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K.o.-TropfenPetra Glueck wurde Opfer früherer Freunde – so erlebte sie das Martyrium

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Gerade zur Karnevalszeit wird allerorten vor K.o-Tropfen gewarnt.

Köln – Nur wenige Tropfen genügten, um Petra Gluecks Bewusstsein durcheinanderzuwirbeln – später auch ihr ganzes Leben. Die gelernte Werbeberaterin, Mitte 50, ist seit drei Jahren frühverrentet, weil sie ihren Job wegen massiver seelischer und körperlicher Schäden nicht mehr ausüben kann. „Posttraumatische Belastungsstörung“ lautet die Diagnose  – nach einer K.o.-Tropfen-Attacke, die in keiner Statistik auftaucht. Wie beinahe alle dieser Gewaltakte, über die im Nachhinein mit den immergleichen Worten berichtet wird: „Das nächste, an was sie sich erinnert, ist, wie sie wieder zu sich kommt.“

Martyrium im Staccato-Stil

Petra Gluecks Martyrium im Staccato-Stil zu beschreiben, macht Sinn. Unterbrochen sind ihre Erinnerungen, die sie 20 Jahre ins Unbewusste verdammte – lückenhaft die Schilderung einer Tat, die an ihr verübt wurde, als sie bewusstlos war. An einem Samstag im Mai 1996 reist Glueck, Mitte 30, für ein Klassentreffen in ihre norddeutsche Heimatstadt.

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Genießt den Tag mit ihren ehemaligen Schulfreunden. Zieht am Abend mit einem kleinen Kreis weiter in die Kneipe. Angeregt die Gespräche, ausgelassen die Stimmung, der Promillepegel im Normalbereich. Glueck, die im Außendienst arbeitet, würde niemals ihren Führerschein riskieren, trinkt, nach zwei Bier, nur Antialkoholisches.

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Knockout nach zweiter Dosis Gift

Plötzlich spürt sie, dass mit ihr etwas nicht stimmt. „Ich bin so peinlich, völlig außer Rand und Band“, denkt sie noch. Dann reißen die Erinnerungen ab. Später wacht sie auf. Im Taxi zwischen zwei Schulfreunden. Spürt, dass sie sich in Gefahr befindet, aber nicht artikulieren kann. Dann driftet ihr Bewusstsein wieder ab. Bis es in ihrer Wohnung wieder Regung zeigt. Glueck sitzt wie angewurzelt auf ihrer Couch, unfähig, sich zu bewegen, neben einem der Männer, der ihr einen Tee reicht. „Weil Dir so übel ist“. Sie trinkt – von der zweiten Dosis Gift.  

Viele Stunden später schreckt sie auf, hört Geräusche in der Küche. Von den beiden Männern, die die Tassen abspülen, und damit mögliche  Beweise, bevor sie sich verabschieden. Mit einem Lachen, das Petra Glueck noch 20 Jahre später begleiten wird.

Zerissene Strümpfe, blaue Flecken

Ihre Seele hat sich längst vom Körper getrennt. Außer Übelkeit spürt sie nichts. Ans Denken nicht zu denken. Bis sie sich endlich übergibt. Wieder und wieder. Zwischen etlichen Blackouts. Als sie im Bad erwacht, entdeckt sie, dass ihre Bluse falsch geknöpft ist. Ihre ersten Gedanken kreisen um die Scham, sich so auf dem Klassentreffen präsentiert zu haben. Dann wandert ihr Blick auf die zerrissenen Strümpfe, darunter: mit blauen Flecken übersäte Beine. Allmählich schleichen die Schmerzen ins Bewusstsein. Und mit ihnen die Gewissheit, missbraucht worden zu sein. „Der Gedanke traf mich mit einer ungeheuren Wucht.“

Kollektives Schweigen

Dass die allermeisten Opfer für immer schweigen oder sich, wie Petra Glueck, erst nach Jahren, Monaten oder Wochen, an eine Beratungsstelle wenden, erlebt auch Irmgard Kopetzky vom Kölner Verein „Notruf für vergewaltigte Frauen“ regelmäßig in ihrem Beratungsalltag. „Eine Überzahl schweigt. Aus Scham. Aus Angst davor, dass ihnen nicht geglaubt wird. Weil sie denken, selber Schuld zu tragen. Oder weil sie sich nicht erinnern können“, sagt die Sozialpädagogin – viele andere Opferschützer pflichten ihr bei.

Dagegen sagt so mancher Polizist: „Die meisten vermeintlichen Opfer unterstellen einen K.o.-Tropfen-Überfall aus Selbstschutz. Weil sie zu viel getrunken, Drogen konsumiert haben oder einen Seitensprung vor ihrem Partner mit einer Anzeige rechtfertigen wollen“ – und einige Rechtsmediziner stimmen zu.

Nicht in Zahlen zu fassen

Übertrieben? Unterschätzt? Es gibt wohl kaum ein anderes Phänomen, das sich derart in der Grauzone bewegt – und über dessen Ausmaß deshalb nur spekuliert werden kann. Auch wenn Beratungsstellen von einer extrem hohen Dunkelziffer ausgehen, eine verlässliche  Anzahl ermittelter Übergriffe gibt es nicht. 

