Ukraine-KriegNRW-Minister Stamp und Reul gehen gegen russische Propaganda vor

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Ein Teilnehmer eines Autokorsos mit mehreren hundert Fahrzeugen trägt nahe dem sowjetischen Ehrennmal auf dem Friedhof in Bonn-Lessenich Blumen eine russische Nationalfahne.

Düsseldorf – Der ukrainische Botschafter in Deutschland spricht von einem „Auto-Korso der Schande“, nordrhein-westfälische Kommunalpolitiker befürchten „eine neue Stufe der Auseinandersetzung“. Als Hunderte pro-russische Demonstranten in den vergangenen Tagen mit wehenden Fahnen im Auto durch Berlin sowie von Köln nach Bonn fuhren, hatte es der Krieg in der Ukraine erstmals auch auf deutsche Straßen geschafft.

Er höre zunehmend Schilderungen aus der deutsch-russischen Community, die ihn „besorgen“, betonte der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp jetzt im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger. „Aufgrund der langjährigen auch in Deutschland empfangbaren Propaganda aus dem Kreml gibt es eine zunehmende Tendenz zur Ablehnung unseres demokratischen Rechtsstaates. Und eine Hinwendung zu rechtspopulistischen Parteien sowie eine Infragestellung der Corona-Pandemie und radikaler Impfablehnung.“

„Der Trend zum Realitätsverlust“

In NRW leben etwa 900.000 russischsprachige Menschen, bundesweit sind es vier Million. Ein großer Teil davon sind sogenannte Russlanddeutsche. In NRW gehören 700.000 zu dieser Gruppe, in ganz Deutschland etwa 2,5 Millionen. Kenner der Szene berichten, dass es unter diesen Menschen eine große Anzahl von AfD-Wählern, Corona-Leugnern und Anhängern von Verschwörungstheorien gibt. „Das ist kein NRW-spezifisches sondern ein bundesweites Phänomen, das bisher aber weitestgehend unter dem Radar gelaufen ist, weil sich diejenigen ja beispielsweise meist strafrechtlich nicht bemerkbar gemacht haben“, so Stamp.

„Der Trend zum Realitätsverlust“, der nicht erst mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen habe, müsse gestoppt werden. „Es ist dringend nötig, dass das Problem jetzt angegangen wird.“ Um gegen die „Infiltration der russischstämmigen Menschen in Deutschland mit Kreml-Lügen“ ein „umfassendes Gesamtkonzept zu entwickeln“, habe er beispielsweise schon mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gesprochen. „Diese Menschen für die Demokratie zurückzugewinnen, ist eine Herkulesaufgabe, die Bund und Länder nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung bewältigen können“, so Stamp. Letztlich könne dies auch „nur mit Akteuren aus der Community gelingen, die dort über eine hohe Glaubwürdigkeit verfügen“.

Hetze wird auch in NRW geschürt

„Ich denke, die große Mehrheit unserer Leute ist zwar entsetzt über das barbarische Geschehen in der Ukraine,“ sagt Dietmar Schulmeister, der NRW-Vorsitzende der „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“ (LMdR). 500 Ehrenamtler des Verein würden ukrainische Flüchtlinge beispielsweise als Dolmetscher bei Behördengängen begleiten und unterstützen. „Aber wir sehen auch Menschen, die sich ausschließlich über russische Quellen informieren und dann die entsprechende Propaganda transportieren. So wird Unmut und Hetze geschürt, vor allem in den Sozialen Medien“, so Schulmeister.

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Joachim Stamp (FDP), stellvertretender Ministerpräsident und Familienminister in NRW

Die Größenordnungen seien schwer einzuschätzen. Er glaube indes, dass um die 60 Prozent der Russlanddeutschen in NRW den Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilen. 20 Prozent seien pro-russisch. Und weitere 20 Prozent hätten sich noch nicht entschieden, wie sie zum Krieg stehen.

