JugendvollzugDas Leben in Freiheit trainieren

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Köln – Wenn Jan Tölle die Mädchen nach einem Projekt verabschiedet, greift er nicht auf das gängige „Auf Wiedersehen“ zurück. Jan Tölle, sagt: „Ich sehe dich gerne wieder, aber nicht hier!“ Hier heißt in diesem Fall: Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln, Abteilung weiblich, jugendlich, 14 bis 21 Jahre. Hier in Ossendorf sind alle jungen, weiblichen Straftäter aus Nordrhein-Westfalen versammelt.

Leider, sagt Tölle, trifft er manche dann doch früher als erhofft, nicht draußen, in der Stadt oder im Park beim Spaziergang, sondern hinter den hohen Mauern. Der Sozialpädagoge weiß aus seiner fünfjährigen ehrenamtlichen Mitarbeit bei „Exit – Enter Life“, „dass die Rückfallquote leider hoch ist“.

Wenig Hilfe für Jugendliche in Haft

Der von „wir helfen“ geförderte, gemeinnützige Verein bietet Jugendlichen erlebnispädagogische Kurse in den Gefängnissen Nordrhein-Westfalens. Sein Ursprung geht auf eine Initiative dreier Sonderpädagogikstudenten zurück. Die erkannten, dass es für jugendliche inhaftierte Straftäter wenig Angebote gibt, sich kaum eine Stiftung oder ein Träger ihrer annimmt – und 2011 den Verein „Exit“ gründeten, um mit gutem Beispiel voranzugehen.

„Von der hohen Rückfallquote darf man sich nicht abschrecken lassen“, sagt Tölle und betont, wie wichtig die Arbeit und das Angebot des Vereins sei: „Die Mädchen kommen teilweise aus schwierigsten Verhältnissen, und bis sie im Gefängnis landen, muss schon jede Menge passiert sein.“ Bevor Jugendliche zur Haft verurteilt werden, versucht der deutsche Staat andere Maßnahmen, um die jungen Menschen zur Einsicht zu bringen.

Die gängigsten Vergehen sind Seriendiebstähle, Einbrüche, Raubüberfälle, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Weshalb die jungen Frauen auf Jan Tölle in Ossendorf stoßen, will er gar nicht so genau wissen.

Sozialen Umgang trainieren

„Unser Ansatz ist, dass uns die Tat gar nicht so interessiert. Bei uns stehen die Fähigkeiten der Einzelnen im Mittelpunkt“ – und die gelte es zu fördern. Deshalb setzt der Verein mit unterschiedlichen Angeboten an, wie politische, kulturelle oder sportliche Kurse. Und egal für welches Projekt die Mädchen sich entscheiden, egal ob es im Block oder über mehrere Wochen stattfindet, die Interaktion und Vermittlung sozialer Fähigkeiten bildet die Klammer einer jeden Einheit.

Genauso wichtig ist es Tölle und seinen Kollegen aber auch, dass Raum bleibt für Freude und Körperlichkeit. „So trist wie der Gefängnisalltag für die Mädchen ist – die, in Einzelzellen untergebracht, oft alleine sind –, sind die „Exit“-Einheiten mehr als nur Bildungseinheiten und werden gut angenommen. „Zwar bietet auch die JVA ein Bildungsangebot an, das den Jugendlichen zum Beispiel ermöglicht, einen Schulabschluss zu machen, aber die Nachmittage und Abende können lang sein“, weiß Tölle.

Das Spektrum der „Exit“-Kurse ist entsprechend groß. Neben dem regelmäßig gebuchten, sexualpädagogischen Projekt, bei dem es um Themen wie Verhütung, Prävention und Partnerschaft geht, finden mehrwöchige Kurse für Zirkusartistik, politische Auseinandersetzung oder Poetry Slams statt – mit dem Ziel, dass sich die jungen Inhaftierten Fähigkeiten für ein straffreies Leben aneignen, wie zum Beispiel Entscheidungsfähigkeit, Impulskontrolle und sozial erwünschte Verhaltensweisen. Tölle: „So können Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit erlebt und die Konsequenzen des eigenen Handelns bewusst gemacht werden.“

Wenn Kinder Kinder kriegen

Tölle bietet am häufigsten Poetry Slams an, und freut sich über das Talent, das viele Teilnehmerinnen mitbringen. „Das Schreiben ist häufig ihre einzige Möglichkeit, sich auszudrücken.“ So schreiben sie Rap-Texte, Gedichte, Geschichten. Zum Abschluss gibt es eine Aufführung, zu der Bedienstete und Mitgefangene eingeladen sind. Die Texte, so Tölle, beginnen oft wie ein Liebesbrief, und enden mit bitteren Tränen. Es geht darin um Einsamkeit, Verzweiflung, die Schwierigkeiten – selbst noch halb Kind – ein Kind zu haben, das man nicht sehen darf. Es geht um Rassismus, Ablehnung und andere negative Erfahrungen. „Das Gefängnis ist kein Ort, an dem man sich wohlfühlt“, sagt Tölle. Gerade junge Menschen brauchten dafür ein stabiles Gemüt – worin sie der Verein unterstützen möchte.

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