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Therapeutisches ReitenUnterricht für Körper und Seele

Lesezeit 4 Minuten
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Reittherapie im Gut Beningsfeld in Refrath

Bergisch Gladbach – Es ist, als wenn Ida nie etwa anderes getan hätte, als zu reiten. Ganz verliebt scheint das Mädchen in ihr Therapiepferd „Sopresa Grande“ zu sein, kuschelt sich in die Mähne der spanischen Stute, lässt mal mutig die Zügel los oder legt sich mal ganz keck mit ihrem Rücken auf den Rücken des Tieres. In ständiger Begleitung und Beobachtung natürlich von Lisa Tepass, die die Unterrichtsstunde für Therapeutisches Reiten auf dem Gut Benningsfeld in Bergisch Gladbach begleitet.

Ida ist drei Jahre alt, ein kleiner Sonnenschein mit langen blonden Zöpfen und hat ein Down-Syndrom. Das Mädchen verfügt über einen schwächeren Muskelapparat im Vergleich zu anderen Kindern, der es ihr erschwert, den Mund zu schließen, was zum Beispiel zu Sprechproblemen führen kann. Der Ausflug mit „Sopresa Grande“, der einmal in der Woche stattfindet, wirkt wie Medizin auf das Kind. Durch die schaukelnden Bewegungen des Pferdes werden der Gleichgewichtssinn, die Körperhaltung und die Muskulatur gestärkt, sagt Lisa Tepass vom Verein Therap. Idas Schwester Mathilda (7) kommt regelmäßig mit zur Reitstunde, weil Reiten auch ohne therapeutischen Ansatz schließlich viel Spaß macht.

Vor und nach dem Reiten können die Mädchen auf Gut Benningsfeld noch toben. Das Gut ist ein historischer Bauernhof, den Kölner Stadtmädchen wie Ida und Mathilda nicht so oft zu sehen bekommen. Seit dem Mittelalter wurde hier Landwirtschaft betrieben, die Geschichte des Hofes reicht bis ins zwölfte Jahrhundert zurück, sagt der heutige Eigentümer, Josef Borsbach. Seine Familie hat das Anwesen 1915 gekauft, im Zweiten Weltkrieg wurden Haus und Ställe zweimal von Fliegerbomben schwer getroffen. Ein Arbeiter und fast alle Tiere starben. Heute geben auf Gut Benningsfeld die Pferde den Ton an. Schon in den 1970er Jahren hatten die Borsbachs von der Schweine- auf die Pferdezucht umgestellt, eine Reitschule ist in den 1990er Jahren entstanden. 60 bis 70 Kinder kommen pro Woche.

Auf dem Gut wurde auch Pionierarbeit für das Therapeutische Reiten geleistet. Der Bergisch Gladbacher Carl Klüwer, Arzt für medizinische Psychotherapie, Psychoanalytiker und Amateurreitlehrer, zählte zu den Begründern des Therapeutischen Reitens in der Bundesrepublik. Bereits in den 1950er Jahren vermittelte er als Leiter der psychosomatischen Beratungsstelle an der Uni-Kinderpoliklinik in München seine kleinen Patienten in einen privaten Reitstall. Fasziniert von der raschen Gesundung der Kinder, befasste sich Klüwer mit der Beziehung von Mensch und Pferd und bildete nach seinem Umzug ins Rheinland sein erstes Therapiepferd aus. 1975 kam er zu dem 1970 gegründeten Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten und gehörte von 1992 bis 1996 dessen Vorstand an. 2014 ist er verstorben.

„Hier war die erste Stelle in Deutschland, vielleicht die erste Stelle in der Welt, wo das Therapeutische Reiten stattfand“, sagt Tepass. Der Verein hat sich weiterhin den Zielen des Therapeutischen Reitens verschrieben. Zentrales Medium all dieser Therapie ist das Pferd, das zu emotionaler Bindung einlädt. „Es kann sowohl Freund, Spielgefährte, Beschützer, als auch Objekt von Beobachtung, Fürsorge- und Zärtlichkeitsbedürfnissen sein“, so Tepass.

Tolerant und geduldig

Das ideale Therapiepferd ist tolerant und geduldig, hat einen starken Charakter und muss auch schon mal autistische Kinder aushalten können, die plötzlich anfangen zu schreien. Es gibt zahlreiche Studien, die den Nutzen der Therapie nachweisen, auch wenn die Krankenkassen in der Regel die Stunden nicht zahlen. So ergab etwa eine Untersuchung der Uniklinik Aachen, dass die Reittherapie auf die motorischen Fähigkeiten von spastisch gelähmten Kindern einen positiven Einfluss habe.

Derzeit läuft eine Studie der Unfallklinik Murnau in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten, bei der untersucht wird, inwieweit Reittherapie und konventionellen Physiotherapien im Bereich der Gleichgewichtsstörungen und Störungen der Rumpfkontrolle bei Mädchen und Jungen wirken.

Zudem hat das Reiten freilich noch viele psychologische Vorteile. Wenn ein Mädchen wie Ida eine Stunde auf einer 1,50 Meter großen Stute wie „Sopresa Grande“ reitet, strahlt das Kind über das ganze Gesicht. „Wenn wir zur »Sopresa« fahren, freut Ida sich“, sagt auch Mutter Silke Thonemann (42), die einräumt, anfangs Berührungsängste mit den Pferden gehabt zu haben. „Ich hatte nie etwas mit Reiten zu tun.“ Aber nun ist sie überzeugt, dass „Reiten den ganzen Körper mitnimmt“.

Kinder blühen auf

Besonders Kinder, die aus Heimen auf den Reiterhof kommen „blühen richtig auf, wenn sie auf dem Pferd sind“. Autistische Kinder kämen mit den Pferden gut aus, weil die Tiere die Kinder so nähmen, wie sie seien. Und für die Kinder seien die Pferde entspannend, weil sie keine komplizierten Gesichtsausdrücke interpretieren müssen, was ihnen bei Menschen oft schwer fällt. Selbst Kinder mit einem Aufmerksamkeitssyndrom, die mitunter viel Wut in sich aufbauen, kommen gerne. „Bei uns erleben sie eine Stunde, in der sie richtig gut sind“, so Tepass.

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