Familiendrama in BonnVater sorgt sich um Wohl seiner Tochter – Jugendamt stellt sich quer

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Guido Neumann (Name geändert) sorgt sich um das Umfeld, in dem seine Tochter lebt. Doch das Jugendamt schenkt ihm keinen Glauben.

Guido Neumann (Name geändert) sorgt sich um das Umfeld, in dem seine Tochter lebt. Doch das Jugendamt schenkt ihm keinen Glauben.

Bonn – Guido Neumann heißt weder Guido noch Neumann. Er hat sich diesen neutralen Namen ausgedacht, weil er im Interesse seiner Tochter, die wir in dieser Geschichte Melanie nennen, und ein bisschen auch im eigenen Interesse anonym bleiben möchte. Dabei würde er eigentlich gerne erkannt werden und seine Wut öffentlich herausschreien – vor allem in Richtung städtisches Jugendamt Bonn, dem zweiten Hauptakteur in diesem Familiendrama. Doch die Behörde wird zum Fall nichts sagen und beruft sich dabei auf den Sozialdatenschutz. „Sie verbarrikadieren sich dahinter, weil es so praktisch ist“, sagt Neumann bitter.

„Sie muss da dringend raus, aber mir sind die Hände gebunden“

Vordergründig geht es um einen Sorgerechtsfall, um das Verhältnis zu seiner Tochter, die nach der Trennung der unverheirateten Eltern bei der Mutter lebt und zu der er seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. Ein Vater kämpft um sein Kind, aber nicht, weil er es seiner früheren Lebensgefährtin wegnehmen möchte. Vielmehr aus der Sorge, dass das Umfeld, in dem Melanie – die in diesen Tagen 15 geworden ist – seit Jahren lebt, einen ungünstigen Einfluss auf sie ausübt. Das sei sehr vornehm ausgedrückt, sagt Neumann, den wir in seiner spärlich eingerichteten Zwei-Zimmer-Wohnung in der Nähe von Bonn treffen. „Sie muss da dringend raus, aber mir sind die Hände gebunden.“ Britta, seine Ex, sei vor Jahren in die Wohnung einer Freundin gezogen, die er psychisch für mindestens so instabil hält wie sie selbst. Das eigentliche Problem aber sei die im selben Haushalt lebende Laura, genauso alt wie Melanie – von Lehrern als vernachlässigt, verwahrlost und suizidgefährdet beschrieben. Aber das Jugendamt, das die Situation kenne, habe daran nichts auszusetzen und unternehme nichts.

Wie sich Guido Neumann (52), ein stämmiger Zwei-Meter-Mann, dabei fühlt? „Traurig, wütend, hilflos, aber auch verletzt, verachtet, diskriminiert. Die ganze Palette.“ Anfang Juli hatte Melanie Geburtstag. Eine Karte und ein kleines Geschenk hat er ihr geschickt, aber ist unsicher, ob sie es bekommen hat. Nicht nur, weil sein Anwalt ihm davon abgeraten hat, unternimmt der ausgebildete Heilpraktiker zurzeit nichts, um sie zu treffen. „Ich warte, dass sie irgendwann auf mich zukommt. Die Hoffnung habe ich noch.“

Die letzte Begegnung war Anfang 2013

An seine letzte Begegnung mit Melanie in der Nähe ihrer Schule hat er schlimme Erinnerungen. Das war Anfang 2013. Damals war sie zwölfeinhalb. „Ich wollte ihr bloß sagen, dass ich weiter für sie da bin. Aber ich wusste, dass ihre Mutter sie gegen mich aufhetzt.“ Als Melanie ihren Vater sah, habe sie Tränen in den Augen gehabt und gezittert. „Dann ist sie weggerannt, als wäre ihr der Teufel persönlich auf den Fersen. Es war einfach nur schrecklich.“

Als die Beziehung des Paares zerbrach, war Melanie vier. Sie habe ihn regelmäßig besucht, bis Britta, als das Mädchen neun war, plötzlich das Jugendamt eingeschaltet habe. Die Wohnung sei zu klein, Melanie brauche ein eigenes Schlafzimmer. Neumann kam der Auflage nach und suchte sich eine größere Wohnung. Das Verhältnis zu Melanie sei sehr gut gewesen in dieser Zeit. Wir können ihre Mutter oder sie selbst nicht nach einer Einschätzung fragen. Die heute 41-Jährige lehnt Kontakt mit den Medien ab.

An dem guten Verhältnis zu Guido ändert sich auch nichts, als Melanie mit elf für einige Monate ganz beim Vater lebt, nachdem die Mutter einen Schlaganfall erlitten hat. Die Folgen sind so gravierend, dass Britta eine gesetzliche Betreuerin braucht. Soweit Guido Neumann weiß, dauert diese Betreuungssituation an.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie das Jugendamt den Fall einschätzt.

Mutter nach Schlaganfall auf Betreuung angewiesen

Jedenfalls kann sie nach der Entlassung aus einer Reha-Klinik nicht allein leben. Neumann nimmt seine Ex und Melanie zu sich auf, obwohl er inzwischen mit einer neuen Partnerin zusammenlebt. „Meine Freundin war natürlich nicht begeistert, aber es war eine Notlage, und sie hat es akzeptiert.“ Aus dem anschließend geplanten Umzug von Britta und Melanie in ein betreutes Mehrgenerationenhaus wird nichts.

