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HauptstadtbeschlussVor 30 Jahren stimmte der Bundestag für den Umzug nach Berlin

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Schaeuble

Wolfgang Schäuble am 20. Juni 1991 im Wasserwerk, dem provisorischen Plenarsaal in Bonn

Bonn/Rhein-Sieg-Kreis – Das letzte Wort hatte der SPD-Politiker Hans Wallow, der für den Wahlkreis Ahrweiler/Mayen im Deutschen Bundestag saß. Er überreichte dem Vizepräsidenten Dieter-Julius Cronenberg sein Redemanuskript, erleichterter Beifall brandete auf, dass nicht noch einer ans Pult trat – 160 Abgeordnete hatten Reden angemeldet, viele aber verzichtet und, wie Rhein-Sieg-Landrat und CDU-MdB Franz Möller, ihre Beiträge zu Protokoll gegeben.

Doch Wallow stieg aufs Podium, sprach in den Applaus hinein: „Nicht zu früh klatschen!“ Und weiter: „Ich bin für Bonn, weil ich weiß, dass diese Zeit unserem Land einen wahren Wert gegeben hat. Ich danke Ihnen.“

Daniels: „Diesen Beschluss verkraftet Bonn leichter als Deutschland“

Danach begann nach elfstündiger, emotionaler Debatte an diesem 20. Juni 1991, gut anderthalb Jahre nach dem Mauerfall, im Wasserwerk die historische Abstimmung über die künftige deutsche Hauptstadt. Bonn oder Berlin? Auf der Zuschauertribüne hatte der Bonner Oberbürgermeister Hans Daniels (CDU), auf der Bundesratsbank Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) Platz genommen.

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Nach 107 Reden fiel um 21.47 Uhr im Wasserwerk eine für die Stadt bittere Entscheidung: Mit nur 18 Stimmen Mehrheit (320 gegen 338 Stimmen) votierte der Bundestag für Berlin. „Und jetzt wird gefeiert“, schloss Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth um 21.49 Uhr die Sitzung.

Viele Ausgleichsprojekte für Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis

Mit dem Bonn-Ausgleich gegründet: die Hochschule Bonn/Rhein-Sieg, das Forschungszentrum „Caesar“, die Bahnanbindung des Flughafens, das Hochleistungszentrum für medizinische Forschung und Entwicklung bei Biomedizin, Hirnforschung und Neurowissenschaften, das Arp-Museum, das „Digitale Beethoven-Haus“, die Ansiedlung der UN in Bonn.

Finanziert hat der Bund Neubauten für die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und für Engagement Global gGmbH. Der Neubau für das UN-Klimasekretariat ist bald fertig, mit dem Neubau für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) soll begonnen werden.

Das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersagen zieht nach Bonn. (dbr) 

Gefeiert wurde nur in Berlin, Hunderte schwenkten wie nach einem gewonnenen Fußballspiel auf dem Breitscheidplatz Fahnen, auf dem Kurfürstendamm gab es ein Hupkonzert. Und in Bonn? Während Berlin-Befürworter Kohl „jede triumphierende Geste“ vermied, wie sich sein damaliger enger Mitarbeiter Stephan Eisel erinnert, nahm Diepgen demonstrativ Glückwünsche entgegen.

Der tief betroffene Hans Daniels eilte zum Bonner Marktplatz, wo eine große Menschenmenge die Live-Übertragung der Debatte verfolgt hatte. Viele weinten. Daniels sagte ihnen: „Diesen Beschluss wird Bonn leichter verkraften als Deutschland.“

Ein prophetischer Satz. Denn 30 Jahre nach dem Berlin-Beschluss blicken Bonn und die Region auf eine Erfolgsgeschichte zurück – einerseits. Andererseits ist nicht klar, ob und wie die im Berlin/Bonn-Gesetz von 1994 vereinbarten Regelungen fortbestehen werden und ob nicht die Hauptstadt weitere zentrale Funktionen zulasten der Bundesstadt an sich ziehen wird.

30 Prozent der ministeriellen Dienstposten sind noch in Bonn

Kohl hatte sich für eine „faire Arbeitsteilung“ zwischen den Städten ausgesprochen. So wurde festgelegt, dass die Mehrzahl der ministerialen Arbeitsplätze in Bonn verbleiben soll. Die Bundesregierung hat am 1. September 1999 offiziell ihre Arbeit an der Spree aufgenommen, sechs von 14 Ministerien haben ihren ersten Dienstsitz noch immer am Rhein: Landwirtschaft und Ernährung, Verteidigung, Gesundheit, Umwelt, Bildung und Forschung sowie Entwicklung.

Fakt ist aber: Nur noch 30 Prozent aller Dienstposten sind laut Stadtverwaltung in der Bundesstadt, nämlich 6682, gegenüber 15.738 in Berlin. Der ehemalige Außenminister Guido Westerwelle hat dieses Phänomen einmal so beschrieben: „Der Beamte will zur Sonne.“ Soll heißen: Nur wo der Chef mich bestrahlt, kann ich Karriere machen. Und die Chefs sitzen in Berlin.

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Diese Zweiteilung hat einen teuren Wanderzirkus entstehen lassen. 19.849 Dienstreisen wurden 2019 zwischen beiden Städten abgerechnet, 54 am Tag. Die Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums düste zwischen dem 1. April 2019 und dem 30. April 2020 genau 761-mal hin und her, 617-mal ohne Passagiere. Das Finanzministerium bezifferte 2019 die teilungsbedingten Kosten in einem Bericht an den Haushaltsausschuss auf 9,16 Millionen Euro.

Bonn-Vertrag ist weiter nicht in Sicht

Solche Summen alarmieren stets den Bund der Steuerzahler, der schon seit Jahren ruft: Alle Ministerien nach Berlin! Diesen Trend sehen auch die Politiker in der Region, die zum 30. Jahrestag des Umzugsbeschlusses vom Bund verbindliche Zusagen für die künftige Gestaltung der fairen Arbeitsteilung fordern. Nämlich einen Bonn-Vertrag, der in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD vom 12. März 2018 auch festgeschrieben worden ist.

Bonn, die Kreise Rhein-Sieg, Ahrweiler und Neuwied sowie die Landesregierungen von NRW und Rheinland-Pfalz haben deswegen im Juni 2019 ein Leitbild verabschiedet, um das Profil der Bundesstadt als „Kompetenzzentrum für Deutschland“ dauerhaft zu sichern. Doch ein Gespräch darüber mit dem „Beauftragten der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich“, Innenminister Horst Seehofer (CSU), hat bisher nicht stattgefunden. Einen Termin wird es wohl auch vor der Bundestagswahl nicht mehr geben. Landrat Sebastian Schuster (CDU) sieht die Chance bei „Null“.

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