Kölner Kletterfreizeit für herzkranke KinderEinmal auf die Welt hinunterblicken

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Jan Grove von Hoch-Hinaus hilft Johanna beim Anziehen des Klettergurts.

Jan Grove von Hoch-Hinaus hilft Johanna beim Anziehen des Klettergurts.

Köln – Völkerball in der Kletterhalle funktioniert anders als in der Turnhalle. Wer abgeworfen wurde, klettert ein Stück die Wand hoch und versucht von dort aus, die Kinder aus der gegnerischen Mannschaft mit dem Ball zu treffen. Lässig steht die neunjährige Johanna mit einem Fuß auf einem der unteren Griffe, hält sich mit einer Hand weiter oben fest. Ihre Mutter Claudia Eggers steht mit beiden Beinen auf dem Boden und schaut zu. Die beiden sind aus Odenthal in die Ehrenfelder Kletterfabrik gekommen. Dort trifft sich jeden Montagabend die Elterninitiative herzkranker Kinder Köln, deren Angebot von „wir helfen“ finanziell unterstützt wird. Mit Völkerball wärmen die Kinder und Jugendlichen sich auf, dann geht es an die Wand.

Der normale Sportunterricht sei für Johanna ein Graus, sagt ihre Mutter. Corona hat es verschlimmert, seitdem wollen die Sportlehrer bei jedem Wetter raus gehen. Mehr frische Luft, weniger sich verdichtende Aerosole in der Luft. Für die neunjährige Johanna bedeutet das: Frieren. Ihre Lippen werden dann blau. Die Mitschülerinnen und Mitschüler zeigen drauf und lachen. „Kinder mit Krankheiten haben immer einen Sonderstatus“, sagt Johannas Mutter, und klingt dabei gar nicht bitter, eher routiniert.

Drei Operationen waren notwendig

Ihre Tochter kam mit einem hypoplastischen Linksherz zur Welt. Ihre linke Herzhälfte ist unterentwickelt, die Durchblutung des Körpers muss die rechte Herzhälfte übernehmen. Das quasi halbe Herz funktioniert nach den drei Operationen, die dieser Herzfehler erfordert, erstaunlich gut, sagt Eggers. Trotzdem nimmt Johanna Medikamente, kann nicht so rennen wie andere Kinder und friert schneller, weil ihr Körper anders durchblutet wird. Sie leidet außerdem an Epilepsie und einer Lernschwäche.

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Die Neunjährige spricht wenig, lieber kraxelt sie mit ihren langen dünnen Beinen die Wand hoch. Im Alter von fünf Jahren war sie das erste Mal bei einer Kletterfreizeit der Elterninitiative mit dem Verein Hoch-Hinaus. Hoch-Hinaus hat sich auf therapeutisches Klettern spezialisiert, die Mitglieder helfen beispielsweise Menschen mit Autismus, Depressionen und Multiples Sklerose nach oben.

Drei Vereinsmitglieder leiten heute das Training in der Ehrenfelder Halle, einer von ihnen ist Bewegungstherapeut Marc Böhme. „Menschen mit Herzfehlern haben sehr verschiedene Einschränkungen, das macht beim Klettern aber nichts“, erklärt er. Es gäbe mit dem Seil Unterstützungsmöglichkeiten, wenn den Kletterern mal die Kraft verlässt. Man gerate auch nicht so schnell außer Atem. Außerdem gilt für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer – egal, mit welcher Einschränkung: Klettern gibt Selbstvertrauen. Einmal von oben auf die Welt hinunterblicken.

Klettern gibt Selbstvertrauen

Das sieht auch Alice Schamong so. Sie arbeitet als Psychologin im Herzzentrum der Uniklinik Köln und sagt: „Beim Klettern zählt mehr das Überlegen und Abwägen, nicht so sehr die Kondition.“ Ein Sport, der nicht überfordert, macht mehr Spaß. „Schul- und Vereinssport ist oft sehr kompetitiv, da verlieren viele Herzpatienten die Freude an der Bewegung.“ Schamong kennt die Arbeit der Elterninitiative herzkranker Kinder und lobt den Blick des Vereins auf alle Familienmitglieder. Neben Klettertraining und Reitfreizeiten für Kinder organisiert die Elterninitiative auch Seminare für Väter, Mütter und Geschwister.

Sportunterricht ist für die neunjährige Johanna oft eine Qual. Klettern liebt sie aber.

Sportunterricht ist für die neunjährige Johanna oft eine Qual. Klettern liebt sie aber.

„Wir sind eine klassische Selbsthilfegruppe“, sagt Ute Braun-Ehrenpreis, Vorsitzende der vor 34 Jahren gegründeten Initiative. Die Familien helfen sich gegenseitig, das Leben mit einem herzkranken Kind zu meistern. Etwa jedes 100. Kind in Deutschland wird mit einem Herzfehler geboren, wie schwer sie beeinträchtigt sind, ist sehr unterschiedlich. Besonders die Geschwisterkinder sind in der Elterninitiative immer wieder ein Thema, denn sie haben im Familienleben, das sich viel im Krankenhaus abspielt, zwangsläufig das Nachsehen. „Studien zeigen, dass Geschwisterkinder von schwerkranken Kindern ähnlich psychisch belastet sein können wie die Betroffenen selbst“, sagt die Psychologin Schamong.

Auch Geschwister machen mit

Deshalb sind sie auch jeden Montag beim Klettern in Ehrenfeld willkommen. Auch Johannas zwölfjährige Schwester war schon oft dabei. Johannas Mutter gab die Elterninitiative ebenfalls Halt, mittlerweile berät sie andere Eltern und macht Besuchsdienste auf der Kinderkardiologie. „Viele müssen die Situation erst einmal annehmen“, sagt Eggers über ihr Ehrenamt. „Und akzeptieren, dass das Leben sich mit einem schwerkranken Kind radikal ändert.“ Und trotzdem natürlich auch schön sein kann. Wenn sie sieht, wie Johanna strahlt, als der Klettertrainer ihr erneut den Klettergurt anlegt, zum Beispiel.

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