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Getöteter Polizist aus BonnBeschuldigter bricht sein Schweigen

Lesezeit 4 Minuten
Schießstand Symbolbild dpa

Ein Polizist beim Training (Symbolbild)

Bonn – Die letzten Worte der Traueranzeige seiner Liebsten sprechen für sich: „Das Schönste, was ein Mensch hinterlassen kann, ist ein Lächeln im Gesicht derjenigen, die an ihn denken.“ Am Freitagmittag hat seine Familie ihn zu Grabe getragen. Julian R., Polizeikommissar, 23 Jahre alt, starb bei einer Übung durch den Schuss eines gleichaltrigen Kollegen im Bonner Polizeipräsidium.

Über Facebook hatten seine Kollegen zu einer bundesweiten Schweigeminute der Polizei um zwölf Uhr aufgerufen. Ein Gedenken an eine tödliche Tragödie sondergleichen, die seit jenem 26. November die Gemüter weit über Bonn hinaus bewegt. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nahm wie die gesamte Bonner Polizeispitze auch an der Trauerfeier in der Kirche St. Maria Magdalena im Stadtteil Endenich teil.

Tragische Kurzschlussreaktion?

Derweil laufen die Ermittlungen gegen den Schützen weiter. Bisher hatte der 23-jährige Polizeikommissar Martin D. (Name geändert) sich nicht zum Geschehen geäußert. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Justizkreisen erfuhr, hat der Beamte Mitte vergangener Woche sein Schweigen gebrochen und sich über seinen Anwalt schriftlich bei Polizei und Staatsanwaltschaft eingelassen.

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Glaubt man den Schilderungen des Beschuldigten, so handelt es sich um eine tragische Kurzschlussreaktion, die zum Tod des Kollegen führte. Demnach sollte Martin D. nach einer Amoklaufübung seine Dienstwaffe aus dem Spind holen. Als diese nicht im Holster einschnappte, will er die Walther P99 herausgeholt und überprüft haben. Just in dem Moment schreckte ihn ein Geräusch auf. Julian R. kam durch die Tür.

In dem Moment löste sich nach Darstellung des Schützen der Schuss. Das Projektil traf dem Kollegen in den Hals. Tagelang rang der Getroffene mit dem Leben, bis er starb. Spekulationen, wonach der Schütze ungefährliche Übungswaffen mit seiner scharfen Pistole verwechselte und aus Jux abdrückte, scheinen nach der Einlassung vom Tisch.

Häuserkampfszenarien durchgespielt

Nach seinen Angaben spielt sich das Drama folgendermaßen ab: Martin D. hat im September 2017 seine Polizeiausbildung erfolgreich abgeschlossen. Im Jahr darauf wird er zur Einsatzhundertschaft in Bonn versetzt. Auch das spätere Opfer versieht dort seinen Dienst. An jenem Novembertag fahren die Einsatzkräfte zunächst zum Trainingsgelände der Bundespolizei in Sankt Augustin. Dort spielen sie Häuserkampfszenarien durch.

Nachmittags geht es zurück ins Bonner Präsidium. Man teilt sich auf: eine Gruppe geht mit scharfen Pistolen zum Schießstand, während der andere Teil mit rot gekennzeichneten Übungswaffen versucht, Amok-Lagen zu bewältigen. Nach etwa 45 Minuten gibt der Übungsleiter das Kommando zum Wechsel. Martin D. soll zunächst seine Dienstpistole aus dem Spind holen und dann seine Rot-Waffen der anderen Gruppe übergeben. Eile ist geboten. 

Versehentlich an den Abzug gekommen

Der Polizeikommissar hat nach eigenen Angaben Probleme mit seiner Walther P99. Die will nicht recht ins Holster einrasten. Nachdem er sich auf den Rückweg zum Treffpunkt macht, zieht er seine Pistole, um sie zu überprüfen. Er neigt die Waffe zur Seite. Der Lauf zielt an seinem Körper vorbei. Plötzlich schreckt ihn ein Geräusch auf, er sieht hoch, schon löst sich der Schuss. Dabei will er versehentlich an den Abzug gekommen sein. Vier Meter von ihm entfernt liegt Julian R., sein Kollege, blutüberströmt auf dem Boden. Der Schuss ruft andere Beamte auf den Plan. Gemeinsam versucht man, die Blutung bei dem getroffenen Kommissar zu stillen, bis der Notarzt eintrifft. 

Die Ermittler werden die Aussage des Schützen nun mit dem Spurenbild vom Tatort abgleichen. So etwa auch den Ein- und Austrittswinkel der Patrone. Zudem werden sie auch folgender Frage nachgehen: Beim ersten Schuss muss der Polizeibeamte ein hohes Abzugsgewicht von sechs bis sieben Kilogramm überwinden. Bleibt die Frage, ob dies zu These von einem schreckhaften Verschulden passt ?

Martin D. steht seit dem Geschehen unter Schock. Aus seinem Umfeld heißt es, er sei völlig fertig. Die Nachricht vom Tod seines Kollegen mache ihm schwer zu schaffen. Noch immer könne er nicht begreifen, wie es zu dem schrecklichen Vorfall kommen konnte.

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