Phänomen LandfluchtWie sich Wermelskirchen gegen die Überalterung stemmt

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Die Stadt ist von Wald umgeben, eine Bahnanbindung gibt es nicht. Viele junge Menschen ziehen weg. 

  • Wermelskirchen, 34 700 Einwohner, verteilt auf mehr als 40 Ortsteile, hat ein Problem, das die Kommune mit vielen kleinen und mittelgroßen Städten abseits der Metropolen teilt: Die Bevölkerung wird älter.
  • Doch die Kleinstadt nimmt den Kampf gegen die Überalterung – auf und verzeichnet erste bescheidene Erfolge.

In Elbringhausen kenne er jedes Eichhörnchen mit Vornamen, sagt Klaus Förster. 41 Jahre hat Förster mit seiner Frau Heidemarie in dem beschaulichen Ortsteil von Wermelskirchen gelebt, in einem 250-Quadratmeter-Bungalow mit großem Garten. Dann wagte das Paar das für viele Freunde Unerhörte: Die Försters zogen mehrere Kilometer weg – in die Innenstadt von Wermelskirchen. In einer neuen, barrierefreien 88-Quadratmeter-Wohnung mit Blick auf die Einkaufsstraße wohnen die gebürtigen Wermelskirchener jetzt, Hausarzt, Cafés, Rathaus und Post wenige Meter entfernt. „Wir haben den Umzug keine Sekunde bereut“, sagt Klaus Förster. „Wir haben uns einfach der Tatsache gestellt, dass wir älter werden und nicht mehr so leicht ein großes Haus mit Garten in Schuss halten können“, sagt seine Frau. Das Haus des Ehepaars hat eine junge Familie mit zwei Kindern gekauft.

Sven Leßke macht das Beispiel der Försters Mut. Zeigt es doch, dass Einfamilienhäuser in der Stadt schnell junge Käufer finden, dass der Plan greift, den Innenstadtbereich mit drei- oder viergeschossigen Häusern behutsam zu verdichten, um vor allem für Senioren neuen Wohnraum zu schaffen. „Viele Menschen sind sesshaft und heimatverbunden“, sagt Leßke, der das Amt für Stadtentwicklung leitet. Zwar ist am Arbeitsmarkt Mobilität gefragt, zu Ausbildung oder Studium ziehen viele um – Statistiken des Bundesamts für Bevölkerungsforschung zeigen aber, dass ein großer Teil der Menschen irgendwann in seine Heimatregion zurückkehrt.

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„Die Stadt Wermelskirchen hat den Wegfall von Industrien und einigen Schuhfabriken ganz gut weggesteckt“, meint Klaus Förster.

„Nach Wermelskirchen leider noch nicht so viele Menschen wie zum Beispiel in unsere Nachbarstadt Burscheid, aber das wollen wir ändern“, sagt Leßke. „Noch sind wir nicht attraktiv genug. Vor allem bieten wir nicht genug Wohnraum für junge und weniger gut verdienende Menschen, auch der ÖPNV spricht nicht unbedingt für uns.“ Wer von Wermelskirchen mit dem Bus nach Deutz will, braucht eine Stunde und 20 Minuten. Eine Bahn fährt seit 35 Jahren nicht mehr. Am Stadtrand reiht sich ein Autohaus ans nächste – der Rheinisch-Bergische Kreis gehört zu den Regionen mit der höchsten Autodichte in NRW.

Viele Jahre hinweg Einwohner verloren

Wermelskirchen, 34 700 Einwohner, verteilt auf mehr als 40 Ortsteile, hat ein Problem, das die Kommune mit vielen kleinen und mittelgroßen Städten abseits der Metropolen teilt: Die Bevölkerung wird älter, die Jungen kehren den ländlich geprägten Orten, die oft auch an einem provinziellen Image leiden, den Rücken zu – gerade dann, wenn sie nicht gut an den Verkehr angebunden sind und nicht ausreichend günstigen Wohnraum bieten. Der letzte Neubau im sozialen Wohnungsbau ist vor 13 Jahren fertiggestellt worden – obwohl die Verwaltung um Investoren kämpft. „Es lässt sich einfach nicht genug verdienen“, sagt Leßke.

Wermelskirchen hat über viele Jahre hinweg Einwohner verloren – der Zuzug von Geflüchteten und einige Neubaugebiete haben den Trend nur vorläufig gestoppt. Dabei ist die Stadt in vielen Bereichen verhältnismäßig gut aufgestellt: Die Wirtschaftskraft ist beachtlich – der größte Arbeitgeber ist Obi, die Baumarktkette hat ihren Firmensitz in Wermelskirchen. Die Stadt ist ein Zentrum der Metallverarbeitung im Bereich Räder und Rollen, Schrauben und Bolzen, im Maschinen- und Werkzeugbau. 2500 kleine und mittlere Unternehmen sind ansässig.

