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Das Urtier an LandRené Böll zeigt im Stadtmuseum seinen Bilderzyklus „Tiktaalik“

Lesezeit 3 Minuten
Das Auge des Riesenkalmar blickt dem Betrachter in Originalgröße entgegen: René Böll in seiner Ausstellung.

Das Auge des Riesenkalmar blickt dem Betrachter in Originalgröße entgegen: René Böll in seiner Ausstellung.

Siegburg – Vor 380 Millionen Jahren kroch er aus dem Wasser an Land: Der Tiktaalik, benannt nach seinem Fundort in Kanada, fühlte sich in beiden Sphären wohl und gilt somit als evolutionäres Bindeglied. Ein Fernsehbericht über diesen Fleischflosser hat René Böll derart fasziniert, dass er dem Urzeittier eine ganze Bildserie widmete. Geschaffen eigens für die aktuelle Ausstellung im Stadtmuseum, angereichert durch andere großformatige Exponate und Malerei mit chinesischer Tusche.

Der titelgebende Tiktaalik ist dabei im letzten Bild allenfalls schattenhaft im leuchtend blauen Meer zu erahnen; in der Ferne pustet ein Wal seine Fontäne in die Luft – als kleiner weißer Strich vor glühendem Himmel. Eine kleine Farbexplosion zum Finale der Serie, die sich ansonsten in verhaltenem Kolorit präsentiert; von einem Kosmos aus Staub und Asche über das Aufblitzen des ersten Lichts bis zum Entstehen eines Bakterienstamms.

René Böll interessiert sich für Themen im Verborgenen

Böll trägt bis zu 20 Schichten aus Öl, Acryl, Pigment und Erden auf die Leinwand auf. Einerseits betont die Materialität der Farbe das Haptische etwa von schroffen Felsen, andererseits verwischen sich Konturen, sind Motive wie hinter einem Schleier verborgen. Der lüftet sich erst in der Gegenwart, wenn Böll in kräftigen Farben und klaren Konturen exotische Wesen wie den Blaufußtölpel oder den Riesenkalmar porträtiert, dessen Auge dem Publikum in Originalgröße entgegenblickt. Eine kaum wahrscheinliche Begegnung, denn diese uralten Tiere sind ebenso selten wie bedroht.

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Kein Zweifel, der Kölner „scheint sich besonders für Themen zu interessieren, die im Verborgenen liegen“, wie Museumsdirektorin Dr. Gundula Caspary bei der Vernissage betonte. So hat er sich in früheren Werkzyklen „Cillini“ und Finsheen“ auf die Suche nach den vergessenen Friedhöfen ungetaufter Kinder oder einem verschollenen Dorf in Irland begeben. Um die elementare Kraft von Wind und Meer einzufangen, reist der 71-Jährige immer wieder auf die Insel Achill Island, wo sein Vater Heinrich einst sein „Irisches Tagebuch“ schrieb.

Erster westdeutscher Maler in Peking

Eine Arbeit zu „Cillini“ weist Böll als meisterhaften Tusche-Zeichner aus, der das Spannungsfeld von Verdichtung und Transparenz, von Form und Leere beherrscht. Über sechs Meter lang zieht sich eine Papierrolle, die skizzenhaft Gesichter, Gebirgsformationen und Schriftspuren zeigt, dazu die Signatur des Künstlers auf Chinesisch. Was daran erinnert, dass sich René Böll im Reich der Mitte besonderen Respekt erworben hat.

Ende der 90er Jahre stellte er als erster westdeutscher Maler in Peking und Shanghai aus. Im Katalog der Siegburger Präsentation gibt Böll Einblick in das Wesen der chinesischen Tuschemalerei, die von der Philosophie des „Wu wei“ geprägt ist – was sich mit „Der Natur ihren Lauf lassen“ übersetzen lässt. Im Katalog sind auch Gedichte des Künstlers zu lesen, die um Werden und Sterben der Arten kreisen. Was inzwischen, wie Caspary erklärte und einen Bogen zum Klimawandel schlug, ein bedrohliches Thema geworden ist.

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