Abo

Stalking-Opfer mit Kind„Ich hatte unglaublich Angst“

Lesezeit 7 Minuten
Der Partner als Bedrohung

Der Partner als Bedrohung

Köln – Als Nora Burger (38) eines Tages im Jahr 2019 ihr Apartment betritt, bietet sich ihr ein grauenhaftes Bild. Fernseher und andere elektronische Geräten liegen zertrümmert auf dem Boden. Das restliche Mobiliar und die Kleidung sind zerfetzt und mit Lebens- und Reinigungsmitteln aus den Schränken verdreckt. Besondere Wut haben all die Dinge und Erinnerungsstücke erfahren, die Nora Burger an ihre Familie und ihr früheres Leben erinnerten.

„Die Wohnung war völlig zerstört, es war ein Scherbenhaufen“, sagt sie heute. Der Täter war kein Unbekannter sondern ihr ehemaliger Partner. Die verwüstete Wohnung steht am Ende einer Kette von Stalking-Attacken auf Nora Burger, die anders heißt, aber anonym bleiben möchte. Burgers Leidensgeschichte lässt sich nur schwer ertragen, ist letztendlich aber auch die Geschichte einer Frau, die sich mit Hilfe aufbäumt, und aus der Spirale von Angst und Gewalt ausbrechen kann.

Partner zwingt sie zum Kontaktabbruch

2006 lernte Burger ihren Partner kennen, es dauert nicht lange, bis er sie schlägt. Bei den ersten Malen glaubte sie noch seinen anschließenden Entschuldigungen, später hat sie sich gefügt. „Ich hatte unglaublich Angst vor ihm und Angst, dass er meinem Sohn etwas antut.“ Tatsächlich wird auch ihr Kind geschlagen. Mehrmals flüchtet sie sich zu Bekannten, einige Male wird sie so sehr verprügelt, dass sie einen Arzt aufsuchen muss. Dem erzählt sie, sie sei die Treppe heruntergefallen. Sie ziehen mehrmals um, weil der Mann auch die Nachbarn bedroht.

Ihr Partner ist nicht nur gewalttätig. Nach und nach beginnt er, ihr gesamtes Leben zu kontrollieren. Er fährt sie zur Arbeit. Er holt sie ab. Er drängt darauf, die Kontakte zur Familie und engen Freunden zu reduzieren, bis sie schließlich ganz abbrechen. Selbst zur Beerdigung ihrer besten Freundin darf sie nicht gehen. Burger weiß nicht weiter, bittet den leiblichen Vater ihres Sohnes, das Kind zu sich zu nehmen. Sie will nicht, dass er ihre Hilflosigkeit länger mit ansehen muss.

„Meine Seele hat geschrien“

Das geschieht 2009. Im gleichen Jahr erleidet sie einen nervlichen Zusammenbruch. Sie geht in eine Klinik, Freunde verständigen die Polizei, aber wieder scheut sie sich, eine Anzeige aufzugeben. Im Gegenteil: Sie kehrt zurück und erlebt noch mehr Gewalt als zuvor und immer wieder die Drohung, dass er sie erneut einweisen lassen würde, schließlich sei sie ja jetzt offiziell „verrückt“. „Meine Seele hat geschrien, aber ich habe die Fassade noch besser aufrechterhalten als früher“.

Sieben Jahre später möchte ihr Sohn, der inzwischen 16 Jahre alt ist, wieder bei ihr leben. Er stellt Burger vor die Wahl: entweder er oder ich. „Das war, als ob mein Kind gespürt hätte, dass ich es brauche.“ Als die Situation ein weiteres Mal zu eskalieren droht, bringt Burger die Kraft auf, die Polizei zu rufen. Die Beamten verweisen den Partner des Hauses, künftig darf er keinen Kontakt zu ihr aufnehmen. Doch auch jetzt lässt der Mann nicht locker. Burger erhält Drohanrufe, muss zahlreiche Male ihre Telefonnummer wechseln. Ihr ehemaliger Lebensgefährte horcht Freunde über Burger aus, spioniert in der Nähe ihrer Arbeitsstelle und im Viertel. Dabei immer darauf bedacht, von Burger gesehen zu werden.

Drohanrufe und Stalking

Schließlich dringt er in ihre Wohnung ein und zerschlägt das Mobiliar. Als sie an diesem Abend die zerstörte Wohnung betritt, weiß sie nicht, dass er sich noch im Treppenhaus aufhält, um sich an ihrem Entsetzen zu freuen. Als er sich bemerkbar macht, „hatte ich Todesangst“, aber es gelingt ihr, sich zu Nachbarn zu retten, die die Polizei informieren.

Die Polizei rät ihr, die Wohnung zu verlassen, ihren Sohn bringt sie zum Vater. Jetzt, wo ihr Leben buchstäblich in Trümmern liegt, entschließt sie sich endlich zur Anzeige und nimmt Kontakt zum Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) auf. Der Fall kommt vor das Amtsgericht, das eine einstweilige Verfügung gegen den Täter ausspricht.

