Abo

Attacke mit Steakmesser in TroisdorfFlüchtling erinnert sich nicht an versuchten Mord

Lesezeit 3 Minuten
Der Angeklagte mit Verteidiger Martin Kretschmer (l.).

Der Angeklagte mit Verteidiger Martin Kretschmer (l.).

Bonn/Troisdorf – Sein Sohn war gerade zwei Monate alt, als er am Morgen des 7. Juli 2018 von Königswinter nach Troisdorf zur Arbeit fuhr, wie jeden Tag. Was dann passierte, daran könne er sich nicht mehr erinnern, sagte der 24-jährige Kriegsflüchtling. Erst im Krankenhaus, als er aufgewacht sei, habe er erfahren, was er „Schlimmes“ getan habe. Mit einem Steakmesser soll er seinen ehemaligen Chef, den er stets liebevoll „Onkel“ nannte, unvermittelt angegriffen und zweimal in den Hals gestochen haben. Seit Montag muss sich der 24-jährige Syrer wegen heimtückischen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Bonner Schwurgericht verantworten.

Die Anklage geht davon aus, dass der anerkannte Kriegsflüchtling damals – wegen einer halluzinatorischen Psychose – bei der Tat nur eingeschränkt schuldfähig war.

„Wie von Sinnen“

Es waren dramatische Momente, als der 24-Jährige gegen 13.30 Uhr im Friseurgeschäft an der Kirchstraße auftauchte und auf den 63-jährigen Inhaber losging. Zeugen hatten geschildert, dass der Angeklagte wie von Sinnen schien, auch nicht aufhörte, als sein Ex-Chef sich in einen nahe gelegenen Zeitungskiosk flüchtete. Seine Familie und andere Zeugen konnten den Angreifer nur mit Gewalt daran hindern, dass er weiter zustach. Das 63-jährige Opfer überlebte trotz zweier Stiche in den Hals. Angeblich, so hieß es in ersten Berichten, soll der junge Friseur zornig gewesen sein, weil ihm fünf Monate zuvor wegen seiner Drogensucht gekündigt worden war. „Was ich getan habe, ist sehr traurig“, sagte der 24-Jährige.

Am Montag machte er vor Gericht einen klaren Eindruck. „Er war ein Freund, der mir und auch meiner Familie immer geholfen hat. Ich hatte nie Probleme mit ihm.“ Dann schilderte der Angeklagte, der in seiner Heimat bis zu seiner Flucht 2015 Geologie studiert hatte, mit eigenen Worten die Bilder des Krieges – das viele Blut, die zahlreichen Bombenangriffe, die Verluste von Freunden – hätten ihn hier zunehmend verfolgt. Mit Marihuana, später auch Alkohol habe er versucht, die „vielen schlimmen Dinge, die ich gesehen habe, zu vergessen“. Aber die Drogen hätten nicht geholfen. Im Gegenteil: In seinem Kopf sei alles noch schlimmer geworden. Er habe einen Psychologen gesucht, weil er wusste, dass er Hilfe braucht, aber keinen gefunden. Erst in der U-Haft wurde eine akute Psychose diagnostiziert.

Familie im Gerichtssaal

Die ganze Tragödie der Tat spiegelte sich am Montag in den entsetzten Gesichtern der Familie wider, die in der ersten Reihe des Gerichtssaales saß: Der Vater, der durch einen Bombenangriff ein Bein verloren hat, die verzweifelte Mutter in Tränen und das stumme Entsetzen der Ehefrau, die den kleinen Sohn, keine zehn Monate alt, auf dem Schoß hielt und ihm seinen Vater zeigen wollte.

In der Nähe der „Onkel“, der als Nebenkläger im Prozess saß: Ein gütiges, aber verstummtes Gesicht, das nichts von dem Erschrecken verriet, dass es ein Attentat auf sein Leben gegeben hat. Keine Regung, auch nicht, als der Angeklagte sich bei ihm entschuldigte.

KStA abonnieren