Förderverein„Der Diabetes soll uns nicht beherrschen“

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Sophia Wimmer (7) hat beschlossen: „Ich lasse mich vom Diabetes nicht beherrschen!“

Sophia Wimmer (7) hat beschlossen: „Ich lasse mich vom Diabetes nicht beherrschen!“

Köln. – Sophias Kindheit ist anders. Nicht so unbeschwert wie die ihrer Freundinnen. Wenn die spontan nach der Schule in den Stadtwald wollen, muss die Siebenjährige erst nachdenken und gewissenhaft ihren kleinen Rucksack packen. Unbedingt mit müssen ihr Blutzucker-Messgerät, etwas zu essen und ein paar Stückchen Traubenzucker. Für den Notfall. Wird sie heute viel rennen? Falls ja, muss noch Proviant eingesteckt werden.

Sophia hat Diabetes Typ 1. Spontan leben, das geht bei Sophia nicht. Ihr Alltag wird von der Insulinpumpe bestimmt, die die Zweitklässlerin immer am Körper trägt und die ihr mehrmals täglich Insulin verabreicht.

Ohne Insulinzufuhr würde Sophia sterben. Das wäre vor Jahren tatsächlich beinahe passiert. Mit 14 Monaten ging es Sophia sehr schlecht. Sie hatte mehrere Tage lang sehr viel getrunken und sich oft übergeben. Der Kinderarzt tippte auf einen Infekt, er hatte die Anzeichen der chronischen Krankheit nicht erkannt. „Auch ich habe anfangs nicht an Diabetes gedacht“, sagt Sophias Mutter Caroline Wimmer. „In meinem Kopf war verankert, dass das eine Krankheit ist, die hauptsächlich dicke, alte Leute betrifft.“ Keine Babys.

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Mehrmals am Tag piksen gehört zu Sophias Alltag.

Mehrmals am Tag piksen gehört zu Sophias Alltag.

Sophia war irgendwann so stark unterzuckert, dass sie ins Koma fiel. Mit dem Notarztwagen wurde sie in die Kölner Uniklinik gebracht – auf die Intensivstation. Erst dort erhielt die Familie Gewissheit darüber, was los war. Kurz nach der Diagnose stand Caroline Wimmer schon in Kontakt mit dem Förderverein für Kinder und Jugendliche mit Diabetes mellitus. Der Verein ist angegliedert an die Kinderklinik der Uniklinik Köln. Er unterstützt seit vielen Jahren betroffene Kinder, Jugendliche und deren Familien. Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich, daher ist der Verein auf Spenden angewiesen.

Unter anderem organisieren die Mitglieder des Fördervereins professionelle Schulungen für die Kinder und Angehörigen. Direkt nach der Diagnose gibt es nämlich sehr viel Neues und Ungewohntes, was auf die Familien einprasselt: Wie misst man den Blutzucker korrekt? Was bedeutet das für den Alltag und für die Ernährung? Wer hilft dem Kind in Schule oder Kindergarten?

Und auch die Pumpe ist treue Begleiterin der Siebenjährigen.

Und auch die Pumpe ist treue Begleiterin der Siebenjährigen.

Auch betroffene Familien mit geringem Einkommen sowie Diabetes-Forschungsprojekte werden vom Förderverein unterstützt. „Aufklärung und Information sind wichtige Bestandteile unserer Arbeit“, sagt Vorsitzender Georg Fabian. Die Anzahl der Kinder mit Diabetes Typ 1 steigt in Deutschland rasant an, die genauen Ursachen sind noch nicht vollständig erforscht. Klar ist aber, dass die Diagnose für alle Betroffenen zunächst ein riesiger Schock ist. Denn Diabetiker-Kinder benötigen ihr ganzes Leben lang eine Behandlung mit täglich mehrfachen Insulingaben.

Manche spritzen sich, anderen benutzen einen „Pen“, der aussieht wie ein Kugelschreiber, oder eben eine Pumpe wie Sophia. Sie trägt ihre in einem kleinen rosa Stoffbeutel immer an ihrer Hüfte. Da sie Einhörner liebt, hat sie einen großen Einhornsticker auf ihr Gerät geklebt.

Ein eingespieltes Team: Mutter Caroline Wimmer und Sophie

Ein eingespieltes Team: Mutter Caroline Wimmer und Sophie

Durch die Pumpe gelangt das Insulin über einen feinen Schlauch in ihren Körper. Der Katheter liegt ständig in ihrer Haut, Sophia muss ihn alle zwei Tage wechseln. Ein Sensor an ihrem Oberarm misst in ihrem Unterhautfett-Gewebe die Glukose. Diesen Wert gibt der Sensor über Bluetooth an Sophias Pumpe weiter. Trotzdem muss sie mehrmals am Tag ihren Blutzuckerwert messen, das kann die Pumpe noch nicht. Und dann muss Sophia „bolen“, sich selbst also nach Bedarf Insulin über ihre Pumpe verabreichen. Es gehört längst zu ihrem Alltag. Genau wie das Abwiegen jeder einzelnen Mahlzeit. „Alles, was ich esse, muss ich auf die Waage legen und berechnen. Das finde ich oft sehr nervig“, sagt Sophia. Beim Mittagessen in der Schule helfen ihr die Lehrer dabei.