„Die müssen wir jetzt abholen, denen müssen wir beispielsweise Informationen in russischer Sprache zur Verfügung stellen oder in Brennpunkten eventuell auch Streetworker einsetzen“, meint Schulmeister. Die russische Propaganda jedenfalls gehe „so weit in die Köpfe der Leute, dass sie denken, sie leben in einem Umfeld, in dem sie bedroht werden, in dem man ihre Kultur auslöschen will.“ Könnte die Gefühlslage noch weiter eskalieren? „Ja“, glaubt Schulmeister: „Wenn man sich diese Personen genau anschaut, dann denke ich, dass es auch zu Kurzschlusshandlungen kommen könnte. Ich bin besorgt über die Sicherheit in unserem Land.“

Pro-Putin-Stimmen werden lauter

Bis zum Beginn des Ukraine-Krieges habe es eine breite Schicht von russischsprachigen Menschen in Deutschland gegeben, die sich „trotz ihrer Wurzeln nicht für die Politik des Kreml interessiert haben und auch nichts damit zu tun haben wollten“, betont Lina W. vom Verein „Freies Russland NRW“. Mit Beginn des Einmarsches in die Ukraine habe sich dies jedoch drastisch geändert. „Ganz viele dieser Leute haben sich auf eine der Seiten geschlagen, es geht eine regelrechte Spaltung durch die Community“.

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Jedenfalls sei deutlich zu beobachten, dass die Pro-Kreml-Stimmen immer lauter würden. „Und solange der Krieg läuft, werden sich die Fronten noch weiter verhärten“, glaubt W. Ihren vollen Namen möchte sie nicht öffentlich nennen, weil sie Repressalien bei möglichen Russlandbesuchen fürchtet. „Dort hat sich eine gewisse Propaganda-Hysterie entwickelt, die jetzt offensichtlich nach Deutschland überschwappt." Befeuert werde dies durch falsche Behauptungen im russischen Staatsfernsehen, das in NRW noch durch einige Satelliten-TV-Anbieter zu empfangen sei. Die ehemaligen Landsleute würden in Deutschland schwer diskriminiert, heiße es dort, es gebe einen „regelrechten Russenhass".

Propaganda mit dem Z-Symbol

„Belegt“ würden die Lügen mit Fake-News. Zuletzt hatte beispielsweise eine Meldung für Aufsehen gesorgt, nach der ein 16-Jähriger in Euskirchen zu Tode geprügelt worden sei, nur weil er russisch gesprochen hat. Diese „Nachricht“ war frei erfunden, wie sich später herausstellte. In NRW ist auch das „Z“, das beispielsweise auf russischen Panzern zu sehen ist, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Das Zeichen ist zum Symbol für die Unterstützung Russlands geworden. Seit Kriegsbeginn bis zum 28. März diesen Jahres wurden nach Angaben des Innenministeriums 22 Ermittlungsverfahren eröffnet, in denen der Buchstabe „als Zeichen der Solidarität mit den russischen Militärbefehlshabern“ genutzt worden sei. Insgesamt seien über 100 Sachbeschädigungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine erfasst.

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Innenminister Herbert Reul will gezielt gegen Automatensprenger vorgehen.

„In etlichen dieser Fälle spielte das Z eine Rolle“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Buchstabe an der Hauswand sei vor sechs Wochen „vielleicht noch eine unbedeutende Schmiererei, lediglich eine unschöne Sachbeschädigung“ gewesen, so der CDU-Politiker: „Heute aber kann es unter Umständen ausdrücken: Ich billige öffentlich den völkerrechtlichen Angriffskrieg Russlands und das unsägliche Leid, das den Menschen in der Ukraine widerfährt. Wie man das gutheißen, ja sogar propagieren kann, kapiere ich einfach nicht. Die Polizistinnen und Polizisten in NRW nehmen die Z-Symbole ernst und schauen sich jeden Einzelfall ganz genau an.“

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