Kindernöte e.V.Mütter und Kinder erobern die Welt

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Gemeinsam spielen, basteln, lernen – Donnerstagsvormittags haben Chorweilers Kinder und ihre Eltern im „Kleine Schritte-Netzwerk“ die Chance auf gemeinsame Zeit.

Gemeinsam spielen, basteln, lernen – Donnerstagsvormittags haben Chorweilers Kinder und ihre Eltern im „Kleine Schritte-Netzwerk“ die Chance auf gemeinsame Zeit.

Chorweiler – Manchmal braucht es gar nicht viel. Nur eine Klarsichthülle zum Beispiel, gefüllt mit drei großen Klecksen Acrylfarbe in rot, gelb und blau. Sozialpädagogin Anna Knauer verschließt die dünne Plastikhülle sicher mit Klebestreifen und schon geht es los: Emil und Lily, beide zwei Jahre alt, matschen und drücken darauf herum, ziehen Muster mit ihren Fingern und sind fasziniert von dem bunten Farbgemisch – und ihre Hände bleiben sauber. „Was für eine tolle und einfache Idee“, loben die Mütter unisono, die ihre Kinder im evangelischen Gemeindezentrum Chorweiler beim Kreativ-Werden beobachten.

Hebamme und Fingerspiele

Donnerstagsvormittags finden hier zwei Mutter-Kind-Gruppen parallel statt. Familienhebamme Claudia Mehlgruppen betreut die Babys, Sozialpädagogin Anna Knauer ist für die Kleinkinder bis zum Kindergartenalter zuständig. Lieder singen, Fingerspiele, Kniereiter – all das gehört dazu. Die wöchentlichen Treffen sind ein Angebot des „Kleine Schritte-Netzwerks“ des Vereins „Kindernöte“, das auch von „wir helfen“ gefördert wird.

Drinnen krabbeln die Kinder auf blauen Matten und Spielteppichen, draußen wird gebaggert und gehämmert. Der Stadtteil im Kölner Norden wird umgestaltet, der Pariser Platz und die angrenzenden Straßen gleichen einer riesigen Baustelle.

Austausch statt Isolation

„In ein paar Jahren wird es hier ganz anders aussehen“, sagt Knauer, die seit mehr als zehn Jahren die Spielgruppen leitet. Und das findet sie gut – zum Beispiel weil viele der Bewohner in den riesigen Hochhäusern sozial isoliert leben. Auch viele Familien mit Kindern. „Was die Mütter hier brauchen, ist vor allem Austausch“, sagt die Sozialpädagogin. Für viele seien die Babygruppen die ersten sozialen Kontakte im neuen Lebensabschnitt. „In unseren Gruppen bauen sich die Mütter ein Netzwerk auf und verabreden sich dann auch für Nachmittagstreffen, zum Beispiel auf dem Spielplatz.“

Doch längst nicht nur Mütter aus Chorweiler-City kommen zu den Treffen von Kindernöte e.V. Die Gruppen sind voll und die Eltern und Kinder stammen aus allen Stadtteilen des Bezirks im Norden. Elena wohnt mit ihrem zweijährigen Sohn Emil in Merkenich und macht sich jeden Donnerstag auf den Weg zum Pariser Platz. „Bei uns im Stadtteil gibt es leider nicht so viele passende Angebote. Wenn, dann eher für größere Kinder.“ Sie findet gut, dass in der Mütter-Kind-Gruppe Ostern und Weihnachten gefeiert werden, dass alle gemeinsam Ausflüge machen und dass es einmal im Monat sogar einen Kochkurs gibt – mit Ideen für Gerichte, die schnell zubereitet und gesund sind und allen in der Familie schmecken.

