Gehörlose im Rhein-Sieg-KreisDie Maske versperrt den Blick auf die Lippen

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In den Räumen der Beratungsstelle, Am Bürgerhaus 3 in Troisdorf, gibt es regelmäßige Romménachmittage. 

Troisdorf – Nach und nach füllt sich der Raum, bis zu zehn Personen dürfen an diesem Spielenachmittag teilnehmen. Bevor die Rommékarten ausgeteilt werden, gibt es Kaffee und Kuchen, die Unterhaltung ist lebhaft – und doch fast geräuschlos: Ort des Geschehens ist die Beratungs- und Kontaktstelle des Förderverbands Gehörlose Rhein-Sieg.

Nach Monaten des Lockdowns im vergangenen Jahr dürfen die Treffen seit geraumer Zeit wieder stattfinden; seit wenigen Tagen auch wieder ohne Maske. Die Probleme, die Gehörlose in der Pandemie haben, sind damit aber noch nicht gelöst.

Ämter nehmen wenig Rücksicht

Briefe vom Amt lassen bei Claus Kröder regelmäßig Ärger aufwallen. „Bitte rufen Sie an, wenn Sie Fragen haben“, steht darin häufig, auch in den Informationen zur Corona-Impfung. Aber: „Diese Menschen können nicht anrufen“, sagt der Sankt Augustiner, seit 1998 Vorsitzender des Förderverbands Gehörlose Rhein-Sieg. Umgekehrt träfen sie in Amtsstuben und Beratungsstellen selten auf Gegenüber, die sich in der Gebärdensprache auszudrücken vermögen. Dass seit fast zwei Jahren nahezu überall Maskenpflicht gilt, macht ihnen das Leben zusätzlich schwer.

Betroffen sind ganz besonders Menschen jenseits der 50. „Früher wurde an den Schulen sehr viel Wert auf Lippenlesen und Sprechen lernen gelegt“, weiß Claus Kröder. Wenn Masken aber Mund und Nase bedecken, sei das ein großes Problem für die Älteren, so Kröder. Denn „Gehörlose legen großen Wert auf Mimik.“ Die Position der Mundwinkel gibt dem lautlosen Wort seine Klangfarbe. Ein kleines Lächeln oder eiskalte Lippen machen den Unterschied.

Corona-Gebärde zeigt fünf Stacheln

Die Gebärde für Corona kennen sie allerdings alle: Die rechte Hand beschreibt auf dem linken Arm eine Wischbewegung nach rechts, wobei die ausgestreckten Finger die Stacheln des Virus andeuten.

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Das Zeichen für Corona zeigt mit den ausgestreckten Fingern die „Stacheln“ des Virus.

Erst seit dem Jahr 2000 gibt es eine anerkannte einheitliche Gebärdensprache, die auch an den Schulen unterrichtet wird. „Die Jüngeren können das viel besser“, hätten sprachlich mehr Möglichkeiten, sich auszudrücken. Verfügen hörende Erwachsene über ein Vokabular von etwa 15.000 Worten, so sind es bei Gehörlosen in der Gebärdensprache weniger als die Hälfte.

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Es gebe aber auch Betroffene, die kaum 1000 Worte gebärden könnten: Vor allem gehörlose Kinder hörender Eltern wurden früher bisweilen regelrecht versteckt; auch zu den regelmäßigen Besuchern der Beratungsstelle zählen solche, die erst dort Gebärdensprache erlernten.

Dolmetscher werden nicht immer bezahlt

Nach wie vor sind sie aber alle zumeist auf Dolmetscher angewiesen, die sie zu offiziellen Terminen begleiten. Doch nur teilweise werden die Kosten übernommen, ganz abgesehen von den langen Wartezeiten auf einen Dolmetscher. Zur Corona-Impfung organisierte Kröder daher Gruppenimpfungen, denn: „Ohne Impfung kommt ihr bei den Treffen nicht rein“, hatte er klar gemacht. Dennoch kommt eine alte Dame aus Bornheim nicht mehr nach Troisdorf, weil sie die Fahrt in der Bahn scheut.

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Videotelefonie per Smartphone oder Computer hilft bei der Kommunikation auch in Zeiten des verordneten Abstands.

Umso schlimmer, dass geschätzt etwa 70 Prozent der Gäste in der Beratungsstelle zu Hause allein leben. Videotelefonie musste in Lockdownzeiten den persönlichen Kontakt ersetzen, doch längst nicht jeder verfügt über ein Handy oder einen Computer. Ein Gutes immerhin kann auch Claus Kröder der Pandemie abgewinnen: Vermehrt werden im Fernsehen die Ausführungen von Politikern simultan in Gebärdensprache übersetzt.  

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