Zu zweit unter MännernEngels-Zwillinge sind Linienrichterinnen aus Leidenschaft

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Ein eingespieltes Team: Alexandra Engels (links) und ihre Zwillingsschwester Vanessa

Ein eingespieltes Team: Alexandra Engels (links) und ihre Zwillingsschwester Vanessa

Lohmar – Für Vanessa und Alexandra Engels hat der Fußball-Sonntag 180 Minuten. Zumindest jeder zweite. Während sich ihre Teamkameradinnen vom TuS Birk nach den Heimspielen zurücklehnen dürfen, ist für die Zwillingsschwestern erst Halbzeit. Für die beiden 27-Jährigen geht es anschließend auf die Sportplätze der Region, wo sie bei den Kreisliga-A-Spielen ihrer männlichen Fußballkollegen als Linienrichterinnen eingesetzt werden. „Das ist ein straffes Programm“, sagt Alexandra aus Siegburg. Man habe durch das Hobby aber „viele nette Leute kennengelernt“ und sei persönlich gereift: „Allein deshalb hat sich jeder einzelne Muskelkater bislang gelohnt.“ Ihre in Lohmar lebende Schwester ergänzt: „Wir sind Linienrichterinnen aus Leidenschaft.“

2006 meisterte das Duo den Schiedsrichter-Anwärterlehrgang in Hennef. Zunächst leiteten die Zwillinge Jugendspiele, mittlerweile sind sie ausschließlich im Seniorenbereich aktiv und haben die Pfeife gegen die Fahne eingetauscht. So hält sich der Laufaufwand nach den Strapazen der eigenen Spiele in Grenzen. Als Assistentinnen gibt es die Schwestern nur im Doppelpack. „Wir sind ein eingespieltes Team“, sagt Alexandra Engels.

Zwei Frauen, die in der Männerdomäne Fußball über die heiß diskutierte Frage „Abseits oder nicht?“ entscheiden – eine seltene Konstellation, die aber funktioniert. Vanessa und Alexandra Engels haben sich längst Respekt verschafft. Dank konstant guter Leistungen. Und ihrer unaufgeregten Art. Man dürfe weder schüchtern noch überheblich auftreten, sagt Vanessa Engels. Wichtig sei auch, sich nicht provozieren zu lassen, betont ihre Schwester: „Man darf nicht jede verbale Steilvorlage aufnehmen. Wenn man ständig mit den Spielern diskutiert, geht der Respekt verloren.“ Hans Kudrass, Leiter des Kreis-Spielbetriebs, lobt das Auftreten der beiden Schwestern: „Sie sind äußerst souverän und strahlen Sicherheit aus.“

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Auszeichnung vom Deutschen Fußball-Bund

Die gute Arbeit der Zwillinge wurde auch auf höchster Ebene registriert. Im vergangenen Frühjahr zeichnete der Deutsche Fußball-Bund im Rahmen der Aktion „Danke Schiri“ 63 Referees für ihr besonderes Engagement aus, darunter auch Vanessa und Alexandra Engels. Wie gefragt sie sind, zeigt auch ihre Berufung vor einigen Jahren für ein Bezirksliga-Spiel. Weil im Vorfeld mit einer besonders aufgeheizten Atmosphäre gerechnet worden war, entsendete der Kreis bewusst die beiden Engels-Schwestern – gewissermaßen als bewährtes „Deeskalations-Team“. „Das Spiel ging reibungslos über die Bühne – ob das an uns lag, sei mal dahingestellt“, sagt Alexandra Engels.

