Interview mit Mediziner„Unerbittlichkeit von ALS ist das Zermürbendste“

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Klaus Grosch 2

Die Zeit, die blieb, kosteten Angelika und Klaus Grosch aus: Reisen, nach Jever, Kiel, Königssee, „da konnten wir noch wandern“.

Troisdorf/Bonn – Der Neurologe Dr. Patrick Weydt ist Leiter der ALS-Ambulanz der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie am Uniklinikum Bonn. Er war einer der behandelnden Ärzte Klaus Groschs. Die Fragen stellte Sandra Ebert.

Was ist das Tückische an ALS?

Die ALS ist eine fortschreitende Erkrankung, die durch eine zunehmende Lähmung der Skelettmuskulatur gekennzeichnet ist. Der Kraftverlust führt zu Einschränkungen der Mobilität, der Kommunikation, der Ernährung und der Atmung. Die Unerbittlichkeit des Fortschreitens trotz aller Gegenmaßnahmen ist vermutlich das Tückischste und Zermürbendste an dieser schweren Erkrankung.

Weydt

Patrick Weydt

Woran sterben die Patienten genau?

Das lebensbegrenzende Symptom bei der ALS ist meist die Atemschwäche. Das bedeutet allerdings nicht, dass man erstickt. Bei guter palliativmedizinischer Begleitung führt die Atemschwäche zu einer zunehmenden Schläfrigkeit und letzten Endes zu einem Schlaf, aus dem man nicht mehr erwacht. Die Terminalphase der ALS verläuft somit friedlich und ist oft eine Erlösung.

Herrn Groschs Entscheidung respektierten Sie. Warum?

Es ist für mich selbstverständlich, wohlüberlegte und -informierte Entscheidungen meiner Patienten zu respektieren. Alles in allem war ich dankbar dafür, wie offen Herr Grosch mit seiner Situation mir gegenüber umgegangen ist. Es ist ja auch ein Vertrauensbeweis, der mir sehr viel bedeutet.

Gehören ALS-Patienten Ihrer Meinung nach zu den, wie es das Bundesverwaltungsgericht Leipzig ausdrückt, „Extremfällen“, denen die Erlaubnis zur Selbsttötung gewährt werden sollte?

Die Verläufe und Verhältnisse sind von Patient zu Patient sehr unterschiedlich, so dass man nicht pauschal von Extremfällen sprechen kann. Sicher gibt es bei der ALS aufgrund der Klarheit der Diagnose und der Prognose besonders zugespitzte Situationen. Die überwiegende Anzahl der Patienten entscheidet sich für ein Weiterleben. Auch habe ich beobachtet, dass Patienten mit ALS zwar zu Beginn oft ausdrücken, welche Situationen sie für unerträglich halten würden.

Wenn sie aber in einer solchen Situation sind, stellen sie oft fest, dass es besser erträglich ist, als sie gedacht hatten. Manche akzeptieren dann weitere lebenserhaltende Maßnahmen oder fordern sie sogar ein. Die Entscheidung, nicht mehr weiterleben zu wollen, kann ich respektieren, wenn zuvor Alternativen besprochen und abgewogen wurden. Hilfe bei der Selbsttötung einzufordern, gleich ob von einer Institution mit Bereitstellung eines tödlichen Medikamentes oder von Mitmenschen, sehe ich jedoch skeptisch.

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