DemenzerkrankungAOK Rheinland zeigt mobile Musterwohnung

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Schon an der Garderobe könnten wichtige Hilfen gegeben werden, erläutert Sanela Ulgjen-Gierlich bei ihren Führungen.

  • Orientierung und Wohlbefinden sind das Ziel der Wohnungen.
  • Die Wohnungen erfreuen sich großer Beliebtheit - in Siegburg kann man so eine Wohnung besichtigen.
  • Unser Autor war vor Ort und hat sich mal umgeschaut.

Siegburg – Ein bisschen tüddelig ist Trude Meier ja schon geworden. Die Garderobe ihrer Wohnung an der Promenadenstraße ist nicht wirklich ordentlich. Immerhin hat die Tochter den Lieblingshut der alten Dame ausgegraben und an einen der Haken gehängt. Seither geht auch Trude Meier wieder lieber aus dem Haus, trifft sich mit Freundinnen.

Trude Meier ist eine Erfindung, nur die Adresse stimmt: An der Promenadenstraße in Jülich hat die Servicestelle Demenz der AOK Rheinland/Hamburg ihren Sitz. Und deren Mitarbeiter haben eine Musterwohnung für Demenzkranke entwickelt. Noch bis Freitag dieser Woche ist sie in der Siegburger Geschäftsstelle zu sehen – in einer mobilen Variante aus lebensgroßen LED-Wänden.

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Ein Seniorentelefon hilft, Kontakt zu den Lieben zu halten. Wichtig ist allerdings die Auswahl von kontraststarken Fotos.

„Keine Ausstellung, die zeigt: »So muss ich das tun«“ soll die Wanderschau sein, betont Stefanie Froitzheim, Leiterin der 2008 gegründeten Servicestelle. „Jeder hat zu Hause seine eigenen Probleme“, betont Fachberaterin Sanella Ugljen-Gierlich. Mit den ratsuchenden Angehörigen gehen sie und ihre Kolleginnen durch die Präsentation und schauen gemeinsam, was sich einfach und auch kostengünstig umsetzen lässt.

Großes Interesse an mobiler Wohnung

Schon 2015 sei eine „Musterwohnung“ der Diakonie in Hamburg auf Einladung der AOK in Jülich zu Gast gewesen, berichtet Stefanie Froitzheim. „32 Quadratmeter groß, aufgebaut wie ein Messestand.“

Mit Möbeln unter anderem aus Haushaltsauflösungen erweiterte Froitzheim Team die Wohnung, auf 120 Quadratmetern zeigten sie schließlich das Wohnumfeld der Menschen. Riesig war das Interesse von pflegenden Angehörigen, auf Reisen gehen konnte die Musterwohnung aus nachvollziehbaren Gründen aber nicht.

Seit fast drei Jahren ist nun die mobile Musterwohnung mit drei LED-Wänden unterwegs, das Interesse stets groß. Bis Freitag können sich Interessierte in Siegburg auch ohne AOK-Zugehörigkeit in der Geschäftsstelle, Theodor-Heuss-Straße 1, kostenlos beraten lassen. Terminvereinbarung über die Servicestelle Demenz in Jülich wird erbeten: 02461/682-299. (dk)

Das beginnt an der Garderobe: Bei Menschen mit Weglauftendenzen sollten Ausgehkleidung und -tasche dort eher nicht hängen, da sie den Gedanken auslösen können, das Haus zu verlassen. Droht hingegen die Vereinsamung, kann der bereits erwähnte Hut zum Ausgehen anregen. Eine weiße Gardine kann die Haustür unkenntlich machen, Sensormatten warnen im Bedarfsfall Angehörige oder Pflegepersonal.

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Kräftige Farben, rutschfeste Unterlage für den Teller, die Medikamentendosis in einem Schnapsglas: ein richtig gedeckter Esstisch.

„Orientierung, Sicherheit und Wohlbefinden“ für den Erkrankten nennt Froitzheim als Ziel der meist leicht zu bewerkstelligenden Eingriffe. Starke Farbkontraste auf dem Tisch statt Geschirr Ton in Ton zählen dazu. Wer sich wundert, dass Mutter, Vater oder Ehepartner kein Wasser trinkt, muss sich klarmachen, dass ein transparentes Glas mit durchscheinendem Inhalt auf dem Tisch für einen Erkrankten kaum zu sehen ist. Hinweise auf den Inhalt an Schranktüren und Schubladen bieten Orientierung in der Küche. Aber auch kleine Warnungen wie „Herd aus?“ oder eine Herdsicherung, die selbstständig abschaltet, können helfen. Symbolaufkleber kennzeichnen die Tür zum Badezimmer, farbiges Klebeband markiert deutlich die Ränder von Toilette und Waschbecken. „Rot und Blau sind die Farben, die ein Erkrankter am längsten erkennt.“ Gutes Licht ohne angstmachende Schatten ist ebenso wichtig wie die Position der Möbel – bloß keine unnötigen Veränderungen – oder die Beseitigung von Stolperfallen.

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Doch nicht nur in der Wohnung von Erkrankten sind oftmals Veränderungen nötig. „Die Beratung weckt viel Verständnis“, weiß Sanella Ugljen-Gierlich. Zu begreifen, warum ein kranker Mensch Papierkorb und Toilette nicht mehr unterscheiden kann oder Fremde in seiner Wohnung sieht, wo niemand ist, erleichtert nicht nur den Pflegenden das Leben. In Rollenspielen lernen auch Pflegeschülerinnen und -schüler den richtigen Umgang mit den Patienten. Simulationen ergänzen zudem die Schauwände: Papierbällchen auf einen Teller zu legen, wenn man nur über Spiegel schauen kann, treibt unter Umständen auch einen gesunden Menschen zur Verzweiflung. Und zeigt eindringlich, wie sich Demenzkranke im Angesicht ihrer schwindenden Fähigkeiten oft fühlen. Auch für den Umgang mit der Verzweiflung, nicht mehr gebraucht zu werden, hat Sanella Ugljen-Gierlich einen Ratschlag: „Lassen Sie Ihre Mutter doch Knöpfe sortieren“, schlägt sie der Ratsuchenden aus Porz vor. Und in der Küche könnten Düfte wie Vanille oder Marzipan verloren geglaubte Fähigkeiten wieder wecken.

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