Ihre Schwester hat auch schon die dunkle Seite des Schiedsrichter-Daseins erlebt. Bei einem Spiel in Marialinden erkannte sie eine Tätlichkeit eines Gästeakteurs, gab die Information an Hauptreferee Bernd Peters weiter, der daraufhin Rot zückte. Der Beschuldigte wollte es nicht wahrhaben, stürmte auf Vanessa zu und baute sich vor ihr auf: „Da musste ich im ersten Moment schlucken. Letztlich haben ihn aber die eigenen Mitspieler zurückgehalten.“ Ans Aufhören habe sie auch nach diesem Zwischenfall nie gedacht; es sei schließlich die einzige brenzlige Situation in elf Jahren gewesen.

Geschwister mit Pfeife

Der Fußball-Kreis Sieg zählt knapp 200 Referees. Der bekannteste ist Bundesliga-Schiedsrichter Sascha Stegemann (1. FC Niederkassel). Romina Holschbach ist die einzige Frau, die in der Herren-A-Liga zur Pfeife greift. Sie ist auch Frauenbeauftragte des hiesigen Schiedsrichterausschusses. Neben Alexandra und Vanessa Engels gibt es weitere Geschwister-Paare, die in der A-Liga als Assistentinnen fungieren: Sylvia und Jana Keller sowie Sophia und Theresa Koch. Letztere bilden ein Gespann mit Vater Thomas. Sandra Czekalla pfeift zudem B-Junioren- und Frauen-Bezirksliga-Spiele und steht bei A-Liga-Duellen an der Linie. (tim)

Eine grundsätzliche Zunahme der Anfeindungen gegenüber Unparteiischen können die Engels-Schwestern nicht erkennen. Trotzdem beklagen die Verbände seit Jahren einen Schiedsrichterschwund. Gerade die Absprungrate bei den jungen Unparteiischen sei hoch, betont Kudrass: „Die meisten scheuen die Doppelbelastung und wollen lieber aktiv Fußball spielen. Andere haben einfach keine Lust, sich ständig anbrüllen zu lassen.“ Im Rhein-Sieg-Kreis bewegt man sich immerhin auf gleichbleibendem Niveau. Alexandra Engels fordert trotzdem mehr Initiative von den Vereinen. Sie und ihre Schwester seien damals auch von Verantwortlichen des TuS Birk animiert worden, „von alleine wären wir nie auf die Idee gekommen, Schiedsrichterinnen zu werden“.

Schiris beklagen schlechte Bezahlung

Ein weiterer Grund für den geringen Zulauf könnte die niedrige Entlohnung sein. 35 Euro kassiert ein Referee für einen A-Liga-Einsatz, ein Assistent nur 15 Euro. Für die Fahrtkosten müssen sie selbst aufkommen. Vor allem der Job an der Seitenlinie kann so mitunter zum Minusgeschäft werden. Solche Rechenspiele sind den Engels-Schwestern jedoch fremd. Ihnen geht es schließlich nicht ums Geldverdienen.

Bibiana Steinhaus hat ihr Hobby hingegen zum Beruf gemacht: In der Bundesliga tanzen die Männer nach ihrer Pfeife. Dass es eine Frau in den bezahlten Fußball geschafft hat, wurde laut Vanessa Engels höchste Zeit: „Der Trubel um sie zeigt aber, dass es noch längst nicht selbstverständlich ist. Eigentlich sollte sie nicht als Frau, sondern als Schiedsrichterin wahrgenommen werden.“

Den eigenen Umgang mit den Unparteiischen beschreibt ihre Schwester als schwierig. „Wenn ich selbst spiele, überlege ich mir dreimal, ob ich den Schiedsrichter anmeckere. Schließlich kenne ich die andere Seite und weiß, wie anstrengend es ist, wenn ständig reklamiert wird“, so Alexandra Engels, die mit ihrem Team derzeit um den Aufstieg in die Landesliga spielt. Ein „Hey, Schiri“ sei erlaubt, ansonsten habe der Respekt vor den eigenen Kollegen Vorrang. So vergeude sie immerhin keine unnötige Energie. Energie, die sie dringend benötigt. Vor allem, wenn der Fußball-Sonntag mal wieder 180 Minuten hat.

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