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Schwer von der Flut getroffenWo steht Odendorf beim Wiederaufbau?

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Angela Gilges vom Bürgerverein Odendorf steht im zurzeit ausgetrockneten Bett des Orbachs.

Swisttal – „Zesamme stark blieve! #Ondörp“, dieser Slogan auf dem Edelstahlherz einer Maifeier vor zwei Jahren steht für das soziale Engagement und den Zusammenhalt in Odendorf in schwierigen Zeiten: Denn nicht nur beim Ausbruch der Pandemie hielt die Dorfgemeinschaft zusammen, auch nach der Flut standen alle Schulter an Schulter. Nachbarn und auch viele Freiwillige von außerhalb des Dorfes scheppten Schlamm, kochten Essen für die Betroffenen und verteilten Decken, Betten, Kinderwagen und vieles mehr an nützlichem Hausrat, den die Bürger in der Katastrophennacht des 14. Juli verloren hatten.

Das Herz mit der aufmunternden Aufschrift hängt zurzeit an der Außenwand der Gaststätte „Zum Büb“, die wie das Café „Klatsch“ nebenan geöffnet ist: „Darüber haben wir uns alle sehr gefreut, diese zwei Begegnungsorte sind wichtig für die Menschen im Dorf“, erklärt Angela Gilges. Die Odendorferin zeigt auf die Verfärbung im oberen Bereich der Hauswand. Dort hatte das Wasser etwa 185 Zentimeter hoch gestanden.

Die 40-jährige Autorin ist Schriftführerin des nach der Katastrophennacht gegründeten Bürgervereins Odendorf e.V. und Ansprechpartnerin der neuen EU-geförderten LEADER Region „Voreifel – Die Bäche der Swist“. Als Anwohnerin der Essiger Straße wurde auch sie vom Starkregen überrascht, durch den der Orbach über seine Ufer trat. Ihr gesamtes Grundstück mit Hof und Scheune wurde überflutet – der Keller sowieso. Und das „nach zwei Jahren Corona mit Kleinkind und Homeoffice“, sagt Gilges. Das Chaos bei der Evakuierung ihres Heimatortes sei für ihre kleine Familie nicht ohne Ängste abgelaufen und habe „noch einmal viel Kraft gekostet“. Gilges: „Ich hatte Todesangst vor einer Flutwelle.“

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Auslöser der Panik sei eine „Durchsage der Polizei“ gewesen, die den „Bruch der Steinbachtalsperre“ verkündet habe. Zum Glück habe sich diese Meldung später als falsch herausgestellt, so Gilges. In dem Moment habe es jedoch dazu geführt, dass jeder, der konnte, flüchtete – in Ermangelung eines Notfallplans jedoch eher nicht in eine sinnvolle Richtung. „Die Nachbarn riefen: „Holt eure Kinder und haut ab.“ Auf dem Weg nach Oberdrees stand Gilges mit ihrer vier Jahre alten Tochter „zwischen unglaublich vielen Menschen“ im Stau. Letztendlich erreichte die auf zwei Autos verteilte Familie mit Hund die Oma in Mönchengladbach. Für diese Fahrt, die sonst etwa eine Stunde dauert, habe sie acht Stunden gebraucht: „Wir fühlten uns alleine gelassen“, sagt Gilges im Blick zurück: „Das vergangene Jahr war das anstrengendste Jahr meines Lebens.“

Dreiviertel des Dorfes von Flut betroffen

Gut Dreiviertel des Dorfes sei unmittelbar von der Flut betroffen, bis heute seien längst nicht alle Schäden beseitigt. Noch immer seien Straßen teilweise aufgerissen, Klinkersteine und Putz fehlten an den Häusern, von denen einige bis heute leer stünden und auf eine Sanierung warteten.

