Kapitänin der „Seawatch 3“Carola Rackete kritisiert Nationen und Grenzen

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Glasow bei Video-Gespräch

Ralf Rohrmoser-von Glasow nahm am Video-Gespräch mit Pfarrer Franz Meurer und Carola Rackete teil .

  • Carola Rackete ist Kapitänin und setzt sich für Seenotrettung sowie die Bekämpfung des Klimawandels ein.
  • Im Video-Chat sprach sie mit dem Kölner Pfarrer Franz Meurer über Nationen und Grenzen. Dabei übte sie Kritik und betonte, Machtverhältnisse in Frage stellen zu wollen.
  • Pfarrer Meurer sprach darüber, wie er den ärmsten Quartieren Kölns helfen will.

Rhein-Sieg-Kreis – Zum Abschluss der Video-Gesprächsreihe „Gerechtigkeit? Die lasse ich mir nicht nehmen!“ gab es eine spannende Diskussionsrunde mit zwei hochkarätigen Referenten. Überzeugend füllten sie das Thema „Das Prinzip Hoffnung. Eine gerechtere Welt ist möglich“ mit Leben. Die Kapitänin der „Seawatch 3“, Carola Rackete, und der Kölner Pfarrer aus Höhenberg/Vingst, Franz Meurer, waren der Einladung gefolgt.

Das katholische Kreisdekanat Rhein-Sieg und die Evangelische Erwachsenenbildung an Sieg und Rhein (EEB) hatten gemeinsam mit dem Katholisch-Sozialen Institut (KSI), dem katholischen Bildungswerk Rhein-Sieg und dem Treffpunkt am Markt in Siegburg die Sondierungen zur Orientierung initiiert. Rackete, bekennende Europäerin, wohnt seit neun Jahren nicht mehr in Deutschland.

Rackete legt Fokus auf Rettung

Wegen der Corona-Krise ist sie hier gestrandet, lebt bei Freunden. Zuvor war sie auf Forschungsreisen in Argentinien und Chile. Den Klimawandel hat sie unmittelbar erlebt: „Es gibt eine massive Gletscherschmelze, und der Permafrost taut.“ Deshalb will sie den Naturschutz voranbringen. Ihr zweites großes Thema ist die Seenotrettung.

„Menschen sollten, unabhängig davon, wo sie geboren sind, wohnen können, wo sie wollen.“ Die wenigsten Menschen wollten von zu Hause weg. Sie kritisiert, dass „Nationen sich das Recht nehmen, wen sie reinlassen und wen nicht. Grenzen sind von Menschen gemacht“, manche von Kolonialherren am Reißbrett. Deshalb will sie nicht nur retten, sondern auch Machtverhältnisse in Frage stellen.

120 Jugendleiter jedes Jahr

Konkret im Veedel arbeitet Meurer in einem der ärmsten Quartiere Kölns. 56 Prozent der Menschen leben „Oberkante Unterlippe“. Sein Ziel: „Wir wollen eine Heimat vermitteln.“ Im Hövi-Land, seiner Gemeinde, sei der Zusammenhalt in der Corona-Zeit gewachsen. Dafür brauche es aber auch persönlicher Begegnung. „Ohne Ökumene wären wir wirklich wirkungslos.“ Seine Haltung ist so klar wie kompromisslos: „Wenn wir den Menschen nicht nützen, sind wir nutzlos.“

Deshalb gilt in Hövi-Land Hierarchiefreiheit, Macht wird verteilt: „Wer etwas macht, hat Macht.“ Das sind viele: „Wir bilden jedes Jahr 120 Jugendleiter aus, das ist unser Empowerment für das Viertel“, sagte Meurer. Ein differenziertes, radikales Bild hat er zu Empathie: „Das allein bringt nix, auch ein Folterer hat Empathie für seine Opfer.“

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Sein Credo ist Barmherzigkeit, und er relativiert Moral. Die allein nütze nichts, es müsse politisch werden. Und noch eins: „Es muss auch schön sein, die Menschen müssen stolz sein auf das, was sie tun.“ Der Mitreferentin zollte er hohen Respekt: „Sie sind ’ne Heldin, Frau Rackete, das ist keine Frage.“ Sein einziges Problem bei der Arbeit sei, dass er immer fleißig sein müsse. Die Kapitänin dagegen berichtete von der Kriminalisierung der Menschenrettung: „Ich habe mir grundsätzlich vorher Gedanken gemacht und bin bereit, weiße Privilegien aufzugeben, um in Italien ein paar Jahre ins Gefängnis zu gehen.“

Viel entscheidender sei es, Menschen zu retten, die andernfalls zurückkehren müssten und vielleicht gefoltert würden. Die Europäische Union habe die technischen Möglichkeiten zur Hilfe. „Es ist eine politische Entscheidung, Menschen nicht zu retten“, erklärte sie. Erschreckend finde sie die Haltung, es sei nicht genug für alle da. „Wer konsumiert denn am meisten?“, fragt sie. Sie sei besorgt über die Zahl derer, die rechts wählen und sich rechts radikalisieren.

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