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Rheingoldstudie belegt Erfolg„9-Euro-Ticket ist ein Aufbruchssignal"

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Das 9-Euro-Ticket sorgt für weniger Schwarzfahrer

Köln/Düsseldorf – Das 9-Euro-Ticket hat die Einstellung der Reisenden zum Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen verändert. Sie sind nach wie vor kritisch, was die zahlreichen Schwächen wie Verspätungen, Ausfälle, Gedrängel und stickige Luft in den Zügen angeht, aber angesichts des niedrigen Preises und der unkomplizierten Nutzung nachsichtiger geworden.

Zu diesem Ergebnis kommt eine qualitativ-psychologische Studie des Kölner Rheingold-Instituts im Auftrag von Fokus Bahn NRW, zu dem sich zehn Eisenbahnverkehrsunternehmen und die großen drei Verkehrsverbünde des Landes auf Initiative des Verkehrsministeriums zusammengeschlossen haben, um die Mobilitätswende im bevölkerungsreichsten Bundesland voranzubringen.

Die Studie liegt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ exklusiv vor. Das 9-Euro-Ticket läuft am Mittwoch aus. Eine Nachfolgeregelung ist noch nicht in Sicht.

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In ausführlichen Videointerviews haben die Meinungsforscher Menschen im Alter zwischen 28 und 64 Jahren befragt. Die Hälfte von ihnen fuhr auch vor Einführung des Tickets schon regelmäßig mit dem Nahverkehr, die andere ist wieder oder ganz neu dazu gekommen.

Ein sozialpolitisches Angebot des Staates

Das 9-Euro-Ticket wurde von den Befragten anfangs mit einer „gewissen ungläubigen Euphorie“ zur Kenntnis genommen, ihnen sei aber schnell klargeworden, dass es sich angesichts hoher Energiepreise um ein sozialpolitisches Angebot des Staates handelt. Der sei in Vorleistung gegangen, anstatt zu noch mehr Verzicht aufzurufen. Dadurch sei man in einen gewissen „Zugzwang“ geraten, das eigene Mobilitätsverhalten zu verändern.

Das Ticket, so das Resümee der Forscher, „macht Hoffnung und gibt ein Aufbruchssignal. Deutschland kann auch anders – nämlich pragmatisch, einfach, für jeden erschwinglich, überraschend schnell und grenzüberschreitend.“ Die Befragten hatten das gute Gefühl, etwas für den Klimaschutz getan zu haben, ohne Verzicht üben zu müssen.

Die Möglichkeit, mit dem Ticket bundesweit zu fahren, wurde nur von den wenigsten genutzt. Beschwerden über überfüllte Züge blieben die Ausnahme, Fahrten zu Zeiten, an denen es voll werden konnte, wurden lieber vermieden.

Die Mehrheit der Befragten versuchte, die Bahn in ihre Alltagsmobilität einzubauen und das Auto auch mal stehen zu lassen. Daraus leiten die Wissenschaftler ab, dass „verrückte“ Freizeitfahrten mit dem 9-Euro-Ticket nach Sylt oder zur Zugspitze eher ein vorübergehendes Phänomen sind. „Was das Ticket wirklich attraktiv macht, ist seine Bedeutung für den eigenen Mobilitätsalltag“, heißt es in der Studie.

Preisschwelle für Nachfolger liegt zwischen 29 und 49 Euro

Doch wie soll es nach ab September weitergehen? Keiner der Befragten erwartet, dass das Ticket so günstig bleiben kann. Allerdings müsste das Reisen im Regionalverkehr deutlich günstiger werden als die bisherigen Angebote. Je nach finanzieller Ressourcen und den Entfernungen, die zurückgelegt werden müssen, liegen die Preisschwellen zwischen 29 und 49 Euro pro Monat. Ein Jahresticket für 365 Euro wird eher kritisch bewertet.

Dass das 9-Euro-Ticket deutschlandweit gültig ist, hat aus Sicht der Forscher vor allem „eine psychologisch-politische Symbolkraft.“ Gebe es keine Nachfolgelösung, wäre der Frust groß.

