Wirtschaft und CoronaHeinsberger Unternehmer ärgert sich über Stigmatisierung

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Unternehmer Guido Randerath

Unternehmer Guido Randerath

  • Guido Randerath ist Unternehmer im Maschinenbausektor. Der Sitz seiner Firma befindet sich in Heinsberg, dem Landkreis, der als „Erstregion“ der Corona-Pandemie gilt.
  • Wie in vielen anderen Unternehmen macht sich auch bei Randeraths Firma die Krise wirtschaftlich bemerkbar: Verzögerte Lieferungen stellen eingespielte Arbeitsabläufe auf die Probe.
  • Doch auch die besondere Lage in Heinsberg bringt neue Herausforderungen mit sich: Immer mehr Geschäftspartner zögern, mit Heinsberger Unternehmen zusammenzuarbeiten.
  • Lesen Sie hier, wie Randerath sein Unternehmen durch die Krise lotst.

Heinsberg – Rasch hat sich Guido Randerath noch bei einem Webinar angemeldet. Eine Stunde lang beantwortet die IHK Düsseldorf drängende Fragen: Wie sollen Unternehmen rechtlich und betriebswirtschaftlich mit den Folgen der Corona-Krise umgehen?

Es geht um Liquiditätssicherung und Regeln beim Beantragen von Kurzarbeitergeld. Randerath hat gerade noch einen Slot erwischt, wenige Minuten später ist das Onlineseminar ausgebucht. „Da hatte ich ja gerade noch mal Glück.“

Randerath ist Chef der Elteba GmbH, eines Unternehmens, das Schaltschränke für Maschinen baut. Die Firma beliefert verschiedene Branchen: Verpackung, Kunststoff, Bahntechnik, Autoindustrie.

Etwa 13 Millionen Euro Jahresumsatz, 95 Mitarbeiter, Kunden in aller Welt. Der Firma geht es gut, sie gehört zu den wichtigsten Unternehmen im Landkreis. Doch jetzt ist alles anders. „Es sind schwierige Zeiten“, sagt Randerath.

Das hat auch mit dem Sitz der Firma zu tun. Er liegt in einem Industriegebiet in Heinsberg. Ausgerechnet Heinsberg, der Landkreis, der als „Erstregion“ der Corona-Pandemie gilt.

Veränderte Arbeitsbedingungen

Seit Ende Februar breitet sich dort das Virus aus, mehr als 1100 Infektionen sind derzeit registriert. 28 Menschen sind an Covid-19 gestorben – aber immerhin auch mehr als 360 wieder genesen. Die Firma blieb vom Virus bislang verschont. Unter den Mitarbeitern gibt es keinen positiven Fall.

Randerath, 56, blauer Anzug, schwarz umrandete Brille, sitzt im Konferenzraum. Der Blick durch die Glasfassade geht hinaus auf weite Felder. Randerath ist jemand, der gute Stimmung versprühen will. Lächeln statt Krisenmiene. Auch wenn die Situation alles andere als befriedigend ist.

Auf den Fluren ist es ruhig geworden. Auf einem Tisch steht eine Flasche Desinfektionsmittel. Seine Ingenieure und Softwareexperten hat der Geschäftsführer ins Homeoffice geschickt, manche von ihnen betreuen jetzt ihre Kinder. Die, die noch im Büro sind, dürfen nicht mehr gemeinsam essen. Lieferanten sollen die Firma nicht mehr betreten, Besprechungen finden meist nur noch per Videokonferenz statt.

Randerath hat Arbeitszeiten flexibler gemacht, jongliert nun mit Zeitkonten. Für den Notfall bereitet er die Umstellung auf Kurzarbeit vor. Die Fertigungstische in der Produktionshalle ließ er auseinanderschieben, um den Hygieneabstand einzuhalten.

Gemütszustand? Proaktiv abwartend

Mindestens zwei Stunden täglich ist Randerath mit Krisenmanagement beschäftigt. Er muss Kunden auf eventuell verzögerte Liefertermine einstellen und bei den Zulieferern nachfragen, ob die Teile für die Fertigung der Schaltschränke rechtzeitig verschickt werden. Vorwarnungen gebe es bereits. „Jeder Tag ist anders“, so Randerath. „Proaktiv abwartend“, so beschreibt er sich jetzt.

Die gesamte Elektrobranche ist wegen Corona in Unruhe. Es liege auf der Hand, dass der Grad an Verunsicherung angesichts Pandemie, Verwerfungen an den Ölmärkten, Kursverlusten an den Börsen sowie Sorgen vor Kreditausfällen derzeit sehr hoch sei, sagt Andreas Gontermann, Chefvolkswirt des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). „Etliche Unternehmen berichten über Störungen in ihren Liefer- und Produktionsketten.“

Die wichtigsten Geschäftspartner sitzen in Fernost, wo das Virus besonders hart zuschlug. Allein im vergangenen Jahr hat Deutschland elektronische Vorerzeugnisse im Wert von rund 70 Milliarden Euro importiert, ein Fünftel davon aus China und Südkorea.

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Ein funktionierender Markt ohne China ist kaum denkbar. Nach einem schwachen Jahr 2019 spitzt sich die Lage nun zu. Im Vergleich zum Vorjahr gingen im Januar 2020 die Auftragseingänge um knapp acht Prozent zurück.

Der Verband der Maschinenbauer, zu dem Randeraths Firma gehört, ist ebenfalls in Sorge. Die Branche ist mit 1,3 Millionen Beschäftigten der größte industrielle Arbeitgeber in Deutschland.