Häufig suchen Eltern nach einer Mutter-Kind-Gruppe, damit ihr Kind Kontakte zu Gleichaltrigen knüpfen kann. Doch die Gruppenleiter erleben, dass die Kontakte auf Elternebene mindestens genau so wichtig sind. Das gilt umso mehr, wenn die Mütter besondere Belastungen tragen, wie längere Arbeitslosigkeit, psychische oder körperliche Erkrankung, wenn sie alleinerziehend sind oder aus ihrer Heimat fliehen mussten. „Gerade diese zurückgezogenen, ängstlichen Eltern, die aus welchen Gründen auch immer Hemmungen haben, mit ihrem Kind die Welt zu erobern, wollen wir mit unseren Angeboten einladen“, sagt Anna Knauer. „Denn Kontakte sind das A und O für gesundes Aufwachsen, für manche sind wir eine Art Ersatzfamilie“, sagt Knauer.

„Wenn die Mütter keine Familien in der Nähe haben, dann findet Kindergeburtstag eben in unseren Räumlichkeiten statt.“ Anfangs fand Anna Knauer das ungewöhnlich, inzwischen gar nicht mehr. Das große Thema momentan in ihrer Gruppe: Wer kriegt wann und wo einen Kindergartenplatz?

Zahnende Kinder, sterbende Hamster

Im Nebenraum drehen sich bei Familienhebamme Claudia Mehlmann die Gespräche und Diskussionen ums Schlafen, ums Stillen oder um die Beikost. Es gibt kein festes Programm in der Gruppe. Die Babys vergnügen sich mit Spielzeug und Stapelbechern auf dem Boden und die Mütter tauschen sich aus – über Themen, die sie gerade beschäftigen oder auch überfordern. „Du Claudia, kann ich dich mal was fragen?“ heißt es dann oft. „Das Zahnen der Babys ist zum Beispiel ein riesiges Thema“, weiß die Hebamme. Und diesmal erzählt eine Mutter in der Gruppe, wie die Familie vor kurzem ihren Hamster beerdigt hat. Austausch hat viele Facetten.

Aysin kommt jeden Donnerstag mit Umut zum Treffen. Der Mutter aus Seeberg ist wichtig, dass ihre zweijährige Tochter durch das Zusammenkommen mit anderen Kindern auf den baldigen Start im Kindergarten vorbereitet wird.

Morgen gehen wir zu alle Leut

„Das Angebot ist toll, die Kinder können spielen und für uns Mütter bedeutet das auch Abwechslung.“ Am Vorabend der Gruppe erzählt sie Umut jedes Mal: „Du musst jetzt schnell schlafen, morgen gehen wir wieder zu alle Leut.“ „Alle Leut gehen jetzt nach Haus“ ist das Lied, das in wohl fast jeder Mutter-Kind-Gruppe in Deutschland zum Abschied erklingt, da macht Chorweiler keine Ausnahme. „Dann weiß meine Tochter Bescheid und geht ohne Probleme ins Bett“, sagt Aysin.

Lily hat sich inzwischen den Dino geschnappt. Die Zweieinhalbjährige umschließt das kleine Plastiktier mit ihrer Faust, flitzt über den Spielteppich und kreischt, was das Zeug hält – Dino-mäßig eben. Sie besucht seit ihrem ersten Geburtstag die Gruppe im Gemeindezentrum. Ihre Mama Luisa findet gut, dass Lily hier andere Kinder trifft und dass so oft gebastelt wird. Manchmal wird auch gezaubert.

Zeit schenken für Gemeinsamkeit

„Die Kinder brauchen gar nicht viel und teures Spielzeug“, ist sich Sozialpädagogin Anna Knauer sicher. „Wenn sie später zurückblicken, werden sie sich nicht unbedingt an die hochpreisigen Spielsachen in ihrem Kinderzimmer erinnern.“ Wesentlich wichtiger seien Aufmerksamkeit und Zeit – gemeinsam verbrachte Zeit mit den Eltern. Die Angebote des „Kleine Schritte-Netzwerkes“ tragen dazu bei, dass das den Müttern und Vätern in Chorweiler ein bisschen leichter gelingt.

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