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Interview mit vergewaltigter Frau„Er hatte ein Gesicht, ich hatte eine Antwort“

Lesezeit 6 Minuten
Kann wieder lachen: Stefanie (28) will anderen Vergewaltigungsopfern Mut machen.

Kann wieder lachen: Stefanie (28) will anderen Vergewaltigungsopfern Mut machen.

Troisdorf – In einer Nacht im Mai 2012 wurde die damals 23-jährige Stefanie in Troisdorf von einem maskierten und mit einem Messer bewaffneten Mann von hinten angegriffen. Sie ist eines von drei Opfern des Vergewaltigers, der erst jetzt, fünf Jahre nach den Taten, gefasst und vom Landgericht Bonn zu zehn Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Auf Youtube veröffentlichte Stefanie nun ein Video mit dem Titel „Du bist nicht allein“.

Warum haben Sie vor Prozessbeginn ein Videotagebuch begonnen?

Ich habe die Videos zunächst für mich gemacht, als Erinnerung. Ich wollte zurückblicken können und sagen: Ich habe das geschafft. Dann habe ich gemerkt, dass es wichtig ist, es in die Welt hinaus zu tragen. Mir war nicht bewusst, wie hoch die Dunkelziffer ist.

War es für Sie eine Art Therapie?

Ich habe nicht viel darüber nachgedacht, was für Auswirkungen die Tat auf mich hatte, mein Verhalten nicht reflektiert. Im Alltag habe ich mich nicht selber wahrgenommen. Es im Video ausgesprochen zu haben, war schon eine große Befreiung. Über die Gefühle zu sprechen, gibt ein ganz anderes Selbstwertgefühl. Das Feedback hat mir gezeigt, dass der Weg genau richtig war.

Waren die Videos für Sie eine Art Vorbereitung auf das Verfahren?

Ich habe erst ab dem ersten Prozesstag über das geredet, was vor fünf Jahren passiert ist. Ich habe es meinem Mann Sebastian kurz vorher erzählt. Da war die erste Hürde überwunden, und ich fühlte mich bereit, auch vor dem Richter auszusagen.

Das heißt, Sie haben vorher auch nicht mit Ihrem Mann gesprochen?

Nein, mit niemandem.

Auch nicht mit dem Traumatologen, den Sie nach der Tat konsultierten?

Nein. Das war zu früh. Ich konnte in der Zeit nicht einordnen, wer böse ist und wer nicht.

Sie haben eine sehr schwere Zeit meistern müssen; Sie brauchten medikamentöse Unterstützung. Wie haben Sie funktioniert?

Wie eine Maschine. Ich habe das gemacht, was ich tun musste. Alles darüber hinaus war schwierig. Wenn die Panikattacken kamen, habe ich versucht, mich da nicht so fallen zu lassen, dem nicht soviel Macht über mich zu gestatten. Trotzdem habe ich manchmal einen ganzen Tag im Bett gelegen und geweint. Dann ist es wichtig, dass man einen Partner hat, der das akzeptiert.

Wie hat sich Ihre Beziehung, die Sexualität verändert?

Mein Mann hat gelernt, mich zu verstehen und Rücksicht auf mich zu nehmen. Uns hat es insgesamt eigentlich eher gestärkt. Manchmal müssen Sachen gar nicht mehr gesagt werden; der andere weiß einfach, was gemeint ist.

Sie und Ihr Mann haben nach der Tat noch zwei Kinder bekommen. Macht das die Verletzungen wieder gut?

Es macht glücklich. Auch jetzt. Etwas Gemeinsames erschaffen zu haben, das gibt neue Erinnerungen, etwas Neues, auf das man sich konzentrieren und über das man sich freuen kann.

Was haben Sie Ihren Kindern vor dem Prozess gesagt?

Meinem achtjährigen Sohn habe ich erklärt, dass es einen bösen Mann gab, der der Mama wehgetan hat. Deswegen muss ich jetzt zum Gericht, und dann kommt er ins Gefängnis. Mein Sohn hat dann gesagt: Jetzt ist die Mama berühmt, weil sie eine Heldin ist.

Sie haben den Prozess schon am ersten Tag beobachtet, obwohl Sie erst später geladen waren. Warum?

Mir war klar, ich nehme alles mit, was geht. Wenn ich mich das nicht getraut hätte, wäre die Chance nie wieder gekommen.

Sie haben den Täter im Gerichtssaal das erste Mal unmaskiert gesehen.

Richtig. Er hatte ein Gesicht. Und ich hatte eine Antwort. Bei mir kommen die Alpträume, wenn ich mir etwas nicht erklären kann. Seit dem ersten Prozesstag habe ich keine Panikattacke mehr gehabt und keine Alpträume. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, was in dieser Nacht passiert ist, sehe ich das mit einem Abschluss.

