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So jung und schon pleiteEin Drittel der Schuldner ist jünger als 30

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Mehr als 1,6 Millionen junge Menschen sind hierzulande in den Miesen.

Hätte Fabian (Name geändert) in der Schule Fächer wie „Finanzbildung“ oder „Vertragsrecht“ gehabt, wäre er heute vielleicht nicht auf Maike Cohrs angewiesen. Fabian ist 23 Jahre alt, hat vor ein paar Jahren seinen ersten Job begonnen – und seitdem einen Schuldenberg von 15.000 Euro angehäuft. Da mussten Möbel für die erste eigene Wohnung her, das erste Auto. Hier ein Kredit, da eine Ratenzahlung. „Das geht heutzutage schnell“, sagt Maike Cohrs. Die Fachberaterin bei der Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonie betreute neben Fabian im vergangenen Jahr 130 weitere Unter-30-Jährige aus der Region, die teils sehr weit im Minus leben.

Schneller Kauf per Klick

Ein Problem unserer digitalisierten Zeit? In der ein Vertragsabschluss sekundenschnell per Mausklick über die Bühne geht, allerorten Ratenzahlungen möglich sind und auf allen Kanälen Kredite beworben werden? „Welchen Vertrag hätten wir als Jugendliche vor 20, 30 Jahren schon abschließen können? Vielleicht mal ein Zeitungsabo oder eine Dauerspende für eine Hilfsorganisation – das Angebot war doch sehr begrenzt“, sagt Cohrs. Und auch das Wertesystem sei ein völlig anderes gewesen. „Da haben wir uns selbstverständlich erst dann eine Anlage, eine Kamera oder ein Auto gekauft, wenn wir es uns auch wirklich leisten konnten.“

Heute dagegen, in einer Zeit, in der Ratenzahlungen gang und gäbe sind, und die Jugend eine unübersichtliche Flut an verlockenden Angeboten überschwemmt, sind die Konsequenzen viel schwerer abzuschätzen – und gravierender.

Ein Drittel der Schuldner ist jünger als 30

Die Zahlen sprechen für sich: Fast ein Drittel aller Schuldner in Deutschland ist jünger als 30 Jahre. 1,66 Millionen junge Menschen waren laut „Schuldneratlas“ der Wirtschaftsauskunftei Creditreform zufolge hierzulande im vergangenen Jahr verschuldet oder hatten Zahlungsschwierigkeiten. Besonders die 18-bis 20-Jährigen, die erstmals absolut unerfahren Verträge abschließen dürfen, reiten sich mit Handy-Verträgen, Streaming-Diensten, Fitnessstudio-Abos und dem schnellen Kauf per Klick im Internet ins finanzielle Aus. Und damit häufig auch ins soziale Abseits.

„Verschuldung macht einsam“, weiß Cohrs. Die Schuldnerberaterin erlebt immer wieder, wie sehr sich ihre jungen Klienten isoliert fühlen, weil sie aufgrund ihrer finanziellen Nöte nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen können. Weil sie stigmatisiert und abgestempelt werden. Oder weil sie sich aus Scham und Angst von ihrem Umfeld abwenden. Auch Fabian hat mit niemandem über seine Geldsorgen gesprochen, bis seiner Mutter bei einem Besuch zufällig der gelbe Brief in die Hände fiel. Post vom Gericht. Der Vollstreckungsbescheid.

Schulden machen nicht nur einsam, sie machen krank. Studien belegen, dass sie zu Schlafstörungen, Angstzuständen, Stresssymptomen und Depressionen führen können. Hinzukommt, dass Schulden nicht selten in eine Sucht führen, die wiederum die Schulden verstärken kann. Ein Teufelskreis.

Zwangsvollstreckung droht

Auch wenn es Gleichaltrige gibt, die auf einem noch höheren Schuldenberg von 60.000 Euro und mehr sitzen, liegt Fabian mit 15.000 Euro Schulden weit über dem bundesweiten Durchschnitt. Denn dem Überschuldungsreport des Instituts für Finanzdienstleistungen zufolge stecken verschuldete Jugendliche unter 25 Jahren im Schnitt mit 8244 Euro in den Miesen – was bei dem Einkommen eines Auszubildenden, Studenten oder Jobanfängers langwierige und schwerwiegende Folgen haben kann. Bei 10.000 Euro Schulden steht ohne familiären Rückhalt und Ausbildung schon in jugendlichem Alter ein Insolvenzverfahren an. Es drohen Zwangsvollstreckungen oder eine Wohnungsräumung.