„Jetzt entscheidet sich, ob sich in Deutschland mal etwas bewegt. Wir haben drei bis vier parallele Krisen und jetzt auf einem Gebiet mal eine gute Lösung gefunden. Wenn die zurückgenommen wird, werden die Menschen sagen, Deutschland kann es doch nicht. Wenn wir aber einen hohen Millionenbetrag für die Fortführung dieses Tickets ausgeben, ist das auch eine Investition in die innere Sicherheit“, sagt der Psychologe Stephan Urlings, der die Rheingold-Studie mit verantwortet hat.

„Das Ticket stärkt den sozialen Zusammenhalt, das Vertrauen in den Staat und als Bonus bekommt man noch die Nachhaltigkeit obendrauf. Das ist viel mehr als eine verkehrspolitische Maßnahme. Es gilt für alle Bevölkerungsgruppen, in allen Bundesländern, für alle Berufs- und Altersgruppen. Die Bürger haben das Gefühl, dass der Staat endlich mal etwas für sie getan hat. Das hat etwas sehr Vereinigendes.“

Landesverkehrsminister machen Druck beim Bund

Die Verkehrsminister der Länder fordern den Bund auf, „zeitnah“ einen tragfähigen und nachhaltigen Vorschlag für eine Nachfolge des 9-Euro-Tickets vorzulegen.

„Die hohe Nachfrage nach dem 9-Euro-Ticket hat deutlich gezeigt, dass der ÖPNV genutzt wird, aber auch die Qualität noch deutlich ausgebaut werden muss“, sagte die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Bremens Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne), am Freitag nach einer digitalen Sondersitzung des Gremiums. Der Bund müsse die Finanzierung einer Nachfolgeregelung vollständig übernehmen. „Hier ist der Bund in der Verantwortung“, sagte Schaefer.

Die Länder fordern zudem, dass der Bund deutlich mehr Geld für den ÖPNV zur Verfügung stellt. Zusätzlich zu der bislang schon geforderten Erhöhung der sogenannten Regionalisierungsmittel um 1,5 Milliarden Euro pro Jahr fordern die Minister wegen der hohen Energiepreise für die Jahre 2022 und 2023 jeweils weitere 1,65 Milliarden Euro.

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) hat dem SPD-Vorschlag einer zunächst auf NRW beschränkten Nachfolgelösung für das 9-Euro-Ticket eine Absage erteilt. „Wir werden keine NRW-Lösung machen, bevor nicht im Bund irgendeine Entscheidung getroffen ist“, sagte er am Freitag im Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) in Duisburg. Für eine solche Lösung fehle es an Geld im Landesetat.

Krischer gegen eigene Lösung für NRW

Die SPD-Landtagsfraktion hatte am Donnerstag ein Monatsticket für 30 Euro ins Spiel gebracht, mit dem NRW schon vor einer bundesweiten Regelung zunächst allein vorangehen könnte. Das 9-Euro-Ticket läuft Ende August aus. Das 30-Euro Monatsticket könnte nach der Vorstellung von SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty zunächst in NRW und ab 1. Januar 2023 bundesweit gelten. Die Frage nach einem Nachfolgeangebot müsse schnell beantwortet werden

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„Ich finde es sehr interessant, dass es diesen Vorschlag gibt“, sagte Krischer. Er habe bisher noch nicht die Haushaltsmittel im Etat von NRW gesehen, die irgendetwas in der Dimension des 9-Euro-Tickets aus dem Landeshaushalt allein finanzieren könnten. Die Entscheidung liege in Berlin. Krischer wirbt für ein zweistufiges Modell aus den Reihen seiner Partei: ein 29-Euro-Monatsticket für Regionen wie NRW und ein bundesweit gültiges 49-Euro-Ticket.

Was das Landesgeld angehe, sei die erste Priorität, das Angebot zu erhalten, sagte Krischer. Erstmal müsse man hier die Herausforderung lösen, dass es bei den Verkehrsbetrieben - etwa wegen der explodierten Energiekosten - Defizite im hohen Millionenbereich gebe. Auch hier sei der Bund gefordert: Die im Ampelkoalitionsvertrag angekündigte Erhöhung der Regionalisierungsmittel sei bisher noch nicht umgesetzt worden. (mit dpa)

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