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Mehr Tempo in Sachen DigitalisierungHennefer Achim Berg berät die Bundespolitik

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Seine Haustür kann Bitcom-Chef Achim Berg mit dem Fingerabdruck öffnen.

Seine Haustür kann Bitcom-Chef Achim Berg mit dem Fingerabdruck öffnen.

Hennef – Seinen Schlüssel kann Achim Berg nicht verlieren. Ein Fingerabdruck reicht für den Einlass, und verlässt der Letzte das Einfamilienhaus, verriegelt sich die hohe, rote Tür automatisch. Das Zuhause der Familie in einem Hennefer Höhenort zeigte schon vor 20 Jahren die digitale Zukunft, um die sich Bergs Leben dreht. Kaum ein anderer Experte ist aktuell so gefragt wie der 56-Jährige, der letztens beim Digitalgipfel mit der Kanzlerin auf dem virtuellen Podium saß. „Ich stimme Ihnen zu, Herr Berg“, sagte Angela Merkel am Ende des Videogesprächs.

Eine Anerkennung für den ehrenamtlichen Vorsitzenden des Vereins Bitcom, der sich bislang eher vorkam wie ein Rufer in der Wüste. Seit Jahren predige er, dass die deutsche Wirtschaft und Verwaltung in Sachen Digitalisierung mehr Tempo machen müssten, sagt der Manager, Mountainbiker und Motocrosssportler. Nun lege die Pandemie die Versäumnisse offen. So hätten vor Corona 50 Prozent aller Unternehmenslenker geglaubt, dass ihre Firma gut aufgestellt sei, heute, konfrontiert mit Videokonferenzen, Homeoffice und oft mangelnder Vernetzung, seien es nur noch 30 Prozent.

Steile Karriere im Ausland

Der studierte Informatiker spricht für 2700 Firmen der deutschen digitalen Wirtschaft. Gut 1000 Mittelständler, mehr als 500 Startups und so gut wie alle Global Player gehören zum Branchenverband Bitcom. Bergs steile Karriere begann direkt nach der Hochschule, führte ihn auch ins Ausland: als Manager in der Microsoft-Zentrale in Seattle – der einzige Deutsche. Die Branche werde durch Bewegung geprägt, nicht nur im Denken, Jobhopping sei üblich, so Berg: „Man wird abgeworben.“

Aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist er gern zurückgekehrt: „Ich bin Rheinländer.“ Er schaut aus den bodentiefenden Fenstern, krault seinen kleinen Hund, der jeden Besucher kläffend und freundlich wedelnd empfängt, deutet in die Luft: „Sehen Sie hier Strom- oder Telefonleitungen hängen?“ Die USA hinkten auch im Finanzwesen hinterher: „Wenn ich Online-Banking mache, wird auch bei einer Transaktion zwischen zwei Inland-Banken ein Scheck verschickt, mit der Post!“ Die US-Kultur, schon in der Probephase durchzustarten und nicht erst alles zu Ende zu denken, sei indes Basis für rasante Entwicklungen der Digital-Konzerne.

Deutschland könnte viel weiter sein

Berg bietet Kaffee an. Die Maschine auf Augenhöhe hat ein Display, mit einem Fingerstreich gleiten rund 20 Varianten des Heißgetränks vorbei. Auch sein Sachverstand steckt in dem Koffeinschluck-Computer, die Sicht des Informatikers und des Nutzers floss mit ein in die Entwicklung: „Ich habe Miele damals beraten.“ Er nimmt Espresso Latte.

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Deutschland mit seinem fortgeschrittenen Ausbau von Breitband- und G5-Netz könnte viel weiter sein, sagt der Dynamiker, der in Nicht-Corona-Zeiten kaum daheim ist: „Wir haben die Unternehmen, die Bonn oder Köln komplett mit intelligenter Verkehrs- und Leittechnik ausstatten könnten.“

Wer bremst?

Wer bremst? Das politische System mit seinen Zuständigkeiten, Verwaltungen, die jede ihr eigenes Süppchen kochen, „einzelne, laute Bedenkenträger“, die den Datenschutz hoch hielten und vieles blockierten: „Ich glaube kaum, dass sich die Nordkoreaner für den Unterricht in der sechsten Klasse interessieren.“

Berg sieht zu viel „Angst und Ambitionslosigkeit“. Er habe mit vielen Ministern gute Gespräche geführt, viele „kluge Fragen“ beantwortet, indes gehe es nur langsam voran. Fünf Milliarden Euro wurden auch auf Betreiben der Wirtschaft vom Staat bereitgestellt, aber nur 200 Millionen abgerufen. Kaum Konzepte, die Verwaltungsvorgänge zu kompliziert. 43-seitige Anträge, eine Zumutung. Der digitale Unterricht – müsste interaktiv sein, man lasse „die Lehrer im Regen stehen“; nun wagten endlich die Eltern, die sich mit Homeschooling plagten, den Aufstand.

Denkanstöße finden in der Politik Gehör

Warum nur sei es fast überall unmöglich, ein Auto online anzumelden, einen Personalausweis übers Internet zu beantragen? Das gehe im kleinen Dänemark, Deutschland sei hintendran im europäischen und Weltvergleich. Ein Digitalministerium könnte einen Schub bringen. Mit Achim Berg an der Spitze? Er überlegt kurz, schüttelt den Kopf: „Ich wäre in solchen Strukturen nicht erfolgreich.“

Er gebe lieber von außen Denkanstöße. Die werden gehört, Innenminister Horst Seehofer zitierte den Hennefer zu sich und hielt ihm eine Liste vor mit 20 Sätzen: „Haben Sie gesagt, dass mein Ministerium ein Saftladen ist?“ Der Manager und der Minister tauschten sich lange aus. Doch Achim Berg blieb dabei: „Es stimmt doch.“

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