Klaus Förster hat 40 Jahre bei einem Hersteller von Gummi- und Plastikartikeln in Elbringhausen gearbeitet. Die Firma gibt es heute nicht mehr, „aber die Stadt hat den Wegfall von Industriebetrieben wie einigen Schuhfabriken gut weggesteckt“, sagt Förster. Wermelskirchen hat ein Gymnasium, genug Grundschulen und Kindergärten, die Rheinische Fachhochschule bietet zwei Studiengänge an, es gibt ein Kulturzentrum, dank ehrenamtlichen Engagements auch noch immer ein beheiztes Freibad und im Ortsteil Dabringhausen die gemeinnützig betriebene Dorfkneipe Markt 57.

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Schlechte Verkehrsanbindung, provinzielles Image. Wermelskirchen kämpft ums Überleben. 

Die große Kirchengemeinde unterstützt die Stadt bei der Flüchtlingsarbeit, die Stadt hat sogar ein Kino, das einmal im Monat einen Nachmittag für Senioren anbietet – nur eine von vielen Initiativen, die Klaus Förster in seiner langjährigen Funktion als Vorsitzender des Seniorenbeirats auf den Weg gebracht hat.

Die Stadt verfügt auch über ein Krankenhaus und ein ausreichendes Wohnangebot für alte Menschen – Wohngemeinschaft für Demenzkranke, betreutes Wohnen, stationäre Pflege. Dazu gibt es die idyllische Dhünntalsperre, Rad- und Wanderwege, Wald und Wiesen im Überfluss – bloß haben Wald und Wiesen noch nie gereicht, um die Jugend zum Bleiben zu bewegen.

Stadt ist strukturell gut aufgestellt

Für die Experten des Kölner Planungsbüros Must, die Visionen für den Kommunalverein Region Köln/ Bonn entwickeln, steht Wermelskirchen und speziell der Ortsteil Dabringhausen beispielhaft für eine Reihe von Orten im Rheinland, die aufgrund ihrer eher schlechten Verkehrsanbindung und der ländlichen Struktur künftig schrumpfen und vergreisen könnten – wenn sie nicht entschieden dagegen ansteuern.

Stadtplaner Robert Broesi hält ein Ortsentwicklungskonzept für nötig, mit dem vor allem die Nachfrage nach familien- und altersgerechtem Wohnen gesichert werden könnte: Zwei seiner Vorschläge – Appartement-Blocks mit großen Wohnungen für Senioren und mehrgeschossige Punkthäuser, die kleine Fachwerk- und Schieferhäuser nach und nach ersetzen könnten – setzen die Wermelskirchener bereits an mehreren Stellen im Stadtgebiet um. Broesi plädiert auch für Anbauten an bestehende Einfamilienhäuser und Zweithäuser auf großen Grundstücken – die Menschen seien nicht nur sesshaft, viele junge Familien könnten sich inzwischen auch wieder vorstellen, mit ihren Eltern oder Schwiegereltern auf einem Grundstück zu leben.

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„Noch sind wir  nicht attraktiv genug. Wir bieten  nicht genug Wohnraum für junge und weniger verdienende Menschen“, sagt Sven Leßke, Amtsleiter.

„Solche Visionen sind interessant, aber ein Stück weit auch Wunschdenken“, sagt Christiane Beyer, die in der Stadt für die Quartiersentwicklung und Fragen der demografischen Entwicklung zuständig ist. „Für Appartement-Blocks braucht man wie für Mietwohnungen und sozialen Wohnungsbau Investoren. Lohnenswert sind für viele aber nur Einfamilienhäuser.“ Die Stadt sei trotz aller strukturellen Probleme gut aufgestellt, findet Beyer. „Wir haben hier alles, was man braucht: Kino, Theater, Vereine. Außerdem kennt und hilft man sich.“

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In eher unsicheren Zeiten sei das doch wertvoll, findet Beyer, die in Düsseldorf lebt. Freilich schreckt gerade Zuzügler die Aussicht auf ein Leben in einer der vielen kleinen Hofschaften der Stadt ab – weil man dort nicht nur den Vornamen jedes Eichhörnchens kennt, sondern oft auch jedes Gerücht über das Leben des Nachbarn. Und Neue es nicht immer so leicht haben wie in der anonymen Großstadt. Für die Zielgruppe der Stadtplaner – junge Menschen, die nach der Ausbildung in die Heimat zurückkehren – ist das kein Problem: Sie kennt ohnehin jedes Eichhörnchen und jedes Gerücht.  

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