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InterviewDamit Scheidungskinder keinen Schaden nehmen

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Wenn Eltern getrennte Wege gehen, soll das Kind nicht leiden.

Wenn Eltern getrennte Wege gehen, soll das Kind nicht leiden.

Frau Gerblich, in unseren Großstädten ist jede zweite Familie von Trennung und Scheidung betroffen. Man könnte meinen, es sei kein Tabuthema mehr und dennoch fühlen sich viele Kinder allein auf weiter Flur.

Tatsächlich herrscht eine große Sprachlosigkeit. In unseren Kursen hören wir immer wieder: „Ich bin das einzige Kind, dem so etwas passiert.“ Weil in der Regel die wenigsten darüber sprechen, glauben Kinder, dass nur sie von der Trennung der Eltern betroffen sind und erleben das als einen Makel. Kinder wollen sich nicht unterscheiden, keinen Sonderstatus in ihrem sozialen Umfeld haben.

Müsste Trennung und Scheidung mehr thematisiert werden – auch in Kitas und Schulen?

Da wird schon viel getan. Aber es ist ein sensibles Thema, auf das Kinder Dritten gegenüber mit Scham und dem Gefühl der Stigmatisierung reagieren. Vielleicht ist es auch gut, wenn das Thema nicht an jedem Ort allgegenwärtig ist. Eine Trennung ist verbunden mit Unruhe, Unsicherheit und Umbruch – da tut es Kindern gut, wenn ihnen anderswo ein sicherer, unbelasteter Ort geboten wird. Trotzdem ist ein offenes Ohr für die Sorgen der Kinder immer wichtig und richtig.

Das Gefühl „Wie stehe ich vor den anderen da?“ ist die eine, nach außen gerichtete Seite. Was geht im Inneren von Trennungskindern vor?

Eine Scheidung oder Trennung bedeutet für Kinder in aller Regel ein sehr einschneidendes Erlebnis, das mit einem Gefühlsmix aus Verunsicherungen und Verlustängsten einhergeht. Sie fürchten sich davor, dass nicht nur ein Elternteil auszieht, sondern vielleicht auch noch der zweite. Oft kämpfen Kinder mit Schuldgefühlen. Sie haben noch keine Distanz zu den Dingen, beziehen alles auf sich und glauben: Nur weil ich da bin, streiten sich meine Eltern ständig.

Was wird den Kindern damit konkret abverlangt?

Auch wenn sie sehr flexibel sind, wird ihnen doch eine enorme Anpassungsleistung zugemutet. Sie müssen die Situation hinnehmen, wie die Eltern sie entschieden haben – und fühlen sich dadurch ohnmächtig und hilflos, denken: Egal wie sehr ich mich angestrengt habe, ich konnte es nicht verhindern.

Oft geraten sie auch in Loyalitätskonflikte.

Besonders dann, wenn die Eltern vor dem Kind schlecht übereinander sprechen. Kinder werden so zur Waffe im Trennungsstreit und haben gleich zwei Probleme. Sie wissen nicht, welchen Elternteil sie überhaupt noch liebhaben dürfen und sie reden sie sich ein, dass sie schlecht sein müssen, wenn sie von zwei schlechten Menschen abstammen. Dadurch leidet auch das Selbstwertgefühl.

Trennungen können auch entlastend sein, sind sie denn grundsätzlich schlecht fürs Kind?

Vom ersten Gefühl der Kinder aus: ja. Andererseits ist ein Aufwachsen inmitten einer unglücklichen Familie auch keine Lösung für eine gute und gesunde Entwicklung. Kinder können langfristig durch Trennung und Scheidung viel Positives erleben. Können zum Beispiel intensivere Beziehungen zu ihren Eltern aufbauen. Wir haben mit vielen Männern zu tun, die ihr Vatersein nach einer Trennung intensiver erleben, weil sie sich aktiver einbringen. Auch mögliche neue Partner bedeuten manchmal einen Gewinn. Kinder sehnen sich nach Zuwendung und Aufmerksamkeit. Liebe ist unendlich teilbar, nicht nur zwischen Vater, Mutter und Kind. Wenn Kinder viele Vertrauenspersonen haben, kann das einer gesunden Entwicklung dienlich sein. Familie bedeutet doch auch, dass man behütet aufwächst und sich da, wo man ist, wohlfühlt. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Streitereien irgendwann ein Ende finden.

