Protest gegen die geplante PCC-Anlage in Lülsdorf„Es geht wohl vor allem um Geld“

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Schriever und Pietsch

Klaus Schriever (r.) ist der Vorsitzende der "Bürgerinitiative gegen Ethylenoxid - Keine Produktion in Niederkassel", Rüdiger Pietsch sein Stellvertreter.

  • Der geplante Bau einer Produktionsanlage des Chemieunternehmens PCC in Lülsdorf sorgt schon lange für hitzige Debatten.
  • Auch die „Bürgerinitiative gegen Ethylenoxid – Keine Produktion in Niederkassel“ spicht sich gegen die Pläne aus.
  • Peter Freitag sprach mit den beiden Vorsitzenden der Initiative.

Niederkassel – Gegen den geplanten Bau einer Produktionsanlage des Chemieunternehmens PCC in Lülsdorf gibt es seit Monaten wachsenden Widerstand – unter anderem bei den meisten Parteien im Niederkasseler Stadtrat, beim Bürgerverein für die Stadtteile Ranzel und Lülsdorf und bei der im Februar gegründeten „Bürgerinitiative gegen Ethylenoxid – Keine Produktion in Niederkassel“. Sie hat sich inzwischen als Verein formiert und sich zudem dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) angeschlossen. Über ihre Ziele sprach Peter Freitag mit den beiden Vereinsvorsitzenden Klaus Schriever und Rüdiger Pietsch.

Ihre Bürgerinitiative wehrt sich dagegen, dass an einem Standort, an dem die chemische Industrie bereits seit Jahrzehnten produziert, ein neues Chemieunternehmen angesiedelt werden soll. Wo ist das Problem?

Rüdiger Pietsch: Wir haben grundsätzlich kein Problem damit, dass dort ein Chemieunternehmen hinkommen soll. Problematisch ist für uns, dass man ein Unternehmen ansiedeln will, das in Lülsdorf in insgesamt sechs Anlagen Ethylenoxid produzieren und verarbeiten will – eine Chemikalie mit großer Brisanz.

Klaus Schriever: Laut Datenbank des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung handelt es sich bei Ethylenoxid um ein „extrem entzündbares Gas“. Das ist ein Stoff, der deutlich gefährlicher ist als die Stoffe, die bislang bei der Evonik in Lülsdorf und bei den Chemieanlagen auf der anderen Rheinseite verarbeitet werden.

Was sind Ihre Befürchtungen?

Pietsch: Durch menschliches oder technisches Versagen kann jederzeit ein Unfall passieren. Den letzten Fall einer Explosion in einer Ethylenoxid-Produktionsanlage gab es erst im Januar im spanischen Tarragona – in einer Anlage, die erst 2017 in Betrieb gegangen ist. Dabei starben drei Menschen, darunter auch ein Anwohner. Europaweit gab es aber schon weit mehr schwerwiegende Unfälle im Zusammenhang mit Ethylenoxid.

Schriever: Als der Chemiestandort in Lülsdorf gegründet wurde, war ringsum grüne Wiese. Doch über Jahrzehnte ist die Wohnbebauung an das Evonik-Werk herangerückt. Heute reden wir von einem Abstand zum nächsten Wohnhaus von nur 240 Metern. In unmittelbarer Nähe befinden sich übrigens auch die Rettungswache und die Einsatzzentrale, des Deutschen Roten Kreuzes, die im Fall einer Katastrophe bei PCC und Evonik ebenfalls gefährdet wären.

Pietsch: Uns hat noch niemand erklären können, warum PCC diesen Stoff ausgerechnet in einem so eng bebauten Gebiet produzieren will und nicht an einem seiner schon vorhandenen Produktionsstandorte. Es geht da wohl vor allem auch um Geld. Anfang Mai hat Evonik, das die Flächen in Lülsdorf zur Verfügung stellt, neue Finanzziele für den Konzern ausgegeben. Da ist unter anderem die Rede vom Fokus auf Wachstum, Ergebnisentwicklung und „Cash-Generierung“.

Das Projekt

Die PCC-Gruppe aus Duisburg plant auf dem Lülsdorfer Evonik-Areal den Bau mehrerer Anlagen zur Herstellung von Ethylenoxid (EO) und von EO-Folgeprodukten sowie eine Anlage zur Rückgewinnung und Weiterverarbeitung des dabei anfallenden Kohlendioxids.

