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Heimspiel in NRWSPD stellt in Troisdorf Bewerber-Teams für Parteivorsitz vor

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Die Kandidaten für den Parteivorsitz sitzen bei der SPD-Regionalkonferenz auf der Bühne in Troisdorf.

Troisdorf – Norbert Walter-Borjans steht am Eingang der Stadthalle von Troisdorf und plaudert mit seinen Fans. „Ich habe heute Geburtstag, kann ich ein Selfie mit dir machen?“, fragt ein Juso den früheren NRW-Finanzminister. „Du hast ja heute ein Heimspiel“, witzelt eine Genossin und klopft Walter-Borjans auf die Schulter. „Ja, aber die kann man auch verkacken“, sagt der Kölner und lächelt.

Das „Heimspiel“ ist die 19. Regionalkonferenz der SPD, bei der sich die Kandidaten-Duos für den Parteivorsitz der Basis stellen. Eigentlich wollte Landeschef Sebastian Hartmann die Veranstaltung eröffnen, aber das ging nicht – er war in der Nacht zuvor Vater geworden.

Weil NRW der mitgliederstärkste Landesverband ist, kommt den drei Regionalkonferenzen in diesem Bundesland besondere Bedeutung zu. „NRW ist die Herzkammer der Sozialdemokratie. Wer hier überzeugt, kann einen großen Schritt in Richtung Stichwahl machen“, sagt Walter-Borjans – Spitzname „Nowabo“ – dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

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In Köln keine Halle gefunden

Insgesamt hat die SPD 23 Regionalkonferenzen geplant. Die Termine laufen nach dem immer gleichen strengen Schema ab. Die sieben Teams dürfen sich zu Beginn fünf Minuten lang vorstellen. Dann darf das Publikum Fragen stellen. Die Antworten dürfen nicht mehr als eine Minute in Anspruch nehmen. „Ich habe das Verfahren zunächst für zu aufwendig und inhaltsleer gehalten“, sagt der Kölner Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach, aber: „Was die Inhaltsleere angeht, muss ich mich korrigieren. Die unterschiedlichen Positionen haben sich deutlich herauskristallisiert.“

Bundesfinanzminister Olaf Scholz und der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius werben als einzige für den Verbleib der SPD in der Großen Koalition in Berlin. Scholz liegt dieses Präsentations-Format erkennbar nicht besonders, aber er kann darauf hoffen, wegen seiner Prominenz in die Stichwahl zu kommen. Schließlich stimmen am Ende alle SPD-Mitglieder über den Vorsitz ab, nicht nur die Besucher der Regionalkonferenzen.

An der Basis ist die Angst vor einem miserablen Abschneiden der SPD bei Neuwahlen weit verbreitet. Und für die Entscheidung der „schweigenden Mehrheit“ dürfte der Bekanntheitsgrad der Politiker wichtiger sein als ein gelungener Auftritt bei der Casting-Show.

Für seinen Auftritt bekommt Vize-Bundeschef Ralf Stegner von den 1100 Genossen viel Beifall. Seine selbstironische Vorstellung – „Gut, wenn eine Stimmungskanone wie ich den Anfang macht“ – kommt gut an. Den meisten Applaus aber erhalten Norbert Walter-Borjans und Co-Kandidatin Saskia Esken.

„Nowabo“ war vom NRW-Landesvorstand für den Parteivorsitz nominiert worden. Die Last-Minute-Aufstellung hatte bei den Mitbewerbern aus NRW für Irritationen gesorgt. Spannungen sind allerdings nicht zu spüren.

Ursprünglich hatte die Troisdorfer Veranstaltung in Köln stattfinden sollen, aber die SPD hatte dort kurzfristig keine Halle gefunden. Am Samstag waren die Kandidaten in Kamen, nächste Woche zieht der Tross nach Duisburg weiter. Am 14. Oktober beginnt die Mitgliederbefragung, die beiden Teams mit den meisten Stimmen gehen in eine Stichwahl.

Die Sieger sollen dann vom Bundesparteitag im Dezember an die Parteispitze gewählt werden.

