Gedenktafel in Odendorf eingeweihtFlut-Betroffene spricht von „Narben in uns drin“

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Neben der Gedenkplatte entzündeten Odendorfer nach deren Einsegnung Kerzen für einen Gang zum Zehnthof.

Swisttal – Feuchte Augen, Taschentücher – bei der Gedenkfeier in Odendorf war die Kirche voll, und die weit mehr als 100 Menschen, die die Flut vor einem Jahr miterlebt hatten, schritten mit Pater Marek und dem Organisationsteam zur Alten Kirche, um dort die Gedenkplatte einzuweihen, die künftig für etliche Betroffene Ankerpunkt ihrer Trauer sein dürfte.

Marek sprach beim Gottesdienst über Zerstörung und Heimatlosigkeit, über Trauer und Angst. Betroffene hätten lernen müssen, schwierige Situationen auszuhalten. Aber es habe auch etwas Neues begonnen und es seien Verbindungen zu fremden Menschen entstanden. Marek: „Wir halten zusammen, das ist real. Die Arbeit gegen Einsamkeit und Zerstörung ist eine Gemeinschaftsleistung.“

Hilfsbereitschaft habe das Jahr nach der Flut-Katastrophe geprägt

Auch Ortsvorsteher Jürgen Bröhl traf den Nerv: „Das eine Jahr war geprägt durch die Katastrophe und die nicht für möglich gehaltene Welle der Hilfsbereitschaft. Vieles ist nicht mehr, wie es war, und die Dauer ist nicht absehbar.“ Bröhl appellierte an die Odendorfer: „Bleiben Sie zuversichtlich!“ Er erinnerte an die beiden Toten – aus Essig und aus Odendorf: „Der Preis war hoch.“

Wer in der vollen Kirche von den Überlebenden, den Pfadfindern in Kluft und den Rettungskräften  wie Feuerwehrleuten in Uniform noch nicht ergriffen war, die packte Arletta Kösling mit den Worten einer Betroffenen vom Orbach. Sie sprach vom Eindringen in die Seele und dem, was die Betroffenen lernen mussten, etwa Dinge anzunehmen von Fremden. „Die Hilfe war überwältigend, aber ... wir haben viel Liebgewordenes verloren, das wir gerne gerettet hätten.“ Sie ließ die Zahl von zwei Toten in der Gemeinde nicht stehen: „Ich kenne drei Witwen, die sagen zum Tod ihrer Männer: ,Das war die Flut!‘ Wir müssen uns heilen, gegenseitig – bestärken: Die Narben sind jetzt in uns drin.“

Kai Imsande, den spätestens alle im Ort kennen, seit er den Infopoint ins Leben gerufen hat – auch sein Nachbar –, rief dazu auf, nach vorn zu schauen. „Wir wissen alle, was vor einem Jahr war.“ Und weil es die Politiker zu oft andersrum sagten, korrigierte der „Vorzeigehelfer“: „Die Helden, das sind die Betroffenen, nicht die Helfer. Er war zutiefst beeindruckt, als Odendorfer zu Beginn des Krieges „im tiefsten Schlamassel für die Ukraine spendeten“. Zur Flut sagte er: „Wir können es nicht ungeschehen machen. Aber wir können miteinander sprechen.“

Klaus Jansen, der als Solist in der Kirche Zuhörer zu Tränen rührte, sprach vor der eigentliche Segnung der Gedenkplatte an der Alten Kirche über deren Entstehung und das „Team Gedenktafel“, zu dem er gehört. In einem ruhigen Winkel auf dem alten Friedhof, der die Alte Kirche St. Peter und Paul umgibt, bietet die gläserne Platte  künftig Besuchern einen Ausblick über die Ziegelsteinmauer hinweg auf den Orbach, wo nun mehrere Häuser fehlen. „Heute genau vor einem Jahr hat sich unser aller Leben verändert“, sagte Jansen und zitierte einen Feuerwehrmann, der rückblickend seine Hilflosigkeit im Einsatz schilderte. „Genau so sah es auch damals in mir aus.“ Jansen war als Kriminalbeamter  des Öfteren in  umfangreiche Sondereinsätze eingebunden, hatte es mit Amokläufern, Terroristen, „Großschadenslagen“ zu tun.

„Mein Berufsleben hat mich auf Vieles vorbereitet“, sagte er bei der Enthüllung der Tafel: „Aber auf das, was der 14. Juli brachte, nicht. Angst, Angst um die Meinen, Hilflosigkeit!“ Seine berufliche Erfahrung habe ihn jedoch eines gelehrt: „Trauer braucht immer Ankerpunkte.“ Sei es für ein gemeinsames Gedenken oder ein individuelles.

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So habe er früh daran gedacht, eine Gedenktafel installieren zu wollen und auch schnell Verbündete gefunden. Vor einem halben Jahr präsentierte das Team erstmals öffentlich seine Ideen, und auch das Motiv der Tafel fand schnell Zuspruch: Sabrina Schumacher hatte es entworfen Sie hat an der Glasfachschule in Rheinbach gelernt und kombinierte Silhouetten markanter Odendorfer Gebäude mit weinenden Augen und stilisierten, bunten  Menschen, die eine Kette aus Helfern bilden.

Die Zeichnung passt zu Textzeilen, die heute auf der Tafel stehen und von verschiedenen Odendorfern stammen: „Wir erlebten Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Solidarität in unglaublichem Maße“ und: „Die Zeit heilt nicht alle Wunden, sie lehrt uns aber, mit dem Unbegreiflichen zu Leben.“ Jansen forderte bei der Einweihung der Gedenktafel: „Es müssen die richtigen Lehren aus dem 14.7.2021 gezogen werden!“

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