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Musikprojekt MixFriedensbotschafter statt Problemfall

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Das Musikprojekt Mix wird geleitet von Harald Müller (hinten, Mitte).

Köln – Sawsan Shawardi versteckte sich zwischen den Tomaten-Pflanzen, sie duckte sich und machte sich ganz klein – genauso wie ihre vier Brüder und ihre Mutter. Ein Auto mit Terroristen raste auf sie zu. „Wir hatten Angst. Sie haben aus dem Auto raus geschossen. Doch uns haben sie nicht entdeckt. Andere Menschen auf der Straße, die auch auf der Flucht waren, wurden gefangen genommen“, erzählt die heute 16-Jährige.

12 Stunden zu Fuß unterwegs

Vor mehr als sieben Jahren floh Sawsan Shawardi mit ihrer Familie aus dem Irak. Zu Fuß. Sie liefen zwölf Stunden lang in Richtung syrischer Grenze, ohne Essen und Trinken. Im Nordirak lebten sie vier Jahre lang in einem Zelt. „Dort ging es uns nicht gut. Es war immer nass und dreckig und kalt.“ Doch hätte man ein Feuer gemacht, wäre das Zelt abgebrannt. Sie machten sich auf den Weg über die Türkei, mit dem Boot nach Griechenland und über die Balkanroute nach Deutschland. Hier lebt sie heute mit ihrer Familie in Köln-Porz.

Die Geschichten, die Sawsan im Gespräch erzählt, klingen nach traumatischen Erlebnissen. So wie Sawsan haben viele Mitglieder des Jugendprojekts „Mix“ eine traumatische Geschichte. Harald Müller betreut sie seit über 25 Jahren.

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„Die Grundidee hinter dem Projekt war mit Kindern und Jugendlichen, die anderswo kaum Chancen bekommen, etwas Schönes zu machen“, sagt Müller. „Mix“ ist ein Musikprojekt gegen Rassismus und steht für „Music International against Xenophobia“ sprich: Internationale Musik gegen Fremdenfeindlichkeit.

Botschafter für den Weltfrieden

„Mix“ könnte aber auch für die vielen Sprachen stehen, die die Jugendlichen sprechen, die Religionen, die sie haben und die vielen Länder, aus denen sie kommen, wie Syrien, Irak, Polen, Türkei, Rumänien und Serbien. „Einige der Jugendlichen werden als »Problemfälle« angesehen und nicht als Botschafter für den Weltfrieden, die sie sein können“, sagt Müller, „sie erheben mit Mix ihre Stimme gegen Fremdenhass.“ Außerdem könne die Gemeinschaft der Jugendlichen als Bild für die Gesellschaft angesehen werden. Denn „so unterschiedlich die Jugendlichen auch sind, sie zeigen, dass man zusammen etwas Schönes schaffen kann“, so Müller.

Schule mit Courage

Gegründet hat Müller, Musik- und Englischlehrer, das Musikprojekt an der Hauptschule Rendsburger Platz, die dann nach Buchheim umgezogen ist und heute Nelson Mandela Schule heißt. Die Schule ist aufgrund des Projekts zur „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ geworden. Heute ist Müller kein Lehrer mehr. Das Lehrersein ist ihm zu bürokratisch geworden, er möchte mit den Kindern kreativ arbeiten, was im Unterricht nicht mehr möglich sei. Umso wichtiger sei die Förderung über Spenden und Projektgelder, so Müller, „Ohne »wir helfen« wäre das Projekt undenkbar.“

Einmal die Woche probt „Mix“ an der Schule, das Projekt kann auch als AG belegt werden. Die Teilnehmer sind zwischen elf und 20 Jahre alt. Regelmäßig beteiligen sich zwölf bis 15 Jugendliche. „Wenn man die größeren Projekte dazu zählt, sind um die 200 Jugendliche involviert“, sagt Müller. So reisten sie im Sommer nach Berlin und Ravensbrück, wo sie im ehemaligen Konzentrationslager eine Gedenkfeier gestalteten.

Zeichen für die Zukunft

Dort und an anderen Orten mit geschichtlicher Bedeutung verfolgt die Gruppe das Konzept „Station Babylon“. Dabei bilden sie einen Kreis und klären auf, was an dieser Stelle passiert ist. Anschließend halten sie einen Moment Stille – für die Opfer damals und für Menschen, die heute unter Menschenrechtsverletzung leiden. Zuletzt spielen sie ein Lied, um aus der Vergangenheit ein Zeichen für die Zukunft zu setzen – und Hoffnung zu schöpfen.

Sie spielten unter anderem in Rom bei einem internationalen Konzert, beim SPD-Kongress und beim Birlikte-Festival. Erst am vergangen Sonntag wurde ihnen der Bilz-Preis verliehen. Im Jahr 2020 steht eine Reise nach England auf dem Programm, ein Videodreh über Mix und die Geschichten dahinter und Studioaufnahmen von zwei Liedern.

Ein neues Lied heißt „unity“. Im Liedtext heißt es: Einheit durch Vielfalt – keiner soll allein sein. Das gilt auch für die Teilnehmer: Sawsan und ihre beste Freundin Amal singen gemeinsam und haben in der Band viele Freunde gefunden. „Wir wollen zeigen, dass wir alle miteinander klarkommen und uns gegenseitig vertrauen“, sagt Sawsan, „mit der Musik wollen wir ein Zeichen gegen Rassismus setzen.“

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