.“

Mission von Insa Thiele-Eich wäre die erste kommerzielle

Sie wäre aber nicht nur die erste deutsche Frau, die die Erde von außen betrachten könnte. Der Weg dorthin würde hierzulande zum ersten Mal auch mit privaten Mitteln finanziert. 50 Millionen Euro hat die Initiative für das Projekt veranschlagt. In Deutschland ist die kommerzielle Raumfahrt ein Novum. „Wir sind die ersten hier, die das ausprobieren. Dafür haben wir noch kein Formular. Es gibt keinen vorgegebenen Weg, nicht mal einen Trampelpfad.“ Die Suche nach Mitteln ist deshalb mühsam.

In Deutschland löste ihre Nominierung viel Kritik, sogar Spott aus. Eine Frau im All? Auch noch Mutter? Kann und darf die das überhaupt? Wie putzig! Als sie ihr drittes Kind bekam, erhielt sie Mitleidsbekundungen. Damit müsse die Karriere ja nun definitiv beendet sein. Für Insa Thiele-Eich verstand nicht. In den USA wäre das niemals ein Thema gewesen.„Ich halte das zwar aus“, sagt sie. „Aber manchmal kann ich nur mit den Ohren schlackern, wenn ich das Gerede höre.“

Seither weiß sie, wie bitter nötig Deutschland eine Astronautin hat. „Wenn es klappt, schicken wir die zweite, dritte und vierte Frau gleich hinterher, damit sich die Lage hier mal beruhigt.“ Vorbild für Mädchen und Frauen zu sein, ist inzwischen zu einer Herzensangelegenheit geworden. Sie will für Naturwissenschaften und Technik begeistern und reist jetzt also auch mit dieser Botschaft durch die Republik.

„Es klingt vielleicht platt“, meint sie. Aber die Verbindung zur heutigen Herausforderung sei ja mehr als offensichtlich. „Ich habe den Anspruch, meine Bekanntheit zu nutzen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen.“ Bei diesem Thema pausiert Insa Thiele-Eich nachdenklich. Abgesehen vom Flug ins All hat sie ein Ziel, dessen Erreichbarkeit ähnlich in frage steht. Sie habe das Privileg gehabt, viel schöne Flecken auf der Erde zu sehen, die heute zerstört werden. „Ich würde gerne mit meinen Kindern diese Orte noch einmal besuchen und habe Angst, dass es nicht mehr geht.“

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