Früher hatte die Zweitklässlerin auch einen Schulbegleiter, der täglich mit ihr im Unterricht saß. Inzwischen geht es auch ohne. Und trotzdem wird ihr Leben immer anders bleiben als das ihrer Freundinnen. Sich spontan den Bauch vollschlagen mit Eis oder Kuchen bei der Oma? Eine dicke Zuckerwatte auf dem Weihnachtsmarkt? Das und vieles andere ist tabu im Leben des hübschen blonden Mädchens mit dem strahlenden Lächeln.

Auch wenn Sophia bei einem Kindergeburtstag eine süße Tüte zum Abschied bekommt, darf sie die nicht sofort essen, sondern erst, wenn es mit ihren Blutzuckerwerten passt. Das ist nicht immer einfach, vor allem, wenn alle anderen sich sofort auf die Gummibärchen stürzen.

„Der bisher schlimmste Moment war, als ich Sophia die erste Spritze geben musste“, erinnert sich ihre Mutter. Sophia hat das als Kleinkind natürlich nicht verstanden und sich laut schreiend und mit Händen und Füßen gegen die Nadel gewehrt. „Das dauerhaft Belastende am Diabetes ist, dass es keine Aussicht auf Besserung gibt“, sagt Caroline Wimmer. „Sophia wird ihr ganzes Leben damit leben müssen.“

Caroline Wimmer konnte anfangs nicht mehr arbeiten, weil sich der Alltag nur um Sophias Diabetes drehte. Und auch jetzt noch steht sie drei- bis viermal in der Nacht auf, um den Blutzuckerwert ihrer Tochter zu messen. Beide sind ein eingespieltes Team. „Ich weiß, dass ich nicht ausfallen darf“, sagt Sophias Mutter. Aber in ein paar Jahren wird Sophia selbstständig ihre Werte messen und für sich und ihr Insulin sorgen – momentan geht das noch nicht.

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Trotzdem, wenn Sophia nachdenkt, kann sie heute ihrer chronischen Krankheit sogar etwas Positives abgewinnen: „Ich darf manchmal Süßigkeiten essen, wenn andere Kinder das nicht dürfen. Zum Beispiel in der Schule“, sagt sie und lächelt verschmitzt. Sobald Sophias Blutzuckerwert zu niedrig ist, darf sie ein Stück Traubenzucker lutschen, weil der besonders schnell ins Blut geht.

Blutzuckerwerte bestimmen das Leben

Ihre Blutzuckerwerte bestimmen Sophias Leben. Doch inzwischen hat die Familie entschieden: „Wir laufen dem Diabetes nicht mehr hinterher. Er muss mit uns Schritt halten.“ Mutter und Tochter wollen sich von der Krankheit nicht mehr komplett beherrschen lassen.

Jedes Jahr fahren die beiden auf eine Skifreizeit mit 120 anderen Diabetiker-Familien. „Da piepen die Pumpen um die Wette und wir zeigen uns gegenseitig unsere Sensoren in den Armen“, berichtet Sophia stolz. Caroline Wimmer ist es wichtig, dass Sophia regelmäßig andere Diabetes-Kinder trifft. Damit sie sieht, dass sie nicht alleine ist mit ihrer Krankheit. Nicht nur das Skifahren, Sport generell ist ein wichtiger Teil in Sophias Leben. Sie geht gerne golfen und schwimmen. Mit ihren sieben Jahren hat sie schon das Bronze- und Silberabzeichen gemacht. Natürlich mit ihrer Pumpe, denn die ist wasserfest. Kinder mit Diabetes wollen möglichst so leben wie alle anderen auch. „Wenn alle starren, wenn ich mal wieder meinen Blutzucker messen muss, finde ich das blöd“, sagt Sophia.

Manchmal hört sie von anderen Kindern Sätze wie: „Deine Krankheit hätte ich auch gerne. Wegen der Süßigkeiten und des Traubenzuckers.“ Doch dann reagiert die Schülerin ziemlich cool: „Gut, dann komm doch mal mit zu mir nach Hause. Dort zeige ich dir, wie ich mir alle zwei Tage meinen Katheter aus der Haut ziehen muss, um ihn zu wechseln.“ Dann sind die anderen Kinder meist ganz schnell ruhig.

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