Nina Scheer und Karl Lauterbach: Für Klimaschutz, Gegen die große Koalition

Karl Lauterbach (56) und die Umweltpolitikerin Nina Scheer (48) wollen bei ihrer Wahl an die Parteispitze aus der Großen Koalition mit der CDU aussteigen. Neben ihrer bissigen Kritik an der Regierungsbeteiligung der SPD setzt das Team auf das populäre Thema Klimaschutz. In der Regierungszeit des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt habe die Jugend für die SPD demonstriert, heute würden die Schüler von „Fridays for Future“ gegen die Politik der Partei demonstrieren. Deutlich attackiert Lauterbach das Klimapaket der Bundesregierung, das in Berlin von der SPD-Umweltministerin Svenja Schulze verantwortet wird.

Der Professor weist darauf hin, dass er seinen Kölner Wahlkreis bereits viermal direkt gewonnen habe. Bei einem Ausstieg aus der Großen Koalition habe die SPD gute Chancen, rot-grüne Bündnisse anzuführen, sagt er. Angst vor Neuwahlen sei ein schlechter Ratgeber.

Lauterbach verzichtet bei den Regionalkonferenzen auf sein bisheriges Markenzeichen, die Fliege. Sollte er SPD-Chef werden, soll das so bleiben, ließ er wissen. Durch seine häufige Präsenz in TV-Talkshows ist der Gesundheitsexperte ziemlich prominent. Wegen seines klaren Links-Profils hat das Team gute Chancen auf den Einzug in die Stichwahl.

Viel Applaus für den „Bus-Vergleich“

Der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans tritt gemeinsam mit der Digitalisierungs-Expertin Saskia Esken (58) an. Der 67-Jährige war vom Landesvorstand der NRW-SPD aufgestellt worden. Seine Bewerbung wird von zahlreichen SPD-Bürgermeistern aus NRW und Juso-Chef Kevin Kühnert unterstützt. Er erklärt den Delegierten den Niedergang der SPD mit einem Bus-Vergleich: „Bei uns stand als Fahrziel ,Soziale Gerechtigkeit’ vorne drauf, aber niemand ist eingestiegen, weil man uns nicht geglaubt hat, dass wir tatsächlich dahin wollen.“ Die SPD habe auf Berater gesetzt, die die Partei in die „neoliberale Pampa“ geleitet hätten. Nun reiche es nicht, den Bus „bunt anzustreichen“. „Wir brauchen Leute mit dem Arsch in der Hose, die auf dem Fahrersitz Platz nehmen.“

Der frühere NRW-Finanzminister war durch den Kauf von Steuer-CDs bundesweit bekannt geworden. Damals inszenierte sich Walter-Borjans als „Robin Hood“ der Steuerzahler. Der Ex-Minister hat sich als SPD-Funktionär allerdings noch nie zur Wahl gestellt und daher auch noch nie eine Wahl gewonnen. Die Zustimmung in NRW kann ihn nun aber zuversichtlich stimmen, dass es sein Team in die Stichwahl schafft. Sein „Heimspiel“ hat der FC-Fan nicht „verkackt“, sondern gewonnen.

Das jüngste Team verspricht Aufbruch

Die frühere NRW-Familienministerin Christina Kampmann (39) aus Bielefeld bildet ein Team mit Michael Roth (49), Staatsminister im Auswärtigen Amt. Das Duo ist das jüngste Tandem im Bewerberfeld und kommt mit dem „Casting-Format“ am besten zurecht. Sie werben für einen optimistischen Aufbruch und sind dagegen, immer nur in den „Rückspiegel“ zu blicken. Beide bekommen viel Beifall für ihre Forderung, dass die SPD Nationalismus und Populismus couragierter bekämpfen müsse. Viele Pointen wirken allerdings einstudiert. So erklärt Kampmann, sie wäre früher Standesbeamtin gewesen und wisse daher, wann der richtige Zeitpunkt sei, um „Ja“ zu sagen.

Kampmann wirbt für eine verbesserte Kindergrundsicherung, Roth will Trump ein Vereinigtes Europa entgegensetzen. Weil die beiden eher unbekannt sind, werden dem Team eher Außenseiterchancen eingeräumt.

„Über die Tour durch Deutschland werde ich wahrscheinlich noch erzählen, wenn ich mit 80 im Schaukelstuhl sitze“, sagte Kampmann dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Es macht mir Mut, dass wir so viele Leute in unseren Reihen haben, die für den Aufbruch bereit sind und die SPD mit ihren guten Ideen gemeinsam weiterentwickeln wollen“, fügte sie hinzu.

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