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NachrufErich Sieberz aus Rösrath starb in der Flutnacht in seinem Keller

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Erich Sieberz ertrank am 14. Juli in Rösrath in seinem Keller, als die Flut kam.

Erich Sieberz ertrank am 14. Juli in Rösrath in seinem Keller, als die Flut kam.

In Hoffnungsthal sind Erich und Rosemarie Sieberz für ihre Feiern bekannt. Am Wochenende kommen die Ehrenfelder Fußballerfreunde von Erich und freuen sich, dass nicht gleich die Polizei gerufen wird, wenn es am Abend mal etwas lauter wird. Im Sommer trifft man sich unter einer jungen Blutbuche im Garten, Erich Sieberz räuchert dann Forellen, die er in der Sülz oder in der Ahr mit der Fliegenrute gefangen hat. Seine Frau macht Kartoffelsalat, dazu gibt es Kölsch und Krätzchen.

Die Bar im Partykeller hat Erich Sieberz selbst gebaut. Geburtstage werden hier begangen, Silvesterfeiern, die Hochzeiten der zwei Kinder, jedes Fest bei schlechtem Wetter. „Wir haben da alles gefeiert, was es zu feiern gab“, sagt Rosemarie Sieberz, während im Keller die Trockenmaschinen brummen.

Die kleine Sülz verwandelt sich in einen Strom

Am Abend des 14. Juli 2021, es ist schon dunkel, klingelt Erich Sieberz bei einem Hausbewohner in Parterre und zeigt ihm das Wasser, das langsam in die Straße läuft. Sie überlegen, die Autos noch wegzustellen. Sieberz fragt seinen Bekannten, ob er mitkomme in den Keller. 

Der Kumpel aus dem Erdgeschoss geht mit runter. Sie stöpseln die Kühltruhen aus, Erich Sieberz hilft dem Nachbarn, dessen Truhe auf ein Brett zu stellen. Der Nachbar bedankt sich und geht wieder hoch. Wie die meisten Menschen in der Straße ist er jetzt in Alarmbereitschaft. 

Hochwasser, das Keller oder Erdgeschoss geflutet hätte, gab es In den Backeswiesen nie, seit Erich Sieberz das Haus um den Jahreswechsel 1969/70 gebaut hatte. Ein paar Mal war das Grundwasser hochgedrückt und stand ein paar Zentimeter hoch im Keller.

Das Wasser fließt jetzt schneller in die Straße. Der Bewohner aus dem Erdgeschoss wundert sich, dass Sieberz nicht zurückgekommen ist und  läuft zurück in den Keller. Dort steht das Wasser inzwischen 30 Zentimeter hoch. Der Wasserdruck hat die Stahltür verschlossen. Sie lässt sich nicht mehr öffnen.

Der Nachbar läuft die Treppe hoch, rutscht aus, fällt auf den Kopf, rappelt sich hoch, ruft Hilfe. Das Wasser steigt jetzt so schnell, dass das Staunen der Anwohner sich in Sorge, bei manchen in Panik verwandelt. Der Hausbewohner versucht, das mit dicken Edelstahlstäben gesicherte Kellerfenster mit einer Spitzhacke aufzubrechen. Andere Nachbarn waten zur Hilfe. 

Sieberz wird über einen Schlauch beatmet

Erich Sieberz, der ruhig bleibt und gefasst, ist in seinem alten Partykeller gefangen. Das Wasser steigt weiter. Ein Mitarbeiter der Freiwilligen Feuerwehr hat auch nicht das richtige Gerät dabei. Rosemarie Sieberz, die nach einer schweren Krebserkrankung nicht mehr gut laufen kann, brüllt aus dem Fenster: „Ihr müsst einen Bolzenschneider nehmen!“ Den hat aber niemand, auch keine Flex und keinen Spreizer. Inzwischen ist auch der Strom ausgefallen.

Mehrere Nachbarn, die bis zum Bauch im Wasser stehen, versuchen vergeblich, Tür oder Fenster aufzubekommen. Taucher, die im Anzug im Wasser stehen, kommen nicht zum Einsatz – es gibt keine Möglichkeit, zu Sieberz vorzudringen.

