Treffen in TroisdorfEhemalige der Colonia Dignidad berichten von ihrem Albtraum

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Mit Schiffen wurden Kinder von Deutschland nach Chile gebracht, verschleppt von ihren Eltern, die sie auf einer Chorfahrt wähnten.

Mit Schiffen wurden Kinder von Deutschland nach Chile gebracht, verschleppt von ihren Eltern, die sie auf einer Chorfahrt wähnten.

Troisdorf – Paul Schäfer und seine Colonia Dignidad interessieren die Menschen in der Region nach wie vor. Heike Groß, Archivarin der evangelischen Kirchengemeinde Troisdorf, war ebenso überrascht wie erfreut, dass der Saal im Gemeindezentrum gut gefüllt war. Ehemalige Mitglieder der Sekte sowie Heike Rittel und Jürgen Karwelat, die ein beeindruckendes Buch zur Colonia geschrieben haben, kamen als Referenten. Und einige saßen im Publikum, die Schäfer wohl in genau diesem Raum in den 40er Jahren noch erlebt haben, wie Pfarrer Ingo Zöllich in seiner Einführung mutmaßte.

Heike Rittel war viele Male in der Villa Baviera, der früheren Colonia Dignidad, und hat 15 Mitglieder der Gemeinschaft interviewt. Eine von ihnen ist Edeltraut Müller. Sie trug das Protokoll ihres Gesprächs vor, ein eindrücklicher Bericht, ehrlich, offen und erschütternd. Ihre Brüder hatten in Lohmar-Heide gelebt, in der Privaten Socialen Mission, einem Erziehungsheim für Gruppenmitglieder. 1961 flüchtete Schäfer und gründete die Colonia Dignidad 400 Kilometer südlich von Santiago de Chile. Müller wurde 1962 im Alter von fünf Jahren nach Chile verschifft, von Genua aus.

Mit 20 anderen Mädchen schlief sie in einem Zimmer. Nahezu emotionslos zu Anfang erzählte sie von Prügel mit einem Gummischlauch auf den nackten Hintern, weil sie einnässte, vor Angst und Sehnsucht nach ihren Eltern, die sie nur selten zu sehen bekam. Die anderen Kinder wurden eingebunden in die körperlichen Misshandlungen. Sie machten mit, weil alle in ständiger Angst lebten, vor der Kindertante genau so wie vor Schäfer, der über allem thronte.

Demütigung und Gewalt

Er wies auch schon mal Gruppenkeile für angebliches Lügen an, dann schlugen alle Mädchen mit Stöcken auf das Opfer ein. „Ich hatte immer ein Gefühl von Angst, Druck und Hilflosigkeit,“, erinnert sich die heute 61-Jährige. Redeverbote, keine sexuelle Aufklärung, erniedrigende medizinische Untersuchungen, Demütigung – das hat sie 43 Jahre erlebt. Sie musste viel arbeiten, wurde schließlich Helferin im Krankenhaus und bekam psychiatrische Misshandlungen mit. Bis zum Alter von 43 Jahren hatte sie keinen Kontakt zu Männern. Schließlich durfte sie aber doch heiraten, bekam einen Sohn. „Wir sind die glücklichsten Eltern.“ Gleichwohl hängt ihr das Erlebte nach: „Uns verfolgen furchtbare Albträume.“ Doch sie und ihr Mann wollen durch Reden andere vor einem ähnlichen Schicksal bewahren.

In der anschließenden Diskussion mit Jürgen Karwelat wurde noch einmal deutlich, welche Menschenrechtsverletzungen die Colonia zu verantworten hat, bis hin zu Folterungen und Morden an Verfolgten des Pinochet-Regimes. Wie es dazu kommen konnte, wollten viele wissen. Eine Antwort lieferte einer, der Schäfer als Kind kannte: „Er hat mir als religiös vorgeprägtem Menschen gesagt, dass Gott ruft – ein, zwei, drei Mal, dann nicht mehr. Ich habe mich bedrängt gefühlt, sonst verliere ich mein Seelenheil, ewig schuldig und sündig.“

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