Die Drohanrufe hören nicht auf. In der Nacht fliegen manchmal kleine Steinchen an die Fenster ihrer Wohnung. Immer wieder sieht Nora ihren Ex-Partner, wenn sie einkauft oder von der Arbeit kommt. „Er hat versucht, mich einzuschüchtern, aber dann haben mir mein Sohn, meine Freunde und die Mitarbeiterinnen vom SkF den Rücken gestärkt. Ich war nicht mehr alleine“.

Stalking-Oper leiden an Panikattacken, Angststörungen und Depressionen

Der Fall von Nora Burger sei typisch, sagt Christiane Stermann von der Beratungsstelle für Stalking-Opfer des SkF. Die Beratung wird vor allem von Frauen aufgesucht, es können aber auch Männer dorthin. In 80 Prozent der bekannten Fälle seien die Täter männlich, in jedem zweiten Fall sei es der ehemalige Partner. Insgesamt gab es 2019 484 Strafanzeigen wegen Stalkings in Köln, gut 18 900 in Deutschland. Neben körperlicher Gewalt übten viele Täter psychische Gewalt aus, sagt Stermann. Den Tätern gehe es um Kontrolle und Macht, deshalb würden sie die Opfer von Familie und Freunden isolieren, ihnen so das Selbstbewusstsein rauben. „Ich habe mir selbst die Schuld gegeben. Aber ich war nicht schuld, ich war eine Marionette dieses Mannes, weil er mir alle Kraft genommen hat“, sagt Burger.

Die Novellierung des Stalking-Gesetzes von 2017 macht es den Behörden einfacher, Stalker zu verfolgen. Nach dem alten Gesetz von 2007 musste ein Schaden verursacht worden sein, bevor ein Stalker verurteilt werden konnte. Nun reicht es aus, wenn das Leben des Opfers massiv beeinträchtigt wird. Und genau dies ist oft der Fall: Denn Stalking-Opfer leiden häufig an Panikattacken, Angststörungen, Depressionen und Schlaf- und Essstörungen. Auch Kinder leiden, wenn sie Gewalt unter den Eltern erleben. Sie haben Angst, spüren seelische Belastungen und Stress. Typische Verhaltensweisen sind in dem Fall Rückzug, Kontaktvermeidung, Vertrauensverlust in die Eltern, Hilflosigkeit und Überforderung. Viele haben das Gefühl, alleine mit diesem Schicksal zu sein.

„Die Betroffenen haben unglaubliche Angst“, sagt Stermann. Angst davor, dass der Stalker sie verletzen, ja töten könnte. Angst davor, dass er den Kindern etwas antue oder sie dem Partner wegnehme. Und auch Angst davor, dass Freunde, Verwandte oder die Polizei ihnen schlicht nicht glauben.

Große Öffentlichkeit schreckt Täter ab

Denn oft gibt es für die Stalking-Taten keine Augenzeugen, keine Beweise. „Werden die Autoreifen zerstochen, stellt die Betroffene eine Anzeige wegen Sachbeschädigung, die mangels Beweisen sechs Monate später eingestellt wird“, sagt Stermann. „Das ist dann eine Niederlage für das Opfer.“ Stermann rät den Betroffenen daher, möglichst viele Beweise zu sammeln: Anrufe auf der Mailbox, Droh-Mails, einschüchternde Whatsapp-Nachrichten. Daraus ergibt sich ein Bild, dass eine Dynamik zeigt, sagt Stermann.

Der Opferverband Weißer Ring rät Betroffenen, dem Täter klar zu signalisieren, dass kein Kontakt erwünscht sei. Anschließend müsse man dies auch konsequent durchhalten. Zudem sollten Betroffene sich juristische und psychologische Hilfe holen und Freunde, Familie und Arbeitskollegen informieren. Eine große Öffentlichkeit könne Täter abschrecken.

Das könnte Sie auch interessieren:

Als Burger zur SkF-Beratungsstelle gekommen sei, habe man sofort einen Anwalt eingeschaltet. So konnte ein Kontakt- und Näherungsverbot erwirkt werden. Burger räumte ihre Wohnung, der Weiße Ring gab ihr Geld für Kleidung und neues Mobiliar. „Heute geht s mir gut“, sagt Burger. „Ich kann wieder in den Spiegel gucken.“ Und sie hat engen Kontakt zu ihrem Sohn. „Wir sind Freunde“, sagt sie. „Aber eigentlich hat mir mein Kind das Leben gerettet und mir die Kraft gegeben, mich für uns und ein anderes Leben zu entscheiden.“ Der Ex-Partner, den Stermann als „tickende Zeitbombe“ bezeichnet, kam vor Gericht allerdings mit einer Geldstrafe davon und der Auflage, Burger in Ruhe zu lassen.

Hilfe für Opfer

So können Sie helfen

Mit unserer Aktion „wir helfen: damit unsere Kinder vor Gewalt geschützt werden“ bitten wir um Spenden für Projekte, die sich für ein friedliches und unversehrtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in unserer Region einsetzen.

Die Spendenkonten lauten:

wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“ Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 370 502 990 000 162 155

Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 370 501 980 022 252 225

KStA abonnieren