„Sie wissen schon, dass Ihr Mann tot ist, oder?“

Erich Sieberz wird über einen eilig zurecht geschnittenen Gartenschlauch beatmet, ein Feuerwehrmann hält ihn durch das Stahlgitter an der Hand. Bis der Keller komplett geflutet ist. „Irgendwann kam jemand von der Feuerwehr zu mir hoch und sagte: Sie wissen schon, dass Ihr Mann tot ist, oder?“, erinnert sich Rosemarie Sieberz. Der kühle, vielleicht auch nur aufgeregte Ton des Mannes habe sie erschrocken. Die Nachricht wollte sie nicht wahrhaben. Es konnte ja nicht sein: Kurz zuvor war Erich ja noch mit dem befreundeten Nachbarn auf der Straße gewesen. „Es wäre etwas anderes gewesen, wenn er einen Herzinfarkt gehabt hätte“, sagt sie. „Es war so unnötig. So grausam.“

Sie glaubt nicht, dass eine frühzeitige Warnung den Tod ihres Mannes verhindert hätte. „Wenn im Haus etwas nicht in Ordnung war, musste er immer sofort gucken, was es war“, sagt sie. Dass sich nach seinem Tod niemand von der Stadt gemeldet habe, „das hat mich traurig gemacht und meine Tochter wütend. Erich war ja der einzige Mensch, der in Hoffnungsthal ertrunken ist“.

47 Jahre waren Rosemarie und Erich Sieberz verheiratet. In den letzten Jahren hatte er sie gepflegt. Nachdem sie fast eineinhalb Jahre im Krankenhaus verbracht hatte, war sie seit dem vergangenen Jahr zu Hause auf Hilfe angewiesen. Alles habe ihr Mann seitdem für sie gemacht. „Auch geputzt und gekocht – das war eine Leistung, vorher hatte er ja nur Eier gebraten und Fische geräuchert.“ Natürlich sei er auch überfordert gewesen, wie jeder Pflegende manchmal überfordert sei. „Es war bewundernswert, wie er für mich da war und dem alles untergeordnet hat.“

Markenzeichen: Zahnstocher

Als gutmütig und bodenständig beschreibt sie ihren Mann. Als Typen „der früher viel gefeiert hat und später gern seine Ruhe haben wollte“. Ein Angler, gern für sich, in der Natur, ein bisschen eigenbrötlerisch, geradeaus, gemütlich. Wenn er seinen Lkw abends abgestellt hatte, machte er sich erstmal eine Flasche Bier auf und ruhte sich aus. Bevor er in den Garten ging oder in die Garage, um zu werkeln.

Sein Markenzeichen war der Zahnstocher im Mund, der ihm seit 20 Jahren die Zigaretten ersetzte. „Wenn die Zahnstocher wieder mal im Auto rumflogen oder in der Küche, habe ich ihn verflucht“, sagt seine Frau lächelnd.

Gern Vater und Großvater

Mit den Nachbarn hielt Erich Sieberz gern ein Schwätzchen, übers Angeln, Sport oder Neuigkeiten aus dem Ort, aber bitte kein giftiges Gerede. Im Fernsehen: Sport, alles, was es gab. „Da musste ich manchmal schimpfen, weil er nichts anderes mit mir gucken wollte“, sagt Rosemarie Sieberz. Verrückt sei er nach seinen Enkelkindern gewesen. Eine Wand mit Fotos der Kinder im Wohnzimmer dokumentiert die Großelternliebe.

Luca, der jüngere, war zu Besuch, als das Wasser kam. „Das war so schlimm für den Jungen“, sagt Rosemarie Sieberz. „Man mag gar nicht daran denken, wie viele Kinder an der Ahr und in Erftstadt das Hochwasser traumatisiert hat.“

Beim Feiern kennengelernt – wo sonst?

Kennengelernt hat sie ihren Mann in Erichs Stammkneipe auf der Subbelrather Straße. „Beim Feiern, wo sonst.“ Aufs Land zu ziehen, davor habe sie Respekt gehabt. „Auch Erich sagte anfangs, er wolle eigentlich nicht auf dem Buureland wohnen." Aber dann seien die Kölner Freunde aufs Land gekommen und hätten es so schön gefunden, den großen Garten, die Sülz, den Wald, den Partykeller, fast wie Urlaub – „und dann haben wir es uns eingerichtet“.

Die Zeiten von Kartoffelsalat, Räucherfisch, Kölsch und Schunkeln im Partykeller waren lange vorbei. Für ein kleines Fest zu Erichs Geburtstag wollte Rosemarie Sieberz beim Chinesen bestellen. „Gut und günstig, schmeckt allen“ – so sah ihr Mann das auch. Zu der Feier kam es nicht mehr. Erich Sieberz ertrank fünf Tage vor seinem 81. Geburtstag in seinem Partykeller.

Dieser Text ist erstmals am 16. September 2021 veröffentlicht worden. Die Redaktion erinnert zum zweiten Jahrestag der Flutkatastrophe an die Opfer.

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