Und wenn nicht, sprechen Experten von „hochkonflikthaften Trennungen“. Was bedeutet das genau?

Wenn Kinder über Jahre eskalierten Streitigkeiten zwischen den getrennten Eltern ausgeliefert sind, richtet das schwere seelische und körperliche Schäden an – das können unter anderem Beziehungsunfähigkeit, Depression oder Abhängigkeiten aller Art im Erwachsenenalter sein. Hochkonflikthaftigkeit ist unter anderem gekennzeichnet durch emotionale Instabilität und das Unvermögen jedes Elternteils, die Verantwortung für den eigenen Anteil am Konflikt zu übernehmen.

Es gibt sicher keine Bedienungsanleitungen für glückliche Scheidungskinder, aber Tipps, wie man sie vor großen Belastungen schützen kann?

Eltern sind in diesen Situationen stark gestresst und laufen Gefahr, den Blick auf die Kinder zu verlieren, die neben Liebe und Zuwendung vor allem auch Orientierung und Sicherheit brauchen. Häufig ist es ein erster Schritt, wenn Eltern das bewusst wird. Ein zweiter ist, möglichst viele Bereiche im Leben des Kindes stabil zu halten, Routinen zu wahren, und keine Kontakte abzubrechen. Wichtig ist auch, sich dem kindlichen Zeitempfinden anzupassen – und nicht zu schnell zu viel zu ändern. Wenn ein Kind plötzlich mit einem neuen Wohnort, neuen Partnern, einem neuen Umfeld konfrontiert wird, ist das zu viel auf einmal.

Trotz guter Vorsätze und Bemühungen gelingt es einigen Eltern nicht, die Trennung zugunsten des Kindeswohls über die Bühne zu bringen. Woran erkennen sie, dass ihr Kind Hilfe braucht?

Veränderungen im Verhalten der Kinder sind normal. Alarmierend wäre eher, wenn die Trennung spurlos an ihnen vorüber ginge. Manche Kinder verhalten sich unauffällig und passen sich äußerlich extrem an, um den Eltern nicht zusätzlich Stress zu bereiten oder um dem verbleibenden Elternteil möglichst gut zu gefallen, damit man nicht auch ihn verliert – obwohl sie sich innerlich in einem Alarmzustand befinden. Das bedeutet enormen Stress. Wenn Kinder, die sich anders als üblich verhalten, nach einer Orientierungszeit von rund einem halben Jahr nicht wieder im gewohnten Verhalten einpendeln, sollte man externe Hilfe suchen.

Gibt es Verhaltensweisen, an denen man sich orientieren kann?

Andauernde Konzentrationsstörungen, extremer Rückzug, Leistungsabfall in der Schule, Essstörungen, depressive oder aggressive Stimmungen, Einnässen und Einkoten können Signale dafür sein, dass das Kind Hilfe braucht.

Und die erhält es in Ihren Kursen in welcher Form?

Bei Familiensache e.V. geben wir Kindern in der Gruppe mit Gleichaltrigen das Gefühl: So wie dir geht es auch anderen, du bist nicht alleine! Wir vermitteln verschiedene Lebenskonzepte und zeigen damit: Auch getrennte Familien sind Familien und nicht Nichts. Letztendlich geht es darum, nach vorne zu schauen und Kindern aufzeigen, was sie selbst dazu beitragen können, dass es ihnen besser geht. Eltern helfen wir, den Blick wieder auf die Bedürfnisse der Kinder zu lenken.

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