Challenges auf Social MediaJugendmedienschützer warnen vor riskanten Mutproben

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Videos, die andere in gefährlichen Situationen zeigen, sind beliebt.

Videos, die andere in gefährlichen Situationen zeigen, sind beliebt.

Köln – Ein Mädchen stellt sich auf einer Kuhweide breitbeinig vor die Tiere, sie senkt den Kopf und zieht nacheinander mit eckigen Bewegungen beide Arme hoch. Als nächstes zeigt das kurze Video, wie sie schreiend und mit den Armen wedelnd auf die grasenden Kühe zurennt, die hektisch auseinander stoben. Fertig ist die „Kulikitaka“-Challenge, die im Frühjahr aus den USA über soziale Netzwerke nach Deutschland gekommen ist: Kühe und andere Tiere erschrecken und sich dabei filmen lassen. Mittlerweile löscht das soziale Netzwerk Tiktok die Videos. Man dulde keine Inhalte, die unnötig schockierend und grausam seien, hieß es von einer Unternehmenssprecherin, weder gegenüber Menschen noch Tieren.

Diese „Challenge“, also der Wettbewerb, ist Teil eines größeren Internettrends. In seinem Jahresbericht warnt jugendschutz.net davor, dass gefährliche Mutproben unter Jugendlichen im Internet stark zunehmen. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichne man für 2019 einen Anstieg von fast 80 Prozent, insgesamt 846 Fälle selbstgefährdender Inhalte wurden der Initiative gemeldet. Nagellackentferner auf der Haut anzünden, auf fahrende Züge klettern oder an einer Steckdose einen Kurzschluss erzeugen sind einige Beispiele, die das Kompetenzzentrum von Bund und Ländern aufzählt.

Der Spaß kann schnell lebensgefährlich werden

Stefan Glaser, Leiter von jugendschutz.net, stellt fest: „Gefährliche Online-Challenges verbreiten sich in Social Media rasend schnell und finden durch den Mitmachdruck schnell Nachahmer.“ Glaser und seine Mitarbeiter beobachten, dass bei den Mutproben immer höhere Risiken eingegangen würden. „Aus Spaß kann dann ganz schnell eine lebensbedrohliche Situation entstehen.“

So auch beim eingangs erwähnten Kühe-Erschrecken. Landwirte warnen davor, dass Kühe sich bei der Flucht verletzen oder den Menschen attackieren könnten, weil sie beispielsweise ihre Kälber schützen wollen. Medien berichten auch immer wieder über Kettenbriefe, die Jugendliche systematisch und schrittweise in den Selbstmord treiben. Deren Existenz und tatsächliches Wirken ist aber umstritten.

Ein weiteres aktuelles Beispiel: Für Likes auf ihrem Social-Media-Kanal hat sich ein Mädchen in Mannheim vor wenigen Tagen dabei gefilmt, wie sie sich mit Sekundenkleber an eine Stange klebt. Rettungskräfte und Feuerwehr mussten die Schülerin befreien, sie kam mit leichten Verletzungen ins Krankenhaus. „Macht bitte nicht jeden Kram aus dem Internet nach“, warnte die örtliche Polizei auf Facebook.

Familienministerin will bessere Schutzkonzepte

Bei anderen Online-Challenges würden außerdem gerade die Videos mit missglückten Versuchen besonders viele Klicks bekommen. „Die User werden mit Spott und Schadenfreude überzogen, bis zum Cybermobbing sind es dann nur noch wenige Schritte“, sagt Glaser. Er sieht die Dienstanbieter in der Pflicht, diese Inhalte zu löschen, um Kinder und Jugendliche vor Gefahren dieser Art zu schützen. Neben den selbstgefährdenden Inhalten wurden jugendschutz.net auch deutlich mehr Gewaltdarstellungen und Bilder von sexualisierter Gewalt gemeldet als im Vorjahr.

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Bundesfamilienministerin Franziska Giffey sagt zum Jahresbericht: „Selbstgefährdungswettbewerbe, Mobbing oder sexuelle Anmache sind kein Spaß. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Kinder im Netz immer öfter mit Inhalten konfrontiert werden, die ihnen Angst machen oder sie verstören.“ Sie will mit einem Gesetz den Jugendmedienschutz modernisieren und Anbieter zu wirksamen Schutzkonzepten, effektiven Meldeverfahren und Alterskennzeichnungen verpflichten.

Jugendschutz.net untersteht der Kommission für Jugendmedienschutz und recherchiert Risiken für Minderjährige online.

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