AstronomieHennefer Lehrer war an Bord des Stratosphären-Observatoriums

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Hennef – Wenn es darum geht, wer sich am weitesten von der Erde entfernt hat, darf sich Karsten Schraut zu den Oberen Zehntausend zählen. Der Hennefer war an Bord eines Flugzeugs, das deutlich höher als normale Passagierflieger steigt. „Ich schimpfe mich jetzt gern Stratonaut“, sagt der 40-Jährige lachend. Ende November kehrte er von seinem Ausflug an den unteren Rand der Stratosphäre zurück.

Karsten Schraut ist Lehrer für Mathematik, Physik, Informatik und Technik an der Gesamtschule Hennef-West, die zu den wenigen Partnerschulen des Deutschen Sofia Instituts an der Universität Stuttgart zählt. Sofia ist die Abkürzung für Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie (siehe „Fliegendes Auge“). Schraut knüpfte die Kontakte und bewarb sich 2014 um einen Mitflug in der Boeing 747, in der das Sofia-Spiegelteleskop installiert ist.

Probleme mit dem Triebwerk

Rund 100-mal im Jahr startet der umgebaute Jumbo von Palmdale in Kalifornien zu Beobachtungsflügen. Neben Technikern und Wissenschaftlern sind immer wieder Lehrer mit von der Partie, die Sofia zum Unterrichtsprojekt machen. „Ich hatte nicht gedacht, dass ich nach Amerika komme“, erzählt Schraut, der das Flugzeug schon in Hamburg, Köln und Stuttgart gesehen hatte. Umso überraschter war er, als er die Zusage erhielt.

Nach einem Vorbereitungstreffen im Juli traten Schraut und drei weitere deutsche Lehrer die Reise in die USA an. Das Quartett musste bei der Nasa ein Notfall- und Sicherheitstraining absolvieren, den Umgang mit der Atemmaske üben und einen umfangreichen Fragebogen des flugmedizinischen Dienstes ausfüllen. Zu den körperlichen Voraussetzungen gehörte, dass man aus einer Höhe von 1,50 Meter herunterspringen kann.

Gespannt auf das Abenteuer, gingen die Pädagogen nach einer Einweisung in die Mission an Bord – und stiegen nach einer Stunde schon wieder aus. Wegen eines Triebwerkproblems war der Start abgeblasen worden. Am nächsten Abend – die Flüge finden nachts statt – klappte dann alles. Zehn Stunden lang kreuzte die Boeing über dem Pazifik und stieg bis zu 13 700 Meter hoch, wo kein Wasserdampf mehr die Infrarotstrahlung aus dem All trübt.

Für Karsten Schraut war es keine Sekunde langweilig. An einer Konsole konnte er die Flugdaten ablesen und auf Bildschirmen sehen, was das Teleskop empfing. Auch durfte er ins Cockpit zu den Piloten. Beim Komfort waren freilich Abstriche in Kauf zu nehmen. Statt der üblichen Beckengurte mussten die Passagiere Hosenträgergurte anlegen und wegen der Kälte warme Jacken. Der extreme Lärm von permanent 100 Dezibel in der kaum gedämmten Kabine machte Ohrstöpsel unerlässlich. Nur mit Hilfe von Kopfhörer und Mikrofon konnte man miteinander reden.

Mit leuchtenden Augen berichtet Karsten Schraut vom Zielobjekt HL Tauri. Der Stern mit einer protoplanetaren Scheibe – ähnlich den Saturn-Ringen – im Sternbild Stier ist für Astronomen von enormem Interesse. Man vermutet, dass der Stern ein eigenes Planetensystem ausbildet. Erstmals können Menschen gleichsam die Geburt von Planeten beobachten.

Sofia liefere keine spektakulären Ansichten wie das Weltraumteleskop Hubble, erklärt Schraut, sondern grob gepixelte Bilder. Der Vorteil liege in der Möglichkeit der Spektroskopie. Durch Zerlegung der Infrarotstrahlung erhalte man einen „Fingerabdruck“ von Molekülen. Chemische Strukturen ließen sich erkennen, die im Fall von HL Tauri 450 Lichtjahre – 30 Millionen mal weiter als unsere Sonne – von der Erde entfernt seien. In den Fokus nahm das Teleskop außerdem Asteroiden, die sich, zwischen Mars und Jupiter gelegen, vergleichsweise vor der Haustür befinden, wie etwa der Kleinplanet Vesta. Hier interessierten die Forscher die vorkommenden Eisvarianten.

Nach der Landung am Morgen blieben den „Stratonauten“ nur einige Stunden zum Ausruhen, denn am Nachmittag stand bereits ein zweiter Flug auf dem Programm, diesmal über dem amerikanischen Kontinent. „Auf dem zweiten Flug waren wir alle sehr erschöpft“, erzählt Schraut. Die Lehrer hätten da auch einmal eine Weile geschlafen.

Per Hubschrauber gerettet

Seine Ehefrau Andrea, die Söhne Thorben (13) und Henrik (10) sowie Tochter Svea (8), zu Hause im Hennefer Stadtteil Im Siegbogen, hielt er via Skype auf dem Laufenden. Nicht zuletzt für seine Schüler der Klasse 6 b, die er mit der Faszination für die Astronomie schon längst angesteckt hat, schoss er Hunderte von Bildern. Dass die Jungen und Mädchen bisher mit einem Kurzbericht vorlieb nehmen mussten, liegt an einem Malheur, das Karsten Schraut nicht in der Stratosphäre, sondern im Devils Punchbowl Nationalpark widerfuhr. Dort stürzte er, fiel unglücklich aufs Knie, konnte nicht mehr auftreten und wurde per Hubschrauber gerettet.

Jetzt ist er krankgeschrieben. Zahnprobleme, die schlimmstenfalls noch eine Wurzelbehandlung nach sich ziehen können, sind dagegen den Druckverhältnissen im Sofia-Flugzeug geschuldet.

Trotz dieser Blessuren bereut der 40-Jährige die Reise nicht im Mindesten. „Das hatte schon etwas von einer Raumfahrtmission“, sagt der Hennefer Stratonaut und Sofia-Botschafter strahlend.

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