Nach Firmenangaben werden mehr als 500 Millionen Euro investiert. In Lülsdorf sollen rund 120 Arbeitsplätze dauerhaft entstehen. Durch die Ansiedlung zusätzlicher weiterverarbeitender Unternehmen kann sich laut PCC die Zahl der Arbeitsplätze auf bis zu 200 erhöhen.

Ethylenoxid ist ein farbloses, extrem entzündliches Gas, das mit der Luft explosive Gemische bildet. Das Gas hat einen süßlichen Geruch, der aber erst in hohen Dosen wahrgenommen werden kann. Es ist ein Zwischenprodukt bei der Herstellung von Chemikalien wie Ethylenglykol oder Ethanolamin. Eingesetzt wird es hauptsächlich bei der Synthese weiterer chemischer Substanzen. Aufgrund seiner bakterien-, viren- und pilzabtötenden Eigenschaften dient es auch zur Begasung, Sterilisation und Desinfektion von Waren, Silos und Transportcontainern. Ethylenoxid ist giftig und krebserregend beim Einatmen. Bei Tieren hat es Fortpflanzungsdefekte wie Mutationen oder Fehlgeburten ausgelöst. Der Einfluss auf die menschliche Fortpflanzung ist noch nicht genau untersucht, es ist aber wahrscheinlich, dass die gleichen Effekte auftreten.

Die Ansiedlung der PCC-Anlagen ist Teil der Weiterentwicklung des Evonik-Areals zu einem Logistik-Zentrum mit einem sogenannten trimodalen Containerterminal zur Verladung von Waren auf Schiffe, Güterzüge und Lkw. (pf)

Wer steht hinter Ihrer Bürgerinitiative?

Schriever: Wir sind gewissermaßen ein Spin-off des Bürgervereins für Lülsdorf und Ranzel.

Pietsch: Nach der Präsentation des Vorhabens durch Evonik und PCC Anfang Februar haben wir im Bürgerverein intensiv zum Thema recherchiert. Nachdem wir uns dann gegen das Projekt positioniert und die Medien darüber berichtet haben, gab es viele positive Rückmeldungen von Bürgern. Das war die Initialzündung für die Gründung der Bürgerinitiative. Sie ist inzwischen aber unabhängig vom Bürgerverein, auch wenn es da personelle Überschneidungen gibt.

Es macht den Eindruck, als hätte Ihr Engagement schon Erfolg. Wenige Monate vor der Kommunalwahl sind die meisten Niederkasseler Parteien von dem Projekt abgerückt.

Pietsch: Ja, bei der öffentlichen Vorstellung des Projekts hatten wir noch den Eindruck, dass die Politik hier grundsätzlich offen für dieses Vorhaben ist. Das hat sich in kurzer Zeit geändert. Unser Problem sind aber nicht Politik und Stadtverwaltung in Niederkassel. Die Entscheidung in dieser Angelegenheit fällt bei der Bezirksregierung in Köln.

Erwarten Sie, dass Ihre Bedenken auch Gehör finden werden?

Schriever: Wir befürchten, dass die Dinge sehr schnell entschieden und im Windschatten der Corona-Pandemie Tatsachen geschaffen werden sollen. Große Sorgen macht uns da vor allem das kürzlich vom Bundestag verabschiedete Planungssicherstellungsgesetz. Es könnte dafür sorgen, dass öffentliche Erörterungstermine für Großprojekte, bei denen interessierte Bürger den Verantwortlichen persönlich gegenübertreten und ihre Fragen und Anregungen äußern, komplett entfallen können zugunsten von Online-Beteiligungen, die weniger Raum für kritische Fragen und Proteste bieten. Das Gesetz ist bis Ende 2025 terminiert, also genau für den Zeitraum, in dem die Entscheidung über den Bau der PCC-Anlage fallen soll.

Ist Ihre Bürgerinitiative auch deshalb Mitglied im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, kurz BBU, geworden? Eine solche Mitgliedschaft schafft doch eine größere Drohkulisse für Evonik und PCC.

Pietsch: Der BBU berät uns im Rahmen seiner Möglichkeiten. Das ist ein Verein, der über Fachkompetenz auf diesem Gebiet verfügt. Er hat uns angeboten, uns bei den Erörterungsterminen zum Bau der Ethylenoxid-Anlage zu vertreten. Unser Gefühl sagt uns, dass wir beim BBU gut aufgehoben sind.

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