Verein „Zuckerleicht“ hilftWie Diabetes das Leben von Kindern verändert

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Jorge und Janine de Miguel müssen immer erreichbar sein, falls bei Lucia (l.) der Blutzuckerspiegel nicht stimmt.

Jorge und Janine de Miguel müssen immer erreichbar sein, falls bei Lucia (l.) der Blutzuckerspiegel nicht stimmt.

Leverkusen – Die Diagnose war für Familie de Miguel ein Schock. „Sie hat unser ganzes Leben auf den Kopf gestellt.“ Mutter Janine de Miguel hatte an einem Tag kurz vor Ostern irritiert, dass ihre Tochter sehr viel trinkt. „Schon vor 23 Uhr hatte sie ihre Nachtflasche fast geleert.“ Ein Test im Klinikum Leverkusen gab Gewissheit. Bei Tochter Lucia (9) wurde im Alter von drei Jahren Diabetes Typ 1 festgestellt.

Das Mädchen hatten einen Blutzuckerwert von mehr als 500 Milligramm pro Deziliter, normal ist etwa 130. Zwei Wochen musste Lucia im Krankenhaus bleiben, erhielt Infusionen, um den hohen Zuckerwert zu senken, wurde engmaschig kontrolliert. In der Klinik bekam sie auch eine Insulinpumpe, die gleichmäßig das lebenswichtige Insulin ausschüttet.

Die Blutzuckerwerte müssen ständig kontrolliert werden

An Typ-1-Diabetes leiden in Deutschland etwa 300 000 Menschen, darunter etwa 25 000 Kinder. Damit ist Diabetes mellitus die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter in Deutschland. Typ-1-Diabetiker müssen ihrem Körper lebenslang das blutzuckersenkende Hormon Insulin zuführen, da bei ihnen die Insulin-produzierenden Zellen in der Bauspeicheldrüse vom Immunsystem zerstört werden.

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Die Erkrankung hat das Leben der Familie auf den Kopf gestellt. „Diabetes schläft nie“, sagt Mutter Janine de Miguel. Denn die Blutzuckerwerte können extrem schwanken und müssen daher ständig kontrolliert werden. Die Eltern müssen zudem genau berechnen, was ihre Tochter zu welcher Tageszeit isst. Mahlzeiten müssen exakt abgewogen werden. Lucia darf nicht spontan den Schokoriegel eines Mitschülers verputzen. Aber auch Faktoren wie Infekte, Wachstumsschübe und Sport können den Blutzucker beeinflussen.

Die Insulinpumpe warnt bei gefährlichen Werten

Früher musste man dazu mit einer kleinen Nadel sieben- bis zehnmal am Tag in den Finger stechen und einen Tropfen Blut auf ein Messgerät bringen, dass dann den Messwert berechnete. Liegt der Zuckerwert zu niedrig, muss Traubenzucker zugeführt werden, liegt er zu hoch, muss Insulin gespritzt werden. Heute zeigt Lucia stolz die Insulinpumpe, die das Insulin in den Körper injiziert und den Scanner, mit dem schmerzfrei zuvor der BZ-Wert ermittelt werden kann. Das Gerät warnt auch mit einem Alarm vor gefährlichen Werten. „Das passiert zwei- bis dreimal in der Woche“, so Janine de Miguel.

Anfangs hat die Mutter stündlich den Blutzuckerwert gemessen. „Manchmal bin ich aufgewacht und dachte es wäre Alarm – aber es war gar nichts passiert“, sagt sie. Trotz des technischen Fortschritts ist die Selbstständigkeit von Lucia sehr eingeschränkt. „Es muss immer jemand dabei sein. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich auf Kindergeburtstagen und Klassenfahrten verbracht habe.“ Denn nicht jede Erzieherin und Lehrerin traut sich zu, ein Diabetes-Kind im Notfall zu betreuen.

Verein Zuckerleicht berät Eltern bei Fragen und Sorgen

„Ich oder mein Mann müssen immer erreichbar und binnen einer halben Stunde bei Lucia sein, sonst muss im Notfall ein Rettungswagen gerufen werden.“ Das sei bisher einmal passiert, als Lucia nach einer Sportstunde auf einen Blutzuckerwert von 27 fiel und nicht richtig ansprechbar war. Sie konnte aber stabilisiert werden, nachdem ein Sanitäter ihr eine Spritze mit einer Zuckerlösung injizierte.

Der Verein Zuckerleicht betreut in Zusammenarbeit mit dem Klinikum Leverkusen seit dem Jahr 2010 Kinder mit Diabetes und deren Familie. Mitgründerin und Vorsitzende Gudrun Rodefeld hat selbst einen Sohn, der Diabetes Typ 1 hat. Die Erkrankung heilen kann der Verein nicht. Die Sorgen und Fragen der Eltern kennt Rodefeld aber nur zu gut. Zuckerleicht geht es vor allem darum, die Familien zusammenzubekommen, damit sie sich austauschen können. Wer sich gegenseitig informiert, begreift zudem, dass er nicht allein ist. „Viele sind mit der Situation überfordert. Da tut es gut, zu sehen, dass auch andere Menschen betroffen sind.“

Verein bietet Freizeitprogramme und Ausflüge

Aufklärung tut Not, denn nicht immer reagiert das Umfeld von diabeteskranken Kindern mit Verständnis: Lucia erinnert sich an Situationen, in denen Kinder sagten: „Wenn du krank bis, kannst du nicht im Chor mitsingen.“ Andere Kinder fragen, ob Diabetes ansteckend sei. Und ein Pflegedienst hat der Familie für die Betreuung beim Essen im Kindergarten einen Korb gegeben, weil es nicht wirtschaftlich sei, Lucia zu betreuen. „Die meisten aber haben Verständnis dafür und finden es schlimm, dass ich das habe“, sagt die Neunjährige. Mittlerweile wird die Familie von einer Diabetes-Assistentin unterstützt.

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Der Verein, der heute 65 Mitgliedsfamilien hat, versteht sich als „Anwalt der Betroffenen“. Er bietet Schulungen für Familien, aber auch für Kindersitter an und veranstaltet Freizeitprogramme. Grillen und Reisen stehen auf dem Programm. Mal wird gewandert, mal geht es zum Klettern, mal verbringen die Kinder ein Wochenende in Luxemburg oder Bad Münstereifel. Lucia erinnert sich besonders gerne an ein Vereinswochenende am Niederrhein, wo sie auf einem Pony reiten konnte. Auf einem Bauernhof hat sie einmal Lamas und Alpakas streicheln können. „Das Beste ist, dass wir wissen, dass sie in guten Händen ist“, sagte Mutter Janine de Miguel. „Denn alle Teilnehmer und Betreuer kennen sich mit Diabetes aus.“

Der Verein, der sich durch Spenden trägt, wird von „wir helfen“ gefördert. Zudem sucht Zuckerleicht ehrenamtliche Helfer, die sich mit dem Thema Diabetes auskennen.

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