Kein Finanz-Know-how

Handy, Fitness-Studio, Bafög, erstes Gehalt: Die Verlockungen des Teenager-Lebens sind nicht die einzigen Gründe für die Überschuldung – das verfügbare Geld allein ist es auch nicht. Denn Studien haben aufgezeigt, dass verschuldete und nicht verschuldete Jugendliche annähernd das gleiche Einkommen zur Verfügung haben. „Die Hauptprobleme sind vielmehr die Einstellung zum Geld und das fehlende Wissen, wie die Finanzwelt funktioniert“, sagt Cohrs. In Kombination führe das zu einem völlig verschobenem Verständnis davon, was das Leben kostet – oder zu gar keinem.

Deshalb versucht Cohrs mit ihren jugendlichen Klienten – neben der zuallererst dringlichen Unterstützung und Stärkung im Umgang mit Gläubigern und dem Aushandeln eines Vergleichs – auch ein Gefühl dafür zu entwickeln, was sie sich leisten können und was nicht. Ein zweiter Schritt ist eine gemeinsam ausgearbeitete konkrete Haushaltsplanung: Wie viel brauche ich für meinen täglichen Bedarf? Was habe ich monatlich zur Verfügung? Wie teuer sind Miete, Telefon und Versicherungen? Einnahmen auf die eine Seite, Ausgaben auf die andere: Eigentlich kein Hexenwerk.

Lieber bar statt Karte

Auch alltagspraktische Tipps, wie öfter mal statt mit Karte bar zu bezahlen, bei wichtigen Verträgen und Entscheidungen, eine Nacht darüber zu schlafen, sich professionell beraten zu lassen oder Preise zu vergleichen, stehen auf dem Stundenplan der Schuldnerberatung, die das Diakonische Werk Köln und Region in der Südstadt, in Brühl und in Bergisch Gladbach kostenlos anbietet.

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„Wir können leider nur dort einspringen, wo das Kind schon tief in den Brunnen gefallen ist“, bedauert Cohrs. Für die so dringliche frühe Prävention, für Information und Aufklärung an Schulen allerdings fehle das Geld. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche, die stark auf Statussymbole achten, am stärksten gefährdet sind, in die Schuldenfalle zu geraten“, sagt Cohrs. Weshalb Prävention schon im Kindergarten ansetzen müsste – „da, wo der Gruppenzwang das erste Mal zu spüren ist.“ Das neueste Spielzeug, der angesagteste Rucksack, das coolste Laufrad. Später dann die aktuellste Konsole, das brandneueste Handymodell, das hippste Tattoo.

Da brauche es schon viel Selbstbewusstsein, sich auch mal etwas nicht leisten zu können und sich dem sozialen Druck nicht unterzuordnen, so Cohrs. Was demjenigen gelingen kann, der früh gelernt hat, auch mal pleite zu sein, wenn das gesamte Geld in Panini-Bilder investiert wurde. Die Krux: Aktuell gebe es zwar einige Kommunen, Kreise und Städte, die die Prävention finanziell fördern. Eine verlässliche, langfristige Finanzierung von präventiven Angeboten für Kindergärten und Schulen gebe es aber nicht. Auch das Diakonische Werk Köln und Region hatte zwei geförderte Projekte zur Prävention in Kindergärten, Schulen und für Auszubildende im Angebot. „Resonanz und Auslastung waren groß“, sagt Cohrs. Doch da es keine Anschlussfinanzierung gab, wurden die Projekte eingestellt. Die Nachfrage bleibt groß.

Fit in Finanzen

„Die Beratung von jungen Erwachsenen ist intensiv und braucht wesentlich mehr Zeit, weil das Ziel sein muss, sie so zu stärken, dass sie langfristig schuldenfrei leben, und die Verschuldung ein einmaliges Ereignis bleibt“, sagt Cohrs und fordert auch deshalb, dass flankierend zu Beratungs- und Präventionsangeboten die Vermittlung von finanziellem Know-how in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen wird. Denn Fakt ist: Finanzielle Bildung vermeidet Überschuldung.

Fabian ist Dank Maike Cohrs geläutert – und fit in Finanzfragen. Weshalb er optimistisch ist, dass ihm nicht noch einmal im Leben seine Ausgaben über den Kopf wachsen. Vorausgesetzt, ihn bringen weder Krankheit noch Jobverlust erneut in diese missliche Lage. Das nämlich sind laut Überschuldungsreport des Instituts für Finanzdienstleistungen die häufigsten Ursachen für private Pleiten. Weit häufiger als ungezügelter Konsumrausch oder sonstiges persönliches Fehlverhalten.

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