Abo

Kinderonkologie„Beim Sport vergaßen wir, dass Sara todkrank ist"

Lesezeit 4 Minuten
Sara Özmen, 11, beim Sportprogramm für krebskranke Kinder im Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße.

Sara Özmen, 11, beim Sportprogramm für krebskranke Kinder im Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße.

Köln – Nicht zu sehen, kaum zu spüren – nur erbsengroß war der Knoten an Saras Wade, der ihrem Opa auffiel, als er mit seiner Enkelin Radfahren übte. Noch keine vier Jahre war Sara erst alt. Und wollte schon unbedingt alleine Rad fahren. Weil Sara, wie ihre Mutter Sevim Özmen heute erzählt, immer alles früher können wollte als andere Gleichaltrige. Krabbeln, laufen, sprechen, lernen. All das. Doch dieser Moment vor acht Jahren und die anschließende Diagnose: Weichteiltumor – sehr komplex, nah am Gelenk, gestreut – bremsten Saras Alles-können-wollen-Drang von einen Tag auf den anderen aus. Ihren Sportsgeist allerdings konnten sie nicht brechen. Der Moment nicht. Die Diagnose nicht. Und auch die Krebstherapie im Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße nicht.

Zwei Jahre in der Kinderonkologie

Die Station A 5, Kinderonkologie wurde zum „Zuhause“ von Sara und ihrer Mutter für die folgenden zwei Jahre – mit kurzen Unterbrechungen. 24 Monate, in denen die beiden von allem isoliert sind, was ihnen bis dahin Normalität bescherte: Alltag, Familie, Freunde, Sport. „Keine Brüder zum raufen, kein Hund zum streicheln, kein Spielplatz zum austoben“, sagt Sara.

Es gibt Studien, die zeigen, dass an Krebs erkrankte Kinder und Jugendliche ihr Krankenhaus-Bett für weniger als eine Stunde am Tag verlassen. Sie sind geschwächt von der zehrenden (Chemo-)Therapie, von Bestrahlungen und chirurgischen Eingriffen. Dabei sind Bewegung und Sport für eine gesunde Entwicklung in frühen Jahren ganz besonders wichtig. Und seit Jahren Anlass genug für die Kölner Sportwissenschaftlerin Julia Däggelmann und ihr Team, die Bewegungstherapie mit krebskranken Kindern zu erforschen – und gemeinsam mit Aram Prokop, dem Leiter der Kinderonkologie, im Jahr 2011 ein Sportprogramm im Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße zu starten.

Isoliert, ohne Normalität und Freunde

„Viele unserer kleinen Patienten müssen, aufgrund der Infektionsgefahr, teils monatelang auf einer isolierten Station ausharren“, sagt Prokop, und fügt – sein Blick anerkennend auf Sevim Özmen gerichtet – an: „Und mit ihnen auch die sie begleitenden, am Boden zerstörten Eltern, die vom Rest der Familie und vom gewohnten Umfeld abgeschnitten sind.“ Und zum Teil daran zerbrechen. Nicht so Sara und Sevim Özmen. „Die beiden haben, trotz anfänglich sehr schlechter Prognose, mit ihrem olympischen Geist alle Rekorde gebrochen“, lobt Prokop. In den Disziplinen Zuversicht, Kooperation und Vertrauen. „Wir waren ja in besten Händen“, sagt Sevim Özmen. Prokop und seine „Forschungsgruppe Experimentelle Onkologie“ haben neue Verfahren entwickelt, mit denen die Wirkung von Medikamenten auf bösartige Zellen gestestet und so im Einzelfall individuelle Behandlungen ermöglichen. Auch Sara erhielt eine speziell auf sie zugeschnittene Therapie gegen ihren Weichteiltumor mit multiplen Metastasen. Und sie gilt als geheilt.

„Neben der medizinischen Versorgung ist es uns besonders wichtig, den kranken Kindern und ihren Eltern ein familiäres Umfeld zu bieten, um den Aufenthalt bei uns so angenehm wie möglich zu gestalten“, sagt Prokop. Das Kinderkrankenhaus bietet langzeiterkrankten Patienten auch eine Schule für kranke Kinder und Jugendliche der Stadt Köln an sowie und einen Sportraum. Auf der onkologischen Station gibt es zudem eine Küche für die Eltern und ein eigenes Spielzimmer für die jungen Patienten – allesamt spendenfinanziert, da die Krankenkassen nur die medizinische Betreuung übernehmen, die Bundesländer die Ausstattung der Kliniken.

Abwechslung im eintönigen Klinikalltag

Alles, was darüber hinaus zum Seelenheil der erkrankten Kinder und ihrer Familien beiträgt, wird oftmals durch Spenden von Stiftungen, Vereinen und Privatpersonen finanziert. So auch das von „wir helfen“ geförderte Sportprogramm für an Krebs erkrankte Kinder und Jugendliche. Das Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Sporthochschule Köln und des Kinderkrankenhauses bringt den jungen Patienten Abwechslung zum meist eintönigen Klinikalltag, ein wenig Normalität, hilft, wieder fit zu werden und ermöglicht Kontakt zu Geschwistern oder Freunden. Die nämlich sind herzlich eingeladen, am Sportprogramm teilzunehmen.

„Gleichzeitig können die Nebenwirkungen der zehrenden medizinischen Therapie durch körperliche Aktivität verringert und Spätfolgen vermieden werden. Da die Jungen und Mädchen während des Klinikaufenthalts und auch danach häufig geschwächt sind, brauchen sie Unterstützung und Motivationshilfe von qualifizierten Sportwissenschaftlern“, sagt Däggelmann. Am wissenschaftlich untersuchten und seit Jahren erprobten Sportprogramm haben insgesamt 100 junge Krebspatienten teilgenommen – während als auch nach der medizinischen Therapie.

Glückliche und gemeinsame Sport-Momente

Sara ist schon im siebten Jahr dabei und betritt jeden Montagabend freudestrahlend den Sportraum des Kinderkrankenhauses. Ihre Mutter bekommt noch immer Gänsehaut, wenn sie an die ersten Stunden denkt: „Sara gemeinsam mit meinem mittleren Sohn Sport machen und Spaß haben zu sehen, ließ uns für diese Stunden vergessen, wie todkrank Sara war.“ Momente des Sports, in denen Sara sich nicht als Patientin fühlen musste. Einfach Kind sein konnte.

Sara tanzt, spielt Fußball, turnt und macht Akrobatik – eindeutig diente ihr das Sportprogramm auch als Sprungbrett in den Vereinssport. Doch bei der sportlichen Nachsorge in der Turnhalle des Kinderkrankenhauses fühlt sie sich am wohlsten: „Hier habe ich Spaß und muss nicht beweisen, was ich sportlich kann.“ Nebenbei helfen ihr die freiwilligen sportmotorischen Tests dabei, ihre individuellen Fortschritte zu sehen. Damit sie gesundbleibt und – es würde ihr ähnlich sehen – viel früher als alle anderen ihr Abitur machen kann.

KStA abonnieren