Britta verschmäht das Angebot – und quartiert sich mit Melanie bei einer Bekannten aus Studienzeiten ein. Ihr müsse klar gewesen sein, dass die Frau – nennen wir sie Heike – psychisch krank sei. „Warum sie Melanie und sich selbst das angetan hat, ist mir bis heute absolut unverständlich“, sagt der konsternierte Vater, setzt seine Teetasse ab und schüttelt angewidert den Kopf. Das Sorgerecht haben weiterhin beide Elternteile – ein im Wortsinn geteiltes Recht. Neumann sagt, er habe keine spießigen Vorstellungen vom Zusammenleben, obwohl ihm das Jugendamt unterstellt, er lehne die neue Lebenssituation seiner Tochter allein wegen der Patchwork-Konstellation ab. Aber seit Melanie „in dieser seltsamen Kommune“ lebe, sei es stetig bergab gegangen mit ihr. Zwei psychisch labile Frauen, zumindest die eine auch exzentrisch. Dazwischen zwei pubertierende Mädchen. Heikes Tochter Laura soll sich mehrfach in der geschlossenen Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgehalten und Selbsttötungsabsichten geäußert haben. „Das ist doch kein Umfeld für meine Tochter“, empört sich Guido Neumann.

Jugendamt sieht „keine gewichtigen Anhaltspunkte einer Gefährdungslage“

Doch das Amt, das bei ihm ein fehlendes Kinderzimmer moniert hatte, nahm keinerlei Anstoß an den Wohnverhältnissen dort. Nicht mal daran, dass Mutter und Tochter zeitweise in einem Bett schliefen. In einer „Risiko-Einschätzung“ von 2014, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, heißt es, es gebe „keine gewichtigen Anhaltspunkte einer Gefährdungslage, die von der aktuellen patchworkartigen Wohn- und Lebenssituation“ ausgehe.

Als er durch die Schule erfährt, dass Melanies Leistungen sich rapide verschlechtert hätten, schaltet Neumann einen renommierten Psychiater ein. In seinem Gutachten kommt Prof. E. zu dem Schluss, bei dem Mädchen sei eine Psychotherapie „dringend angezeigt“. Er diagnostiziert „depressive Verstimmung, Antriebsverarmung und sozialen Rückzug“. Ihre familiäre Situation wird als „misslich“ bezeichnet. Melanies Mutter sei „neurologisch ernsthaft erkrankt“ und auf die Hilfe des Kindes angewiesen. Zugleich habe sie dafür gesorgt, dass eine Psychotherapie abgebrochen worden sei.

Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ liegt eine besorgte Stellungnahme einer Bonner Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin vor, die Melanie gern geholfen hätte, wenn ihre Mutter ihr die Chance dazu geben hätte. In dem Bericht wird betont, dass Melanie mit ihrer Situation überfordert war. Nach der „tragischen Erkrankung“ ihrer Mutter habe sie „einen Rollenauftrag entwickelt“, sie sei „im Grunde ihre Aufpasserin und bemuttert sie“. Gerade angesichts dieser prekären Lage, kritisiert die erfahrene Therapeutin, wäre es sinnvoll gewesen, „dass der Vater alternierend hätte einspringen können“. Bedauerlicherweise sei eine Mediation durch das Jugendamt unterblieben und der „Parteienstreit“ zwischen den Eltern unnötig verschärft worden. Schlimmer noch: Von Behördenseite seien „alle Vatergefühle negativ eingestuft worden“. All dies aber hat das Jugendamt nicht zum Handeln bewogen.

Amt stütze sich parteiisch auf Darstellung der Mutter

Melanies frühere Klassenlehrerin bestätigt in einer ebenfalls vorliegenden eidesstattlichen Erklärung, das Mädchen habe das Verhältnis zu ihrem Vater als sehr positiv geschildert, auch in Krisenzeiten. „Das passte denen einfach nicht ins Konzept“, sagt Guido Neumann und setzt frisches Teewasser auf. Beim Jugendamt gilt er längst als Enfant terrible. Nachdem er bei teils unangekündigten Besuchen ungeduldig und gegenüber Mitarbeitern auch laut geworden ist, erhielt er Hausverbot.

Wie konnte es zu dieser Eskalation kommen? Was ist dran an den Vorwürfen Neumanns, die sein Anwalt Ziar Kabir teilt, dass sich das Amt einseitig und parteiisch auf die Darstellung der Mutter stütze, dem Vater aber keinen Glauben schenke und ihn nur unzureichend angehört habe? Obwohl Ex-Partnerin Britta mehrfach unrichtige Behauptungen über den „KV“ – wie der Kindsvater im Behördendeutsch heißt – aufgestellt hat? Weshalb sind im Rahmen des Clearing-Verfahrens keine „entlastenden“ Stimmen gehört worden?

Und vor allem: Wie kommen die Jugendamt-Fachkräfte dazu, den Kampf des Vaters um das Wohl seiner Tochter als „übergriffiges Verhalten“ hinzustellen?

Es mag ja sein, dass Teenager Melanie sich durch die Kontaktversuche des Vaters gelegentlich „genervt“ gefühlt hat. Was aber berechtigt das Jugendamt dazu, den Spieß umzudrehen und zu der kühnen Feststellung zu gelangen, „wenn, dann geht eine mögliche Kindeswohlgefährdung vom Vater aus – durch dessen wiederkehrende Unterdrucksetzung“?

Fragen über Fragen, doch die Stadt Bonn und ihr Jugendamt schweigen beharrlich. Stadtsprecherin Monika Hörig teilt auf Anfrage mit, dass man sich „inhaltlich“ nicht zu dem Fall äußern werde. „Das Wohl des Kindes, das wir bei inhaltlichen Äußerungen gefährdet sehen, ist uns wichtiger als unser Image.“

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