Selbst das Bundeskriminalamt kann wenig beitragen. Seine Statistik erfasst nur Fälle, in denen potenzielle Täter beim Handel mit K.o.-Tropfen erwischt wurden. Auch im Landeskriminalamt heißt es: „Da unsere  Statistik diese Delikte nicht gesondert ausweist,  kann keine Aussage zu Fallzahlen getroffen werden.“

Partydrogen GHB und GBL

Dass K.o.-Tropfen-Überfälle offiziell nicht erfasst und gezählt werden, kritisieren Opferschützer seit Jahren und fordern, so Kopetzky, „dass Knockout-Mittel als eigenständiges Kriterium in die Statistiken aufgenommen werden.“ 

Auch in dem Katalog der Ziele und Forderungen des 2009 gegründeten Kölner „Arbeitskreis K.o.-Tropfen“ ist die dringend nötige statistische Erfassung erwähnt. Mitinitiator des Zusammenschlusses verschiedener  Kölner Initiativen ist – neben Kopetzky – Ralf Wischnewski von der Drogenhilfe Köln: „Wir haben uns schon Jahre zuvor mit dem freiwilligen Konsum der Partydrogen GHB und GBL beschäftigt. Und mussten im Rahmen unserer Präventionsarbeit in Schulen und der Partyszene  erfahren, dass die vermehrt dazu missbraucht werden, andere Menschen auszuknocken.“  

Jeder kann zum Opfer werden

Als im Februar 2010  auch  der Weltdrogenbericht von „einer starken Zunahme von K.o.-Mitteln für kriminelle Zwecke“ warnt, da sie „viel zu leicht erhältlich sind“, beschließt das Aktionsbündnis eine Aufklärungskampagne – und startet die Internetseite „www.ko-tropfen-koeln.de“. Mit dem Ziel, eine effektive Prävention und Aufklärung zu gewährleisten und die Versorgung der Betroffenen in der Region zu verbessern. Zu denen längst nicht nur  Frauen gehören. Auch Kinder und Männer werden zu Opfern von Raub- oder Sexualdelikten im Zusammenhang mit K.o.-Mitteln.Die Stoffe kommen in Discos, auf Privatpartys,  Familien- und Betriebsfeiern zum Einsatz – vermehrt auch in der Schwulenszene.

Das sagt die Kölner Polizei

Die Kölner  Polizei hat laut Sprecher Benedikt Kleinmann im vergangenen Jahr 16 Strafanzeigen wegen des Verdachts auf missbräuchlichen Einsatz von K.o-Tropfen erfasst. „Doch in keinem Fall konnte der Nachweis erbracht werden.“ Für den ist unter  anderem das Institut für Rechtsmedizin der Kölner Uniklinik zuständig. Dessen toxikologisches Labor untersucht im Auftrag der Polizei rund 100 Proben pro Jahr auf Knockout-Mittel. Wie viele positiv getestet werden,  ist laut Leiterin Hilke Andresen-Streichert nicht statistisch ausgewertet. 

Doppeltes Dilemma

Hinzukommt, dass die Anzahl der Proben keinen Aufschluss über die Anzahl der Überfälle gibt.  „Kaum  ein Opfer wendet sich an die Polizei. Wenn doch,  ist es oft für einen Nachweis zu spät.“  Die Polizei wiederum schickt nicht alle Proben in die Uni-Klinik, sondern auch in andere Labors. Kurzum: „Nicht immer sind K.o.-Mittel im Spiel, wenn es vermutet wird. Und nicht in jedem Fall, in dem sie im Einsatz waren, können wir sie nachweisen.“ Ein Dilemma.

Die nächste Crux: GBL, ein Stoff, der sehr oft  als K.o-Tropfen missbraucht wird, ist faktisch frei erhältlich. Weil die chemische  Industrie  ihn in riesigen Mengen als Lösungsmittel für Putzmittel oder Medikamente nutzt, weigert sich das Gesundheitsministerium, es dem Betäubungsmittelgesetz zu unterstellen. Schon 1999 hat  die amerikanische Drogenaufsicht GBL als „lebensbedrohliche Gesundheitsgefahr“ deklariert, weil es schwer zu dosieren ist: Ein Milliliter zu viel kann zum Tod führen.  

Der eine kurze, rettende Moment

„Was wiegt mehr, Leben zu schützen, geschätzte Tausende Vergewaltigungen pro Jahr zu verhindern  – oder das Interesse von Firmen, GBL in großen Mengen  zu beziehen?“, fragt sich Petra Glueck immer wieder auch vor Publikum. Sie hat ihr Trauma in einem Buch aufgearbeitet. Mit „K.o.- No!!“ tourt sie durch die Republik, um in Schulen oder Selbsthilfegruppen  über die Folgen von K.o-Tropfen zu informieren.

Um Betroffenen Mut zu machen, ihr Schweigen zu brechen. Und um potenzielle Opfer über den  kurzen Moment aufzuklären, der ihnen bleibt, um laut um Hilfe zu rufen: Wenn sie spüren, dass ihr Zustand nicht vom Alkohol herrühren kann. „Wir werden die K.o.-Tropfen nicht vom Markt kriegen, aber wir können lernen, die Gefahr wahrzunehmen, die jeden treffen kann.“

Hier gibt's Hilfe in Köln und der Region

Donum Vitae Köln e.V., ☎ 0221/272613, www.donumvitae-koeln.de

Frauen gegen Gewalt e.V., Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen , ☎ 0221/562035

www.notruf-koeln.de

Schwules Überfalltelefon, c/o LSVD Köln ☎ 0221/19228

Drogenhilfe Köln gGmbH ☎ 02233/709259, www.partypack.de

Frauenselbsthilfe KO-Tropfen ☎ 0221/95 15 42 16

Institut für Rechtsmedizin ☎ 0221/47888222

Arbeitskreis K.o.-Tropfen, www.ko-tropfen-koeln.de

Internetseite Petra Glueck, www.petraglueck.de

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