„Protektionismus und Handelsstreitigkeiten machen das Geschäft ohnehin schon schwierig. Das Virus kommt jetzt noch obendrauf“, sagt Frank Brückner, Sprecher des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). „Die in China durch das Virus entstandenen Produktionslücken erreichen uns jetzt.“

Abschottung macht Probleme

Es gelte nun, die Lieferketten sinnvoll aufrechtzuhalten. Zwar hätten viele Betriebe in China die Produktion wieder hochgefahren, aber nun würden die Transportwege zum Problem, sagt Brückner. Durch die verschärften Kontrollen verzögerte sich das Verladen.

Auch die Einreisebeschränkungen in die USA und der Logistik- und Serviceverkehr innerhalb der EU bereite den Unternehmen Kopfzerbrechen. „Wenn Servicetechniker nicht mehr durchkommen, können Maschinen nicht in Betrieb genommen oder gewartet werden.“

Auch Randerath macht die Abschottung zu schaffen. Einer seiner Servicetechniker, der in Saudi-Arabien eine Maschine umbauen sollte, durfte nicht mehr einreisen. Zwei seiner Mitarbeiter mussten ihr Hotel in Österreich verlassen, weil das Haus schließen musste.

Randerath stellt sich täglich Fragen: „Wie existenzbedrohend wird das für uns? Gehe ich den richtigen Weg oder sollte ich radikaler an die Sache rangehen und den Betrieb vorübergehend ganz runterfahren?“

Betriebsschließungen sind die Ultima Ratio

Der Branchenverband wünscht sich Eindeutigkeit: „Wir sind auf klare Ansagen angewiesen, wie die Zahlen zu Infektionen zu interpretieren sind und welche Maßnahmen noch ergriffen werden sollen. Die Politik muss uns aufzeigen, welche Zielmarken sie anstrebt“, sagt VDMA-Präsident Carl Martin Welcker.

Er betont, dass hinter der medizinischen Versorgung und der Nahrungsmittelindustrie auch der Maschinenbau stehe. „Betriebsschließungen sind eine Ultima Ratio, deren Konsequenzen auf das Gesundheits- und Versorgungssystem immer bedacht werden müssen.“

Die Politik will ein solches Szenario freilich verhindern. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ein 750 Milliarden Euro schweres Notfallpaket aufgelegt und kauft nun Unternehmens- und Staatsanleihen. Die Bundesregierung hat einen Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit einem Volumen von rund 600 Milliarden Euro verabschiedet.

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau kritisiert, dass im dazugehörigen Gesetz kein Ausstieg des Staates vorgesehen sei, so dass eine Staatsbeteiligung weit über die Krise hinaus möglich erscheine. „Ausstiegsstrategien des Staates müssen von Beginn an mitgedacht werden, Mitnahmeeffekte sind zu minimieren, staatliche Mittel sind effizient einzusetzen“, sagt VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.

Region kämpft mit Stigmatisierung

Noch muss Randerath keine Kredite in Anspruch nehmen. Seine Firma hat sich ein Polster erarbeitet. „Aber natürlich ist das irgendwann aufgebraucht“, sagt er. Es ist aber nicht nur die wirtschaftliche Lage, die ihn beschäftigt, auch das gesellschaftliche Klima treibt ihn um.

Der Kreis Heinsberg habe es schwer. Firmen aus der Region hätten mit Stigmatisierungen zu kämpfen. Es gebe Unternehmen, die würden Firmen aus Heinsberg aufgrund der hohen Infektionsrate keine Aufträge mehr erteilen, hatte Heinsbergs Landrat Stephan Pusch gesagt.

Auch Randerath, in Heinsberg geboren, hat solche Erfahrungen gemacht und muss seinen Kunden jetzt Ängste nehmen. „Im Moment ist es noch Heinsberg, aber das Problem wird sich leider auf ganz Deutschland ausdehnen. Wir sind die Blaupause für die Nation.“

Wie Landrat Pusch, der mit TV-Auftritten und seinen „Pusch-Mitteilungen“ auf Facebook längst bundesweite Berühmtheit erlangt hat, ärgert sich auch Randerath über den Spott. Mit den Worten, man dürfe „kein zweites Heinsberg zulassen“, hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Ausgangsbeschränkungen in Aussicht gestellt und kurz darauf umgesetzt. So etwas kommt im westlichsten Landkreis Deutschlands nicht gut an.

„Wir werden das schon überstehen"

„Manche behaupten, wir hätten hier nicht richtig aufgepasst. Aber in Wahrheit haben wir schnell Maßnahmen ergriffen. Und zwar nicht nur die Behörden, sondern auch die Firmen“, sagt Randerath.

Vor einer kompletten Ausgangssperre fürchtet sich der Unternehmer nicht. „Im Grunde leben wir in Heinsberg schon danach, weil wir längst sensibilisiert sind“, sagt er. „Es ist die letzte Maßnahme, die man wählen sollte. Aber wenn sich die Leute nicht an die Empfehlungen halten, gibt es vielleicht auch keinen anderen Weg.“

Noch ist die Grenze zu den Niederlanden offen. Auch das ein wichtiger Korridor für Handel, Konsum und kulturellen Austausch. Randerath hat Sorge, dass das Virus dem guten Binnenverhältnis schade. „Was denken sie über uns? Könnten sich irgendwann sogar Ressentiments aufbauen?“, fragt er sich. „Das würde mich emotional schon sehr mitnehmen.“

Aber die Menschen aus Heinsberg seien eben auch Rheinländer, Frohnaturen mit einem guten Maß Pragmatismus. „Wir werden das schon überstehen.“ Überhaupt habe die Krise auch ihr Gutes, sagt er. „Ich kann jetzt Händewaschen wie ein Chirurg.“

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