Obwohl das Urteil für Sie nicht zufriedenstellend war.

Es ist ja auch noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt. Ich hätte mir – genau wie von der Staatsanwaltschaft gefordert – eine vorbehaltene Sicherheitsverwahrung gewünscht.

Sie haben nach dem Urteil gesagt, der Täter habe zehn Jahre und sechs Monate, Sie aber lebenslänglich.

Es gibt immer noch Trigger, also Auslöser, die das Geschehen in Erinnerung rufen. Ein klappernder Maschendrahtzaun. Oder jemand, der hinter mir läuft. Ich bin lange im Dunkeln nicht rausgegangen. Jetzt mache ich das wieder, aber anders, konzentrierter. Ich würde nie Kopfhörer tragen. Wir sind aus Siegburg und dem Rhein-Sieg-Kreis weggezogen, mein Standbein zurück in den Job ist weg. Ich war in der Gastronomie; da kann ich nicht mehr arbeiten.

Warum?

Es ist nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause passiert, und das ist für mich miteinander verbunden. Sehr schwierig ist für mich der Umgang mit Laufkundschaft, wenn jemand mit einer Mütze oder mit einem Motorradhelm reinkommt. Der Umgang mit Fremden – das habe ich bis heute nicht geschafft.

Wie haben Sie persönlich sich verändert?

Ich bin fokussierter, konzentrierter, ich bin stärker, selbstbewusster, zielstrebiger. Ich habe einen extrem starken Willen.

Haben Ihre Videos dazu beigetragen?

Sie haben mich offener gemacht, zufriedener, weil ich aus dieser schlechten Sache etwas Positives habe machen können. Ich bin glücklich, helfen zu können. Ich will auch weiter drehen, ein Interview mit meiner Betreuerin vom Weißen Ring, mit meiner Siegburger Rechtsanwältin. Ich möchte aufzeigen, was ein Opfer nach einer solchen Tat tun kann.

Hatten Sie Unterstützung aus dem Freundeskreis?

Nach der Tat war keiner mehr da. Die konnten mit mir und der Situation nicht umgehen. Das hat mich getroffen, da habe ich den Schluss gezogen, keine Menschen mehr so nah an mich heranzulassen. Ich habe keine Herzmenschen. Ich sehe da auch keinen Sinn drin.

Wie sehen Sie sich in fünf oder zehn Jahren?

Am liebsten mit beiden Beinen im Berufsleben. Ich möchte das Abitur nachholen und studieren. Weg vom Kundendienst hin zu etwas, wo ich mehr gefordert werde und etwas Gutes tun kann.

So etwas wie Psychologie?

So etwas wie Jura.

Das Gespräch führte Sandra Ebert.

Der Täter und der Prozess

Nur durch einen Zufall wurde der Täter gefasst: bei einem Einbruch. Seine DNA passte zu Spuren von drei Vergewaltigungen aus dem Jahr 2012. Immer hatte der maskierte und bewaffnete Mann die Frauen (damals 23, 27 und 29 Jahre alt) von hinten angefallen, in ein Waldstück oder ein Gebüsch gezerrt, ausgezogen und zum Sex gezwungen. Anschließend nahm er ihnen Geld, Ausweis oder Schlüssel ab, drohte ihnen und verhöhnte sie.

Vor Gericht wies der heute 33-Jährige die Anschuldigungen von sich. Einmal sei der Sex einvernehmlich gewesen, sagte er. Die Tat hatte er mit dem Handy gefilmt. In den anderen Fällen müsse seine DNA, durch regen Freiluft-Sex überall in Troisdorf zu finden, vom wahren Täter zur „Tatortmanipulation“ benutzt worden sein.

Der Troisdorfer, der sowohl die Hauptschule als auch eine Ausbildung als Installateur abbrach, hat nach eigener Aussage jahrelang Drogen konsumiert. Als 13-Jähriger bereits Marihuana, zuletzt Ecstasy, Speed und Kokain.

Das Bonner Landgericht verurteilte ihn im November wegen dreifacher Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu zehn Jahren und sechs Monaten Haft – drei Jahre weniger als vom Staatsanwalt gefordert. Vorbehaltene Sicherungsverwahrung wurde nicht verhängt, da der Täter in den vergangenen fünf Jahren unauffällig war.

Ansprechpartner für Opfer von Vergewaltigungen oder sexueller Gewalt ist rund um die Uhr als erste Anlaufstelle das Bundeshilfetelefon. Alle wichtigen Informationen finden sich unter:

Mehr Infos unter www.hilfetelefon.de.

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