Patrick ist NinaEitorferin hat klassische Rollenbilder verlassen

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Nina Radtke

Der Wunsch nach Veränderung verfestigte sich für Nina in der Pubertät.

Eitorf – Lange, lockige Haare, enge Jeans, figurbetontes Oberteil. Nina Radtke ist weder klein noch besonders groß, weder dick noch dünn. Beim Gehen schwingen ihren Hüften ganz leicht, ihr Lachen ist offen und ansteckend. Ihre Stimme ist tief. Wenn sie bei ihrem Arbeitgeber, einer Versicherung, mit Kunden telefoniert, dann stellt sie sich als Luca vor. In der Liste des Eitorfer Gemeinderats, in den sie als erste Politikerin der Linken eingezogen ist, steht sie als Nina.

Geboren wurde sie jedoch 1991 als Patrick. In Niederkassel und Windeck wuchs sie auf. Die engste Bezugsperson: ihre elf Monate jüngere Schwester. „Wir haben alles zusammen gemacht“, sagt Nina. Zwischen elf und 14 Jahren dann habe sie eine „sehr schwere, belastende Zeit“ erleben müssen, näher darauf eingehen möchte sie nicht. In dieser Zeit aber wuchs der Wunsch, das Geschlecht zu wechseln.

Nicht als Mann gefühlt

In der Pubertät, „die hatte ich erst mit 16 Jahren“, verfestigte sich der Wunsch zu einem Bedürfnis, obwohl Patrick versuchte, gegenzusteuern. Er spielte das „dumme Alphamännchen-Spiel“, gut sogar, damals „der beste Weg, Anerkennung zu bekommen“. Doch es half nicht, Patrick fühlte sich nicht als richtiger Mann. Er litt unter Ängsten und Depressionen.

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„Ich habe es gehasst. Von den in mich gesetzten Erwartungen über die hässliche Virilisierung während meiner Entwicklung“, beschreibt Nina das Erwachsenwerden in ihrem Blog „Endlich Frau“. Alles an Patrick war Nina zuwider: fettige Haut, Bartwuchs, Akne, die männlichen Genitalien. Es gab nur eins: „Ich war bestrebt, zur Frau zu werden“. Patricks damalige Freundin war die erste, der er sich öffnete. 21 Jahre war er da alt. Die Beziehung zerbrach, doch war sie die Person, die ihm Mut machte, zu seinem Wunsch zu stehen. Aus Patrick wurde Nina. 2013 folgte die offizielle Namensänderung.

Hormonbehandlung und Stimmtraining

Zunächst mit Perücke und Schminke, später mit Hormonbehandlung, Stimmtraining und Operationen wurde Nina über die Jahre weiblicher. Sie ließ sich die Nase verkleinern, den Kiefer verschmälern, den Überaugenwulst entfernen. Ein psychologisches Gutachten bestätigte ihre Geschlechteridentitätsstörung, der Termin für die letzte, große Operation zur Frau stand.

Die Rechte intersexueller Menschen

Am 13. Dezember 2018 hat der Bundestag die dritte Geschlechtsoption „divers“ beschlossen. Intersexuelle Menschen können sich damit auch rechtlich außerhalb des binären, also zweigeteilten, Geschlechtssystems positionieren. Non-binär ist der Überbegriff für ein Geschlecht, das weder ganz/immer weiblich noch männlich ist.

Für manche Menschen gibt es aber auch ein nicht beständiges Geschlecht, sondern ihr Geschlecht verändert sich – manchmal täglich, manchmal alle paar Jahre. Der Überbegriff dafür ist genderfluid. Andere lehnen diese Begriffe allerdings ab, da sie sie lediglich als weitere ungefragte Kategorisierungen verstehen. (seb)

Doch zwei Wochen vor der OP sagte sie ab. Ob es die Sorge vor dem schweren Eingriff war, die Angst, dass das Ergebnis nicht zufriedenstellend sein würde, oder die Furcht, die neue Rolle als Frau doch nicht auszufüllen zu können – sie weiß es nicht. Vielleicht spielte alles eine Rolle, vielleicht nichts davon. „Ich habe starkes Herzrasen bekommen, das war für mich ein Zeichen, dass ich das nicht machen soll“, erinnert sie sich. Ihre Mutter, die von der Transformation zur Frau zwar nicht begeistert gewesen war, sie aber mitgetragen hatte, gab ihr Rückhalt: „Sie fand auch, die Absage war die richtige Entscheidung“.

Durch Erfahrungen geprägt

Große psychische Kämpfe habe sie nach dieser Entscheidung mit sich selbst austragen müssen, berichtet Nina. In vielen Gesprächen mit einer Siegburger Therapeutin wurde ihr klar: „Es ist gesünder für mich, für Körper und Geist, den Weg nicht zu gehen“. Damit ist sie die Ausnahme: Nur ein Prozent der Transsexuellen, die eine geschlechtsangleichende OP anstreben, macht einen Rückzieher.

Der drängende Wunsch, das Geschlecht zu wechseln, sei wohl eher durch ihre Umgebung und Erfahrungen geprägt worden, sagt Nina, die an der Fernuni Psychologie studiert, heute. Sie habe sich nicht als echter Mann gefühlt, ergo habe sie eine Frau werden müssen.

Durch Geschlechtsstereotypen will sie nicht länger identifiziert werden. „Das ist nicht gut für mich.“ Sie sei weder Mann noch Frau oder sie sei beides, das könne man sich aussuchen: „Ich sage den Leuten, sie können mich entweder Nina oder Luca nennen, was ihnen lieber ist. Mir ist es egal.“ Seit sie nicht mehr versuche, ein klassisches, durch das Geschlecht geprägtes Rollenbild auszufüllen, „kann ich den Leuten freier begegnen“.

Seit zwei Jahren hat sie wieder eine Freundin, der ihr Geschlecht egal ist. Doch ein Dauerzustand soll das nicht bleiben: „Ich bin schon bestrebt, eine Eindeutigkeit herzustellen“, sagt Nina. Sie will Luca werden und sich noch einer letzten Operation unterziehen: der Brustentfernung.

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