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Zweite Corona-SessionKarnevals-Künstler aus Rhein-Sieg zwischen Frust und Freiraum

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Bernd Stelter hat kaum Auftritte in dieser zweiten Corona-Karnevalssession. (Archivbild)

Rhein-Sieg-Kreis – Die Karnevalszüge sind abgesagt, Veranstaltungen gibt es kaum – für Jecken eine schwere Zeit. Doch wie ergeht es während der Corona-Pandemie den Karnevalsprofis in der Region, die in der närrischen Zeit einen großen Teil ihres Lebensunterhaltes verdienen? Wie besorgt sind sie, wie beschäftigen sie sich? Peter Lorber hat mit vier Größen der Branche gesprochen.

Bernd Stelter: „Der Karneval muss wiederkommen“

Legt Bernd Stelter für die Karnevalssession in der Vor-Corona-Zeit eine Auslastung von 100 Prozent zugrunde, käme er in den beiden vergangenen Jahren „so auf fünf bis sechs“ Prozent. „Mit Ausnahme der Fernsehsitzungen war nichts“, sagt der Bornheimer. „Karneval ist nicht mein Hauptgebiet, aber da liegen meine Wurzeln. Ich bin das Jahr über in Deutschland unterwegs gewesen, wobei es auch hier alles andere als gut aussah.“

Vor allem die jüngeren Bands seien von der Situation betroffen. Das große Problem, das nach Corona auf „die gesamte Unterhaltungskultur“ zukomme, sieht der 60-Jährige in der Abwanderung der vielen Spezialisten in andere, fremde Berufszweige. Stelter mahnt: „Wenn der Staat nicht auf Teufel komm raus unterstützt, kommt ein Kulturproblem auf uns zu. Die Kleinkunst muss unbedingt erhalten werden.“

Ein weiterer Aspekt sei die Coronadepression. „Der Karneval muss wiederkommen“, betont Stelter, „obwohl es lange dauern wird, bis es wieder so wie früher sein wird.“ Mit seiner Familie habe er die Zeit des engeren Zusammenlebens „bestens hingekriegt“. Deshalb möchte er „nicht wieder zum Workaholic werden“.

Wicky Junggeburth: „Die Ehrenamtler sind schwer gebeutelt“

Seit 1995, zwei Jahre, nachdem er als Wilfried I. der Prinz im Kölner Dreigestirn war und mit „Eimol Prinz zo sin“ einen Evergreen geschaffen hatte, ist Wicky Junggeburth auf den rheinischen Bühnen unterwegs. Die zweite Karnevalspause habe ihn zwar betroffen gemacht, doch sei die Pandemie nicht existenzgefährdend für ihn gewesen. „Wer mit 70 noch jeden Auftritt hinterherlaufen muss, hat irgendetwas falsch gemacht“, sagt der Wahl-Honrather.

„Die Ehrenamtler sind schwer gebeutelt“, stellt er fest. Die Tanzcorps hätten jetzt ein weiteres Jahr trainiert „und dürfen ihr Können nicht zeigen, irgendwann haben sie keine Lust mehr“. Junggeburth fragt sich zudem, ob ein ausufernder Karneval so noch richtig sei. „Vielleicht kommt jetzt mehr Besinnung in die ganze Geschichte.“

Aus der Historie habe der Karneval einen anderen Zweck: „Man wollte etwas loswerden, was sich aufgestaut hat. Da dachten die Jecken noch nicht unbedingt an Party.“

Ohnehin müsse man halblang machen: „Es ist so viel passiert im vergangenen Sommer, zum Beispiel an der Ahr oder in Erftstadt. Da haben unsere Probleme nicht annähernd die Dimension wie bei den Betroffenen dort.“

Der Sänger und Redner nutzt die Freiräume, um an seinem Programm über den Karneval in der Nachkriegszeit zu feilen. Sechs Veranstaltungen, die alle ausverkauft waren, waren im Brauhaus Sion vorgesehen und werden im Frühjahr nachgeholt.

Bruce Kapusta: „Die Karnevalsmüdigkeit wird zurückbleiben“

Der Musiker, Sänger und Entertainer ist in „normalen“ Zeiten ganzjährig mit verschiedenen Programmen unterwegs. Während im ersten Corona-Jahr „so gut wie nichts lief“, war er im vergangenen Sommer zumindest für Firmenveranstaltungen, Familienfeiern und Mitsingkonzerte „gut gebucht“.

Die hätten ihn gerettet, nicht nur finanziell, sondern auch musikalisch. „Ich stehe seit fast 30 Jahren auf der Bühne, da braucht man seine Musik und Publikum“, stellt der gebürtige Kölner fest.

Der wichtigste Zweig aber seine Karnevalsauftritte als „Der Clown mit seiner Trompete“. Seine kölsche Weihnacht, die 14 Jahre erfolgreich lief, fand jetzt zum zweiten Mal hintereinander so gut wie nicht statt. „Wir haben große Verluste, es geht an die Rücklagen“, sagt Bruce Kapusta. „Es trifft einen hart, wenn du nach so vielen Jahren auf Null zurückgebremst wirst“, berichtet der 48-Jährige, der mit Frau und vier Kindern im Rhein-Sieg-Kreis lebt. Trotzdem stimme ihn die Aufmunterung von vielen Seiten positiv: „Das trägt einen und macht Mut.“

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Kapusta sieht ebenfalls das Brauchtum bedroht. „Die Karnevalsmüdigkeit wird zurückbleiben, man wird künftig vielleicht nur noch eine Sitzung statt drei besuchen. Die Gesellschaften werden dann auch kürzer treten.“ Ein Stück Lebensqualität erkennt er allerdings in der Corona-Pause: „Es ist schön, so lange bei der Familie sein zu können.“ Doch er freut sich auf den Wiederanfang und möchte dann „schöne Momente noch schöner machen“.

Jupp Mester: „Die ganze Livemusik hängt doch am Boden“

„Vor Corona fing für mich Karneval in der ersten Januarwoche an und dauerte bis zum Aschermittwoch.“ Jupp Mester ist seit 1978 Schlagzeuger im Orchester Helmut Blödgen, dem gefragtesten musikalischen Sitzungsbegleiter in den Karnevalstempeln der Domstadt. „Man freut sich auf Karneval, und dann wird er kurzfristig abgesagt“, sagt der 63-Jährige: „Wir hängen voll in den Seilen.“

Wo er sonst in Session nur einige Tage zur Entspannung gehabt habe und fast jeden Abend am Schlagzeug saß, „bleiben jetzt zwei bis drei kleinere Sachen“, darunter eine Fernsehsitzung für den WDR, was aber auch „keine echte Sitzung“ gewesen sei. „Die ganze Livemusik hängt doch am Boden.“

Wobei er sich als pensionierter Berufssoldat – er spielte als Hornist in Bundeswehr-Musikkorps – „gut über Wasser halten“ könne im Vergleich zu den jungen Kollegen und Kolleginnen der vielen Bands, betont Jupp Mester. Die müssten alle unter einen Rettungsschirm, genauso wie die Vereine, findet der Lohmarer: „Wenn die Vereine nicht weiterleben können, brechen sie als auch Veranstalter weg. Das ist ein Teufelskreis.“ Und es würde nach seinem Empfinden lange dauern, bis der soziale Zusammenhalt wieder funktioniert.

Was Jupp Mester mit der gewonnenen Freizeit macht? Da fällt ihm vieles ein: „Sport, Fitness-Trainer, Fußball, Ski, Snowboard, Wandern.“ 

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