SchulmüdigkeitHolz-Projekt macht Lust statt Frust auf Schule

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Jackie hat im Projekt „Kneifzange“ zum ersten Mal mit einer Stichsäge gearbeitet.

Jackie hat im Projekt „Kneifzange“ zum ersten Mal mit einer Stichsäge gearbeitet.

Köln – Es wird gebohrt, geschliffen und lackiert. Im Werkraum des Handwerkerinnenhaus an der Kempener Straße herrscht geschäftige Konzentration. Fünf Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren arbeiten mit Holz, stellen Uhren und Dekorationen, Kisten und sogar kleine Schränke her. Jackie zeigt stolz eine Uhr, die sie in Form eines Kölner Doms gemacht hat. Sie hat das Holz ausgesucht, mit Hilfe einer Schablone umrandet, mit einer Stichsäge ausgeschnitten und schließlich lackiert und die Uhrzeiger montiert. „Es ist ein tolles Gefühl, wenn man am Ende so etwas geschafft hat“, sagt sie.

Gemobbt und ausgestoßen

Dass Jackie überhaupt wieder in einen Kurs geht, war bis vor ein paar Wochen noch nicht absehbar. Denn das Mädchen hat in der Schule schlechte Erfahrungen gemacht. Von ihren Mitschülern wurde sie gemobbt – beleidigt und mitunter auch geschlagen –, bis sie kaum noch zur Schule ging. Sie zog sich in die Einsamkeit zurück. Bei den Handwerkerinnen in Köln-Nippes hat sie wieder Mut gefasst, zu lernen. Hier übt sie in der Kleingruppe, hier wird Theorie mit Praxis verbunden, was Jackie entgegenkommt. „Ich bin eher der praktische Typ.“

Für Mädchen, die die Lust auf Schule verloren haben, hat das Handwerkerinnenhaus 1998 das Mädchenprojekt „Zukunft“ ausgetüftelt. Im präventiven Modul „Kunigunde“ soll verhindert werden, dass bei Mädchen mit ersten Anzeichen auf Schulmüdigkeit ernste Probleme entstehen. Im zweiten Modul „Kneifzange“ wird eingegriffen, wenn der Frust vor der Schule schon vorhanden ist. Oft wurden sie, wie Jackie gemobbt. Oder es kommen Mädchen, die mit der Familie Probleme haben. Mädchen mit Phobien oder Depressionen. Mädchen, die kein Selbstvertrauen haben.

Sozialarbeiterin Angela Troll

Sozialarbeiterin Angela Troll

„Zum Teil ist unser Schulsystem daran schuld“, sagt Leiterin Christiane Lehmann. Sie weiß von Kindern, die vom Gymnasium bis zur Hauptschule heruntergereicht wurden. Lernerfolg ist für sie oft ein Fremdwort. Wer aber in der Schule keine guten Noten nachweisen kann, hat später kaum Chancen auf eine Ausbildung und einen guten Job.

Ausweg aus dem Teufelskreis

Ein Teufelskreislauf, aus dem das Handwerkerinnenhaus einen Ausweg bietet. Hier tanken die Mädchen Selbstvertrauen, hier lernen sie im Team zu arbeiten, feilen an Ausdauer und Konzentration. Hier erfahren sie wie man aus dröger Theorie ganz praktisch einen Schrank zimmert. Darüber hinaus gibt es eine psychosoziale Unterstützung und eine Berufsberatung. Der Werkstatt wird zum Erfahrungs- und außerschulischen Lernort.

„Bei uns ist jeder Tag ein Girl’s Day“, sagt Lehmann. Bevor die Kinder im Handwerkerinnenhaus beginnen können, müssen sie, und ihre Eltern, einen Vertrag unterschreiben. Erst dann können sie am Unterricht teilnehmen, der fünfmal in der Woche von 8.30 bis 13.30 Uhr stattfindet. In Kleingruppen mit maximal neun Kindern wird morgens im Werkraum gearbeitet und später Theorie gelernt – oder umgekehrt. Begleitet wird der Kurs von einer Werkleiterin, einer Sozialpädagogin und einer Lehrerin. Das Projekt ist für den Deutschen Ehrenamtspreis nominiert.

An der eigenen Zukunft feilen

Leonie (17) hat es aus der Bahn geworfen, als ihre Eltern starben. Wie will sie nicht erzählen und auch ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Aber dass ihre Gedanken oft vom Lehrstoff abwichen, kann man gut verstehen. „Auf die Schule hatte ich keine Lust mehr“, sagt sie. Im Handwerkerinnenhaus hat sie sich gefangen, hat an das erste Jahr ein zweites drangehängt.

Jetzt will sie ihren Schulabschluss und später eine Ausbildung zur Krankenschwester machen. Leiterin Lehmann, Sozialpädagogin und Tischlerin, kennt viele solcher Geschichten. Etwa die des Mädchens, dass im Handwerkerinnenhaus so gut im Bereich des Fensterbaus wurde und sie eine Ausbildung als Tischlerin bei der Bundeswehr absolviert.

Auch Jackie weiß nach nur sechs Wochen im Handwerkerinnenhaus schon, dass sie später auch einmal im Handwerk arbeiten will. Mechatronikerin wäre toll oder auch Tischlerin. Motivation für eine Lehre hat sie nun allemal.

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