„Zwei Häuser in der Kurve am Bach erwischte es voll, sie wurden abgerissen.“ In ihrem Keller habe sich auf dem frisch aufgetragenen Putz Schimmel gebildet, so dass die Handwerker dort noch einmal von vorne anfangen müssen. Gilges hat sich durch das Schleppen von über 100 Kilogramm schweren Blumentöpfen, Sand- und Blumensäcken, mit denen sie ihr Haus vor dem Wasser sichern wollte, einen Bandscheibenvorfall zugezogen. Aber sie sieht den Vergleich zu denen, deren Häuser komplett zerstört wurden oder jenen, die Angehörige verloren: „Uns geht es noch gut.“

Gründung des Bürgervereins

Damit sie mit der Tochter und ihrem Mann Janusz Paruschke, ihren Nachbarn und Mitbürgern eine Katastrophe dieses Ausmaßes nicht noch einmal erleben muss, ist Angela Gilges nach der Flut aktiv geworden: „Ich möchte alles tun, damit Natur und Menschen wieder heilen.“ Orientiert habe sie sich bei ihrem Vorgehen an einem Ausspruch Ghandis, sagt sie, der sinngemäß laute: „Sei die Veränderung, die du dir für diese Welt wünschst.“ Sie fühle sich verantwortlich für ihre Nachbarn und das Land, auf dem sie lebt: „Ergo tue ich selbst etwas.“

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Mit sechs Gleichgesinnten gründete sie den Bürgerverein mit dem Ziel, den Betrieb des „Infopoints“ am Zehnthof mit drei hauptamtlichen Mitarbeitern sicherzustellen: „Wir können von Ehrenamtlern nicht verlangen, dass sie jahrelang umsonst arbeiten.“ Der Container ist ein Anlaufpunkt für alle von Flut betroffenen Bürger, die dort Rat und Hilfe für ihre Probleme erhalten und sich bei einem Kaffee austauschen können. Es werden dort Handwerker vermittelt, Gartengeräte ausgeliehen oder Hilfe bei Anträgen geleistet. Ein Bus und ein Transporter wurden angeschafft, die für Materialfahrten oder Ausflüge ausgeliehen werden: „Die Autos stehen jedem von Flut Betroffenen kostenlos zur Verfügung.“ Ein weiteres Produkt des Bürgervereins sind Bemühungen um den Hochwasserschutz und die damit verbundene erfolgreiche Bewerbung beim EU-Förderprogramm LEADER: „Wir sind ab 2023 neue NRW-LEADER-Region.“

Bürgergespräche

Nach der Flutkatastrophe bot die Gemeinde Swisttal im August und September Bürgergespräche an, um für den Wiederaufbau Lösungen zu finden. Diese Diskussionsforen werden nun fortgesetzt. Es geht um den Stand des Wiederaufbaus und des Hochwasserschutzes, finanzielle Hilfen und Angebote vor Ort. Zu den Terminen sollen Vertreter der Projektgesellschaft eingeladen werden, die die Gemeinde beim Wiederaufbau unterstützt, sowie Vertreter des Erftverbandes und der Wiederaufbaustelle des Rhein-Sieg-Kreises. Wieder sind die Termine im August und im September: am 24. August für Heimerzheim, am 25. August für Odendorftag, am 8. September für Ludendorf und Essig, am 13. September für Ollheim und Straßfeld. Die Veranstaltungsorte sind offen. (Bir)

Mit den zu erwartenden drei Millionen Fördergeldern sollen in der Region zahlreiche Projekte entstehen, die von den Bürgern der Anrainerkommunen der Swist selber ausgehen. Drei von Angela Gilges geleitete Arbeitsgruppen beschäftigen sich zurzeit mit den Themen Humusaufbau und regenerative Landwirtschaft, Hochwasserschutz im Forst und dem Aufbau von Dorfgärten als Treffpunkt und zur Verarbeitung von Hochwassererlebnissen: „Wir sind durch diese Bäche verbunden und waren es schon immer – haben es aber erst durch diese Katastrophe gemerkt.“ Für die Zukunft wünscht sich Gilges einen Alarm- und Einsatzplan für Hochwasser: „Wir wissen nicht, was zu tun ist, wenn es wieder zu einem so starken Regenereignis kommt, dass die Steinbachtalsperre – nun mit einer großen Scharte versehen – überläuft. Und das wird von den Behörden einfach so toleriert.“

In Odendorf gibt es am Jahrestag der Flut eine Stille Gedenkfeier: Ökumenischer Gottesdienst mit Chormusik am Donnerstag, 14. Juli, 18 Uhr in der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul an der Flamersheimer Straße. Danach Einweihung einer Gedenkstätte an der Alten Kirche am Zehnthofplatz

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