Aufwachsen ohne OhrfeigeSeit 20 Jahren gibt es das Recht auf gewaltfreie Erziehung

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Künstlerin Cordula Stratmann sprach mit Gaby Flösser, Marlis Herterich und Krista Körbes vom Kinderschutzbund über gewaltfreie Erziehung.

Künstlerin Cordula Stratmann sprach mit Gaby Flösser, Marlis Herterich und Krista Körbes vom Kinderschutzbund über gewaltfreie Erziehung.

Köln – Eine Ohrfeige habe noch keinem Kind geschadet. Der Staat soll in die Erziehung der Kinder nicht eingreifen. Eltern würden kriminalisiert. Wenn die Kölner Kinderschützerin Marlies Herterich von ihrem Kampf gegen das Züchtigungsrecht erzählt, welcher Gegenwind ihr damals aus Politik und Gesellschaft entgegenschlug, wähnt man sich kurz in den 50er-Jahren. Als eine maßvolle Körperverletzung mit erzieherischer Absicht noch ausdrücklich rechtens war.

Doch das so genannte „Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung“ ist viel jünger, feiert nächste Woche gerade einmal seinen 20. Geburtstag. Dass Kinder von ihren Eltern nicht geschlagen werden dürfen, ist also erst seit dem 6. Juli 2000 verbrieftes Recht. Es geht zurück auf die Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention 1992. „Das Werben für eigene Rechte von Kindern ist auch heute noch schwierig“, sagt Herterich.

Statistisch sitzen zwei missbrauchte Kinder in jeder Schulklasse

Das Gesetz erklärt auch seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen für unzulässig. Und ist in Hinblick auf die aufgedeckten Missbrauchsfälle von Lügde, Bergisch Gladbach und Münster gerade hochaktuell. „Die Taten sind brutale Angriffe gegen Kinder. Sie werden gebraucht, benutzt und gequält, man spricht ihnen die Würde ab und macht sie zur Ware“, sagt Gaby Flösser, Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes NRW. Diese Fälle seien nur die Spitze des Eisberges, ist sie sich sicher. Viele Daten seien noch nicht ausgewertet, statistisch sitzen in jeder Klasse zwei Kinder mit Missbrauchserfahrungen.

Viel zu langsam käme in der Politik an, wie verbreitet sexualisierte Gewalt gegen Kinder sei. 2019 wurden in NRW 2805 Vergehen zur Anzeige gebracht. Die Fälle so genannter Kinderpornografie seien in Folge der verstärkten Ermittlungen ebenfalls stark angestiegen. Die NRW-Zahl der erfassten Delikte erhöhte sich 2019 um etwa 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Kinderschutzbund nimmt aber nicht nur körperliche Gewalt in den Blick. „Die häufigste Form von Gewalt gegen Kinder ist die psychische Gewalt“, unterstreicht Krista Körbes, Geschäftsführerin des Landesverbandes. Kinder einschüchtern, entwerten und unterdrücken sei wesentlich subtiler, aber ebenfalls traumatisierend – „auch wenn es nur um Worte geht“.

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Cordula Stratmann, die als prominenter Gast die Kampagne unterstützt, will die Väter mehr in die Verantwortung nehmen. „Wir sehen Elternschaft immer noch aus Sicht der Mütter“, beklagt die Künstlerin. „Ich vermisse eine gelebte Vaterschaft.“ Sie sieht Gewalt gegen Kinder auch als Ausdruck eines unausgeglichenen Miteinanders, in dem Mütter überfordert und Väter abwesend sind.

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